Die EU-Kommission plant einen neuen Anlauf zur Lösung der Migrationskrise. Seit vier Jahren kann sich die Europäische Union nicht auf eine gemeinsame Asylpolitik einigen. Die Gräben sind tief, die Positionen sind verhakt – dabei drängt die Zeit. Niemand weiß, wann die Kriege vor der Haustür Europas wieder zu einer neuen Flüchtlingswelle wie im Jahr 2015 führen.
Die neue Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, macht jetzt Druck. Sie will möglichst schon Ende Februar Pläne für einen neuen „Pakt für Migration und Asyl“ vorlegen, der dann aber auch für alle Mitgliedstaaten annehmbar ist und nicht wie vor knapp vier Jahren zu einem erbitterten Streit führt, als sich viele Länder von Brüssel und Berlin übergangen fühlten. Es soll von der Leyens erster großer politischer Erfolg werden, ihr Brüsseler Meisterstück. In den Amtsstuben der Kommissionsbehörde wird bereits mit Hochdruck an dem neuen Gesetzespaket gearbeitet.
Der für die Förderung der europäischen Lebensweise zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, Margaritis Schinas und die EU-Migrationskommissarin Ylva Johansson sind in einer Art Pendeldiplomatie dabei, die Positionen der Mitgliedstaaten auszuloten und mögliche Kompromisse zu erörtern. Am Mittwoch beraten Schinas und Johansson mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in Berlin. Schinas sagte WELT: „Wir haben unsere Konsultationen in Athen und Ankara begonnen und werden jetzt damit in Berlin, Paris, Rom und Budapest fortfahren. Das zeigt unseren Willen, jedes Land an Bord zu haben.“
Knackpunkt: Wie sollen die Migranten in der EU verteilt werden?
Die Ziele, die von der Leyen mit einer neuen europäischen Asylpolitik verknüpft, sind klar: Die illegale Migration soll weiter zurückgehen. Flüchtlinge werden solidarisch auf möglichst alle Mitgliedsländer verteilt. Abschiebungen sollen deutlich schneller gehen. Asyltourismus innerhalb Europas soll durch bessere Kontrollen, Gesichtserkennungsmaßnahmen und einheitliche Asylleistungen unterbunden und Asylmissbrauch hart bestraft werden. Der Schutz der EU-Außengrenzen wird spätestens bis 2024 deutlich verstärkt. Außerdem soll die legale Migration für besonders schutzbedürftige Menschen durch sogenannte Umsiedlungsprogramme forciert werden.
Diese Ziele finden in den meisten Ländern Unterstützung. Der Knackpunkt ist jedoch die Frage: Wie sollen die Migranten innerhalb der EU verteilt werden? Nach dem bestehenden System sind für die Asylverfahren und die Versorgung der Menschen jene Länder verantwortlich, wo die Geflohenen erstmals europäischen Boden betreten – also vor allem Italien, Spanien und Griechenland. Dies führte im in den vergangenen Jahren zu einer Überlastung der Mittelmeer-Anrainer.
Deshalb sollte dieses sogenannte Dublin-System reformiert werden. Aber wie? Die EU-Kommission hatte dazu bereits im Frühjahr 2016 eine Verteilung nach Quoten vorgeschlagen. Die Logik: Statt einige wenige Länder am Mittelmeer sollten alle Länder solidarisch verpflichtet werden, nach einem festgelegten Schlüssel Migranten aufzunehmen. Wer nicht mitmachte, sollte horrende Strafen zahlen.
Massiver Widerstand aus Osteuropa
Dieser Vorschlag führte zu massiven Widerständen aus zahlreichen mittel- und osteuropäischen Staaten – Österreich, Polen und Ungarn wollten sich nicht vorschreiben lassen, wie viele und welche Personen sie aufnehmen. Wegen dieses Streits waren alle weiteren Gesetzespläne für ein EU-Asylsystem blockiert.
Diese Blockade wollen Schinas und Johansson mit ihren Reisen in die Hauptstädte nun aufbrechen. Sie wollen vor allem zuhören. Aber sie haben auch eigene Ideen im Gepäck. In der vergangenen Woche berieten sie darüber bereits mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.
Aber auch Seehofer gehört zu den wichtigsten Ansprechpartnern für die EU-Kommission in Brüssel. Der deutsche Innenminister hatte bereits im November einen „Neuanfang für die Migrationspolitik in Europa gefordert“ und robuste Verfahren verlangt, um eine erste Asylprüfung schon an den Außengrenzen vorzunehmen.
Liegt kein Asylgrund vor, soll die Einreise bereits an der Außengrenze verweigert und der Migrant schnellstmöglich wieder abgeschoben werden. Dieser Vorschlag wird aber von Ländern wie Italien und Griechenland bisher abgelehnt, außerdem bestehen mit zahlreichen Herkunftsstaaten keine Rückführungsabkommen.
Experten fordern Unterstützung für Griechenland und Italien
Die Bearbeitung von Asylanträgen in Griechenland und Italien ist noch immer von langen Bearbeitungszeiten geprägt. Zu diesem Schluss kommt der Europäische Rechnungshof und fordert deshalb effizientere Unterstützung für die Länder.
Quelle: WELT/Sebastian Struwe