Sie schaben Kaugummireste aus den Sitzpolstern, holen mit Pinseln und Hochdruckreinigern Krümel aus den Ritzen, shampoonieren die fleckigen Teppichböden. Die Deutsche Bahn lässt gerade wie wild ihre ICE schrubben und ausmisten – etwa 250 Züge, 2200 Wagen, 2600 Toiletten. Großreinemachen bei der Deutschen Bahn.
Das wurde auch allerhöchste Eisenbahn, die schnellsten Renommierzüge auf deutschen Geleisen mal ordentlich aufzumöbeln. Denn es gilt ein Jubiläum zu feiern: Vor genau 25 Jahren, am 29. Mai 1991, begann in Deutschland das Zeitalter der Hochgeschwindigkeitszüge. Mit bis zu 280 Stundenkilometer rasten die ersten Intercity Express durchs Land. Die Reisezeit sank beispielsweise zwischen Hamburg und Frankfurt um 62 Minuten, zwischen Hamburg und Stuttgart um fast zwei Stunden.
Heute steigen jedes Jahr 79,5 Millionen Bahnreisende in einen der mittlerweile bis 320 Kilometer schnellen ICE, die auch grenzüberschreitend nach Frankreich, Österreich und in die Schweiz rasen.
15 Millionen Euro teurer Putzfimmel
Pünktlich zum Jubiläum sind die meisten dieser ICE blitzblank poliert. Mängel und Macken, die Reisende nerven, sollen behoben sein. Schmuddelige Kopfstützen und Armlehnen wurden ausgetauscht, defekte Strombuchsen und tote Sitzplatzanzeigen repariert.
„Reset“ hat die Deutsche Bahn ihren 15 Millionen teuren Putzfimmel getauft – und der soll von nun an einmal im Jahr stattfinden. „Wir wollen erreichen, dass jeder Zug absolut in Ordnung ist“, sagte Berthold Huber, Vorstand Verkehr und Transport der Deutschen Bahn. Was bisher offenbar ein wenig verschlampt wurde – frei nach dem Motto mies bezahlter Putzfrauen: „Ach, den Dreck sieht man doch unterm Teppich nicht.“
Viele Bahnreisende freuen sich jetzt zwar über die sauberen Züge, wundern sich aber gleichzeitig über das ganze Brimborium. Ein Vielbahnfahrer im Forum „ICE-Treff“ fasst es zusammen: „Schlimm, dass die Bahn für Tätigkeiten, die regelmäßig und selbstverständlich sein sollten, erst ein Programm auflegen muss.“
Einem anderen gefallen immerhin die neu installierten Desinfektionsspender, auf die er notgedrungen zurückgreifen muss, weil es auch im frisch geputzten ICE-Klo mal wieder keine Flüssigseife gibt.
Mit Tempo 250 eine lahme Ente
Dafür hat die Bahn, vielleicht als Jubiläums-Extra, den ICE-Klos ein paar Blümchen spendiert: An den Toilettenfenstern und Waschtischen kleben neuerdings lila und türkisfarbene Blumenvasen. „Wohlfühlfolien“ nennt sie die Deutsche Bahn. Mal mit Flamingoblume, Margerite, Orchidee, damit es nicht so langweilig wird, falls es unterwegs mal etwas länger dauert. Denn jeder fünfte ICE kam 2015 mindestens sechs Minuten zu spät – und zurzeit sieht die Verspätungsstatistik, auch dank der Putzaktion in den ICE-Werken, leider nicht viel besser aus.
Kosmetik allein reicht freilich nicht aus, wenn es um Kundenzufriedenheit geht. Das können andere Hochgeschwindigkeitszüge besser. Kostenlose Sitzplatzreservierung? Selbstverständlich im französischen TGV und im japanischen Shinkansen. Beim ICE kostet sie gleich mal neun Euro bei Hin- und Rückfahrt in der 2. Klasse.
Sitzplätze für alle? Der TGV hat Reservierungszwang, da muss niemand im Gang herumstehen oder stundenlang im Bordbristo Kaffee trinken. Eine funktionierende Sitzplatzreservierungsanzeige, die im ICE dauernd ausfällt und 15 Minuten nach Fahrtbeginn ohnehin erlischt. Eine gleichbleibende Wagenreihung. Pünktlichkeit. Noch schneller? Auch das bleibt eine Illusion: 2017 kommt der neue ICE 4. Der schafft aber nur noch Tempo 250 – und ist damit eine lahme Ente.