Brexit am 31. Januar
Nach langem Ringen verlässt das Vereinigte Königreich am 31. Januar die Europäische Union. In der darauf folgenden Übergangsphase wollen sich Brüssel und London auf ein Handelsabkommen einigen – der Zeitplan ist ambitioniert.
Am 31. Januar tritt das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union (EU) aus – nachdem das Europaparlament dem Austrittsvertrag am 29. Januar zugestimmt hat. Damit verlässt das Land nach mehr als 40 Jahren Mitgliedschaft die Europäische Union. Doch bis zum Brexit war es ein langer Weg.
Am 23. Juni 2016 stimmten die Britinnen und Briten bei einem Referendum mit rund 52 Prozent der Stimmen für den Austritt aus der EU. Nach der Verabschiedung des Brexit-Gesetzes durch das Unterhaus leitete die damalige britische Premierministerin Theresa May am 29. März 2017 formal die Austrittsverhandlungen mit der EU ein. Gemäß Artikel 50 des EU-Vertrags war zunächst vorgesehen, die Verhandlungen innerhalb von zwei Jahren, also bis zum 29. März 2019, abzuschließen – doch die Frist musste mehrmals verlängert werden.
2019 drohte wiederholt ein harter Brexit ohne Vertrag
Die Brexit-Verhandlungen in Brüssel verliefen zunächst schleppend. Im November 2018 gelang es Premierministerin May einen vorläufigen Austrittsvertrag auszuhandeln, der von den 27 verbleibenden EU-Staaten gebilligt wurde. Trotz wiederholter Nachverhandlungen scheiterte das von May ausgehandelte Austrittsabkommen 2019 mehrfach im britischen Unterhaus. Um einen Brexit ohne Vertrag zu verhindern, wurde der Austritttermin zuerst auf den 12. April und schließlich auf den 31. Oktober verschoben.Nach dem Rücktritt von May im Sommer 2019 stellte sich ihr Nachfolger Boris Johnson auf einen harten Brexit ohne Abkommen ein und versprach den britischen Bürgerinnen und Bürgern, am 31. Oktober aus der EU auszutreten. Doch das britische Unterhaus verabschiedete ein Gesetz gegen einen ungeregelten Brexit und die EU bewilligte eine erneute Fristverlängerung bis zum 31. Januar 2020.
Neuwahlen schaffen neue Mehrheitsverhältnisse
Bei den von Johnson einberufenen Neuwahlen im Dezember konnten die Tories die absolute Mehrheit im Unterhaus erringen. Gestützt auf diese neue Mehrheit gelang es Johnson am 20. Dezember, den von ihm mit der EU verhandelten Austrittsvertag durch das Unterhaus zu bringen. Nach der Zustimmung des Oberhauses und des Europäischen Parlaments Ende Januar 2020 steht dem geplanten Austritt des Vereinigte Königreichs am 31. Januar nichts mehr im Wege.i
Das Austrittsabkommen
Zudem sieht das Abkommen eine Übergangsphase bis Ende 2020 (einmalig um bis zu zwei Jahre verlängerbar) vor, um Zeit für die Verhandlungen der künftigen Beziehungen zwischen EU und dem Vereinigten Königreich zu schaffen.
Des Weiteren muss das Vereinigte Königreich alle eingegangenen finanziellen Verpflichtungen aus dem laufenden mehrjährigen Finanzhaushalt der EU erfüllen. Dies gilt auch für jene bereits zugesagten Zahlungen, die über das Austrittsdatum und das Ende der Übergangsphase hinausreichen. Die britische Seite rechnet mit Kosten von rund 35,6 Milliarden Euro. Eine genaue Summe ist noch nicht festgelegt.
Das von Johnson ausgehandelte Abkommen entspricht in weiten Teilen dem Vorschlag seiner Vorgängerin May. Ein entscheidender Unterschied ist jedoch das Nordirland-Protokoll, das die künftige EU-Außengrenze in Irland regeln soll: Es sieht vor, dass Nordirland nach dem Ende der Übergansphase Teil des britischen Zollgebiets bleibt, aber gleichzeitig eine spezielle Zollpartnerschaft mit der EU bildet. Alle relevanten EU-Binnenmarktregeln werden in Nordirland ebenfalls weiter angewendet. Vier Jahre nach Inkrafttreten des Protokolls soll das nordirische Parlament sich für oder gegen eine weitere Anwendung der Regelung aussprechen können.
Die zwischen May und der EU vereinbarte "Backstop“-Regelung hatte stattdessen vorgesehen, das Vereinigte Königreich in diesem Fall in einer Zollunion mit der EU zu belassen.
Was ändert sich nach dem 31. Januar 2020?
Gemäß dem vereinbarten Austrittsabkommen verliert das Vereinigte Königreich ab dem 1. Februar 2020 sein Mitbestimmungsrecht in den EU-Institutionen. Dies hat beispielsweise unmittelbare Folgen für die Sitzverteilung im EU-Parlament, in dem bisher 73 britische Abgeordnete saßen. An deren Stelle werden 27 neue Abgeordnete aus 14 Mitgliedsstaaten einziehen und das Parlament auf insgesamt 705 Sitze verkleinert.EU-Recht gilt bis Ende 2020 weiter
Für Bürgerinnen und Bürger beider Seiten wird sich zunächst nichts ändern, da bis Ende 2020 eine Übergangsphase läuft, in der das EU-Recht für das Vereinigte Königreich zu großen Teilen weiterhin gilt. In dieser Zeit wird das Vereinigte Königreich auch Teil des EU-Binnenmarktes und der EU-Zollunion bleiben. So sollen mögliche Schäden für den britischen, aber auch für den europäischen Wirtschaftsraum begrenzt werden.Freihandelsabkommen zentral für die Wirtschaft
Ziel beider Seiten ist es nun, bis Ende 2020 ein Freihandelsabkommen auszuarbeiten. Doch der Zeitplan für die voraussichtlich im Frühjahr beginnenden Verhandlungen ist ambitioniert. Die Verhandlungen für CETA, ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, dauerten beispielsweise mehrere Jahre. Eine noch bis Juli mögliche Verlängerung um maximal zwei Jahre wurde von Johnson bisher jedoch kategorisch ausgeschlossen.Sollten sich London und Brüssel nicht auf ein Handelsabkommen einigen, würde der Handel der EU mit dem Vereinigten Königreich nach denselben Regeln und Zolltarifen ablaufen wie beispielsweise mit den USA oder China. Dies hätte wohl weitreichende Folgen für die britische Volkswirtschaft. Doch auch viele exportorientierte Unternehmen in der EU, insbesondere in Deutschland, müssten mit Einbußen rechnen. Seit dem Brexit-Referendum vor knapp vier Jahren sind deutsche Exporte in das Vereinigte Königreich leicht zurückgegangen, besonders betroffen ist die Automobilindustrie.
Zudem will man eine Reihe weiterer Vereinbarungen schließen, die die zukünftigen Beziehungen regeln. Mehrere Bereiche, wie etwa die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich, könnten in den Verhandlungen für harte Auseinandersetzungen sorgen. Außenpolitisch müssen beide Seiten ebenfalls eine neue Struktur aufbauen, etwa um bei der weltweiten Krisenbekämpfung weiterhin gemeinsam auftreten zu können.
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