Nicht selten verwechseln Eltern ihren eigenen Ehrgeiz mit dem ihrer Kinder. Vor allem im Sport. Beobachten konnte man dies zuletzt bei einem Bambinilauf über 40 Meter im österreichischen Linz, wo verbissene Eltern ihre drei- und vierjährigen Sprösslinge ins Ziel zerrten. Die Kinder konnten gar keinen Spaß haben, geschweige denn eine eigene Motivation entwickeln. Das sieht auch Herbert Steffny so, einer der erfolgreichsten deutschen Marathonläufer und Autor mehrerer Bücher übers Laufen. Steffny sagt, hoher Erwartungsdruck sei für kleine Kinder genauso schädlich wie das übertriebene Behüten durch Helikoptereltern.
Frage: Sie sind Läufer und haben schon viele andere Menschen laufen sehen. Welche Erfahrungen haben Sie mit ehrgeizigen Eltern?
Steffny: Im Extremfall ging es so weit, dass Eltern schon Fünfjährige über die Marathondistanz gejagt haben. Da gibt es sogar Weltbestenlisten. Diese Kinder werden viel zu früh verheizt und noch nie ist jemand von denen als Erwachsener an die Weltspitze gekommen. Häufiger sind es aber einfach überehrgeizige Eltern, die unter Umständen eine Karriere, die sie selbst nicht machen konnten, auf ihre Kinder projizieren. Diese Eltern sind dann zerrend und schreiend bei einem Bambinilauf dabei und treiben ihr weinendes Kind ins Ziel.
Frage: Wie sollte denn ein Bambinilauf eigentlich ablaufen?
Steffny: Bei den Kleinsten ist sicher die Teilnahme an sich wichtig, ohne Zeitnahme und vielleicht ein kleines Geschenk oder Kuscheltier im Ziel. Einfach dabei sein, Spaß haben und die Kinder nach ihrem Gusto laufen lassen. Das liegt auch in der Verantwortung der Eltern. Die Umstehenden fragen sich ja auch: "Ist das noch lustig oder werden die Kinder hier gequält?"
Frage: Welche Auswirkungen haben denn im Gegensatz dazu die vielzitierten Helikoptereltern?
Steffny: Die leiten trotz ambitionierter Sportkurse oft zu Bewegungsarmut an. Durch das Mama-Taxi kommt das alltägliche Laufen viel zu kurz. Wenn man sie überbehütet, werden Kinder gar nicht mehr ans normale Laufen und an Bewegung herangeführt. Das ist vielleicht eine noch schlimmere Tat, die man Kindern antun kann. Obwohl natürlich klar ist: Wenn sie ein drei- oder vierjähriges Kind schon zu einer Kampfmaschine machen wollen, dann frage ich mich wirklich, welches Geisteszustands die Eltern sind. So ein früher Leistungsdruck kann vor allem zur Folge haben, dass die Kids keinen Bock mehr aufs Laufen haben, weil sie da sicherlich schon traumatisiert wurden.
Frage: Wie machen es denn Eltern richtig, wenn sie ihre Kinder zu Langstreckenläufern machen wollen?
Steffny: So vielseitig wie möglich in der Kindheit und frühen Jugend springen, werfen, laufen lassen. Kinder sollen Koordination und Schnelligkeit üben, zum Beispiel in einem Leichtathletikverein, beim Basketball oder Volleyball. Eine Spezialisierung auf Langstreckenlauf sollte aus meiner Sicht nicht vor 16 Jahren erfolgen. Gerade Ausdauer kann man noch sehr spät trainieren, während Schnelligkeit und Koordination im Alter zwischen vier und zwölf Jahren angelegt werden.
Der Veranstalter des Bambinilaufs in Linz hat übrigens reagiert. Nach der Kritik und einem Foto, das zeigt, wie Eltern ihre unwilligen Kinder hinter sich her zerren, entschied er, den Lauf in dieser Form nicht mehr stattfinden zu lassen.
Kommentare
Freude schöner Eierkuchen
#1 — 9. April 2016, 15:36 UhrBei allem Respekt: Sogenannte "Eltern", die ihre schreienden Kinder an ihren kleinen Ärmchen durch die Luft reissen und ihnen dabei fast die Schultergelenke auskugeln, nur um ihren perversen Ehrgeiz zu befriediegen, sind in meinen Augen das Letzte.
oberstarzt
#1.1 — 9. April 2016, 15:48 UhrBei SPON gibt's übrigens eine gallige Kolumne nebst angesprochenen, selbstbezeichnenden Bild dazu:
http://www.spiegel.de/kultur…
easter33
#2 — 9. April 2016, 15:52 UhrIch würde es erst mal nicht überbewerten. Aber klar, es ist offensichtlich, es wollte wohl keiner wegen und mit seinem Kind bei den Allerletzten sein. Und andere vorbeiziehen sehn. Insofern hat es sicherlich auch eine gesellschaftliche Komponente, nämlich sich vorne zu platzieren irgendwie. Möglichst auch der eigene Nachwuchs.
Dabei halte ich es gerade für ein gutes Frustrationstoleranztraining für Eltern und Kinder zu sehen, dass wenn viele loslaufen nicht alle Erster sind, sein können. Man muss gelegentlich auch anderen den Vortritt lassen, weil sie evtl besser sind. Insofern ist es schon eine Offenbarung wenn sogar ein Tritratralla-Lauf nicht als das gesehen werden kann was er eigentlich ist, ein Wochenend-Familienspaß und kein RatRace...
Guenni_1
#2.1 — 9. April 2016, 17:07 UhrKlar, Kinder müssen lernen was es heißt zu verlieren. aber das bei dieser Art von Veranstaltung zu versuchen halte ich für kontraproduktiv, denn so wird den Kindern nur der Spass am Sport genommen.
Lasst nur die Kinder eine kleinere Strecke laufen und empfangt auch den letzten Platz mit einem strahlendem Gesicht und ein wenig Applaus. Dann haben die Kinder wesentlich mehr davon.
willi07
#3 — 9. April 2016, 15:58 UhrDer Bambinilauf in Linz ist nach meiner Überzeugung die Ausnahme. Der natürliche Bewegungsdrang von Kindern macht eine derartige Unterstützung der Eltern/Erwachsenen eigentlich überflüssig. Wie oft beobachte ich auf den Parkplätzen von Supermärkten und Einkaufszentren eher die Erwachsenen hinter den weglaufenden Kindern herrennen.
.Freidenker
#4 — 9. April 2016, 16:06 UhrNach den Cello-Stunden, Reitunterricht und Mandarin für 6 Jährige kann sich das undankbare Kind ja wohl mal beim laufen etwas Mühe geben. *Ironie*
Ich bilde seit einigen Jahren selbst Jugendliche zu Kaufleuten aus und wenn ich da sehe wie weit manche Eltern das treiben wird mir schlecht.
So kommt es auch mal vor das Mutti mit zum Vorstellungsgespräch kommt und sie auf meine Bewerbungsfragen antwortet, auf die Bitte rauszugehen damit ich mich mit dem Bewerber (ihrem Sohn/Tochter) unterhalten könne, reagierten sie völlig perplex.
Diese Eltern gehören nicht selten in die Kategeorie, die ihren Kinder Doppelnamen gibt (gerne gepaart mit einem zweiten Nachnamen) und auf eine gluten-, lactose- und sonstalles-freie Ernährung achten, sie rufen mich einmal täglich an um sich nach dem wohlbefinden ihres Kindes - wohlgemerkt, einem 18-jährigen - zu erkundigen.
Ihr erzieht damit eure Kinder zu Soziopathen!
Mit 12 Burnout, mit 16 Depression und Drogen, lohnt sich dieser Preis des Erfolges?
Ein semi-erfolgreiches, aber absolut verkorkstes Kind zu haben nur damit man sagen kann "Der Jan-Frederik hat im Sitztanz den Ersten Preis bekommen und morgen kommt die Prüfung für den schwarzen Gürtel im Tae kwon do, seinen 11. Geburtstag feiern wir irgendwann nach."
Selber nie etwas auf die Reihe bekommen und nun seine Zweite Chance im Kind sehen