Montagsinterview
Jürgen Hardt: „Ohne EU hätten wir deutlich weniger Wohlstand“
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Abgeordneter Jürgen Hardt (CDU) zum Brexit und zu den Vorteilen Europas für das Bergische Land.
Von Andreas Tews
Herr Hardt, die Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der EU sind in der Verlängerung. Sie vertreten die These, dass es zu keinem Brexit kommt. Ist er wirklich noch zu verhindern?
Jürgen Hardt: Ich gebe zu, dass dies eine mutige These ist. Aber ich bleibe dabei. Es ist ja offensichtlich, dass die Erwartungen der Brexit-Befürworter sich in keiner Weise erfüllen werden. In Großbritannien weiß heute jeder, dass der Preis für den Austritt aus der Europäischen Union ein hoher ist. Ich glaube, dass dort am Ende doch die Vernunft siegt und man das Volk ein zweites Mal befragen wird. Bei einem zweiten Referendum gehe ich davon aus, dass eine Entscheidung fällt, in der EU zu bleiben.
Es gibt Stimmen in Großbritannien, dass dies das Land weiter spalten würde.
Hardt: Eine neue Abstimmung könnte durchaus weiter polarisieren. Bei einem harten Brexit ohne ein Abkommen mit der EU wären die Folgen allerdings noch gravierender – allein durch die Diskussion, ob Schottland oder Nordirland in Großbritannien verbleiben. Auch muss man in Großbritannien wissen, dass man bei einem harten Brexit im Verhältnis zur EU nicht einmal den Status von Kanada, Japan oder Südkorea hätte, mit denen die EU mindestens Handelsabkommen hat. Die Türen der EU bleiben auf jeden Fall offen.
Auch ein harter Brexit ist noch möglich. Was droht uns – auch im Bergischen – in einem solchen Fall?
Hardt: Es gäbe negative und positive Effekte. Es wird Einschränkungen im Handel mit Großbritannien geben. Es wird aber auch Unternehmen geben, die ihren Firmensitz aus Großbritannien zum Beispiel nach Deutschland verlegen. Im Bundestag haben wir Gesetze verabschiedet, damit im Fall eines harten Brexits nicht über Nacht unberechenbare Effekte eintreten – zum Beispiel im Hinblick auf Landerechte britischer Flugzeuge auf europäischen Flughäfen oder auf die doppelte Staatsbürgerschaft. Auf britischer Seite gibt es bisher nur eine Entschließung des Parlaments. Das ist noch nicht in Gesetze gegossen. Politisch wäre der Austritt natürlich eine Schwächung der Europäischen Union. Es beruhigt mich aber, dass eine gemeinsame Sicherheitspolitik nicht zur Disposition steht.
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Warum sind die Verhandlungen so verfahren?
Hardt: Das Problem ist, dass Politiker niemals davor gefeit sind, auch stark an die Folgen für sich persönlich zu denken, wenn sie Entscheidungen treffen. Bei der konservativen Partei ist klar, dass sie bei Wahlen abgestraft würde, träte sie mit dem aktuellen Verhandlungsergebnis vor die Bürger. Außerdem tut sich das Unterhaus mit einer Fristverlängerung deswegen so schwer, weil Großbritannien dann nach meiner Einschätzung an der Europawahl im Mai teilnehmen müsste.
Die EU verfolgt eine harte Linie. Warum?
Hardt: Was mit Großbritannien vereinbart ist, sichert die Integrität der Europäischen Union. Ein Aufweichen des Vertragsinhalts würde bedeuten, dass die EU in ihrem Binnenmarkt ein Schlupfloch lässt, durch das die Teilhabe am Binnenmarkt möglich wäre. Großbritannien darf nicht ein solches Schlupfloch sein, das nicht nur Briten, sondern auch Chinesen, andere Asiaten, US- und Lateinamerikaner oder Afrikaner nutzen könnten. Eine Aufweichung der großen Errungenschaft des Binnenmarktes dürfen wir nicht zulassen.
„Ich glaube, dass man das britische Volk ein zweites Mal befragen wird.“
Jürgen Hardt (CDU), Bundestagsabgeordneter
Was können wir aus diesem Hickhack um den Brexit-Prozess lernen?
Hardt: Es ist eine gute Gelegenheit zu zeigen, was die Europäische Union leistet. Ich glaube, dass dieser Prozess vielen Menschen die Augen dafür öffnet, welcher Schatz diese Europäische Union trotz aller Unzulänglichkeiten für uns alle ist. In der Außenwirtschaft wäre Deutschland ohne die EU den Machtspielchen des US-Präsidenten hilflos ausgeliefert. Das hätte auch Folgen für Firmen und Handwerker im Bergischen Land. Andererseits werden wir beim Schutz der Außengrenzen und bei der wirtschaftlichen Entwicklung immer noch nicht den Ansprüchen gerecht.
Was kann Europa besser machen?
Hardt: Vor allem, dass wir uns künftig schon dann auf Regeln einigen, wenn ein Problem noch nicht eingetreten ist. Das wäre zum Beispiel bei der Verteilung der Flüchtlinge möglich gewesen.
Wo stünden wir in Solingen, Remscheid und Wuppertal ohne die EU?
Hardt: Wir hätten deutlich weniger Wohlstand und deutlich mehr Arbeitslose. Gerade für das Bergische Land gilt, dass die meisten kleinen und mittelständischen Unternehmen, die in einem begrenzten Segment international aktiv sind, ohne die Europäische Union längst hätten aufgeben müssen. Oder sie wären in die Hände anderer großer Wirtschaftsakteure – auch von anderen Kontinenten – geraten. Dass
ZUR PERSON
PRIVAT Jürgen Hardt ist 55 Jahre alt, verheiratet und hat eine Tochter.
BERUF Er ist Diplom-Volkswirt. Von 1992 bis 1998 war er Abteilungsleiter in der CDU-Bundesgeschäftsstelle, von 1999 bis 2001 Referent für Europapolitik der CDU-Bundestagsfraktion. Anschließend leitete er bis 2009 die Unternehmenskommunikation der Vorwerk-Gruppe in Wuppertal.
POLITIK Jürgen Hardt ist seit 2015 außenpolitischer Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion. Den Bundestags-Wahlkreis Solingen/Remscheid/Wuppertal-Süd vertritt er als direkt gewählter Abgeordneter seit der Wahl 2009.
sich mittelständische Global Player im Bergischen halten können, hat wesentlich damit zu tun, dass sie sich auf die Außenhandelsarchitektur der EU und den europäischen Binnen-Absatzmarkt so stark verlassen können.
Ende Mai wird auch über die Zukunft der EU entschieden. Was sagen sie denen, die nicht zur Wahl gehen wollen?
Hardt: Wer bei einer Wahl zu Hause bleibt, verzichtet nicht nur auf die Wahrnehmung seines Stimmrechts. Er wertet indirekt auch die Stimme der anderen auf. Radikale Parteien am linken und rechten Rand erreichen eher eine höhere Mobilisierung. Darum bedeutet eine niedrige Wahlbeteiligung eine Stärkung dieser Kräfte. Als Demokrat ist es klug zur Wahl zu gehen, um deutlich zu machen, dass das europäische Projekt gestärkt werden muss. Inhaltlich gilt: Unsere nationale Souveränität kann sich international nur entfalten, wenn mir mit anderen zusammen unsere Kraft in die Waagschale werfen.