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Niedergang der Lokführer : Einsam

  • -Aktualisiert am

Ein Lokführer in einer Dampflokomotive der Baureihe 44. Bild: Picture-Alliance

Keiner träumt mehr davon, Lokführer zu werden: Ein Beruf, mäßig bezahlt, todlangweilig und mit schwindendem Ansehen.

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          Ein sonniger Morgen in Heidelberg, irgendwann im Jahr 1962: Ein Mann in akkurater Bügelfaltenhose, weißem Hemd, dunkler Strickjacke und strenger schwarzer Brille steigt aus einem polierten Wagen, trägt – ein perfekter Protagonist des westdeutschen Wirtschaftswunders – seine schwarze Aktentasche über den Parkplatz und öffnet die Tür zu einem niedrigen Gebäude. In dem dahinterliegenden Raum zieht er zielgerichtet einen Ordner aus dem Regal, blättert kurz durch die Papiere und meldet sich dann im nächsten Zimmer zum Dienst.

          Der Mann heißt Kurt Henschel. Als ihn ein Redakteur des Stuttgarter Südfunks im Jahr 1962 einen Tag lang bei der Arbeit begleitet, ist er Hauptlokomotivführer bei der staatlich geführten Deutschen Bundesbahn und steuert Schnellzüge durch den Südwesten der Bundesrepublik.

          Henschel trägt während seiner langen Schichten im Führerstand einer E-Lok nicht nur die Verantwortung für das Wohl mehrerer hundert Fahrgäste, er kennt neben den Strecken, die er täglich fährt, auch die detaillierte Funktionsweise der Lok und kann viele Schäden im Ernstfall selbst beheben. Dafür ist er Beamter mit sicherem Gehalt und sicherem Arbeitsplatz und in der Gesellschaft seiner Zeit hoch angesehen.

          Vielleicht hat GDL-Chef Claus Weselsky manchmal Männer wie Henschel im Kopf, wenn er seine Leute dieser Tage streiken lässt für mehr Geld und mehr Macht. Denn wie in vielen anderen Branchen lässt sich auch bei den Lokführern die Zeit der sechziger Jahre leicht als ein goldenes Zeitalter verklären. Der Sprecher des Südfunk-Films bezeichnet Henschel und seine Kollegen ganz unironisch als das „Garderegiment“ der Bahn.

          Lokführer waren angesehen - aber sie lebten gefährlich. Wie sich der Beruf entwickelt hat. Bilderstrecke

          Ohne sie läuft gar nichts, sie sind die unangefochtene Elite unter den Kollegen. Sie beginnen mit dem Rangieren von Güterzügen, arbeiten sich mit der Zeit hoch und steigen alle paar Jahre zuverlässig in die nächsthöhere Besoldungsgruppe auf. Zwar dürfen sie als Beamte anders als heute nicht für ihre Rechte streiken, doch Beschwerden über Lohn oder Arbeitsbedingungen gibt es ohnehin kaum.

          Sicher sind die Lokführer der sechziger Jahre auch ein wenig einsam im Führerstand ihrer Loks, seit die Ausmusterung der Dampflokomotiven ihren ständigen Begleiter, den Heizer, überflüssig gemacht hat. Doch die Einsamkeit und die damit verbundene Verantwortung für die Passagiere, die der Lokführer höchstens im Vorbeieilen auf dem Bahnsteig zu sehen bekommt, hat auch etwas Romantisches, aufopfernd Heroisches gar, das einer Beamtenlaufbahn sonst eher nicht innewohnt.

          Erleichternd kommt hinzu: Anders als noch ihre Vorgänger müssen sich die Lokführer bei der Arbeit nicht mehr schmutzig machen, statt im Overall fahren sie im weißen Hemd. Kleine Jungs träumen davon, wie sie zu werden. Und in der Dorfkneipe sitzen sie mit dem Pfarrer und dem Lehrer am selben Tisch.

          Aristokratie der Arbeiterschaft

          Der Historiker und Soziologe Eric Hobsbawm erfand für Gruppen wie die der Lokführer, die lange Zeit ein besonders hohes Ansehen genossen, eine klare Vorstellung von ihrer zentralen Bedeutung hatten und eng zusammenhielten, den Begriff einer „Aristokratie der Arbeiterschaft“. Das hohe Prestige der Lokführer stammt noch aus der Frühzeit der Eisenbahn und hängt neben der Unentbehrlichkeit ihres Berufs wohl auch damit zusammen, dass ihre Arbeit lange Zeit außerordentlich hart und gefährlich war.

          Auf dem einsamen Führerstand einer Dampflok war der Lokführer Wind und Wetter genauso schutzlos ausgeliefert wie der Hitze, die aus dem Heizkessel drang; das Unfallrisiko war ähnlich hoch wie die Gefahr, an Lungen- oder anderen Leiden zu erkranken.

          Der erste Lokführer Deutschlands, der Brite William Wilson, der im Jahr 1835 sozusagen mitgeliefert wurde, um die Lok auf der ersten Bahnstrecke des Landes von Nürnberg nach Fürth zu steuern, wurde zwar im Vergleich zu heutigen Lokführern geradezu fürstlich bezahlt – sein Gehalt war höher als das des Generaldirektors der Eisenbahngesellschaft. Doch er starb recht früh an einer Krankheit, die unmittelbar mit seiner aufreibenden Arbeit im zugigen Führerhaus der Lok zusammenhing. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts erreichte nur einer von fünf Lokführern das 55. Lebensjahr.

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