Aus Raider wurde Twix, und aus dem ICx wurde heute der ICE 4 – und damit ändert sich künftig eine Menge im Fernverkehr der Deutschen Bahn (DB AG). Die zunächst etwas schamvoll mit einem x versehene Baureihe erhält nun eine stolze Vier im Kürzel. Das soll zeigen, dass sie ein vollwertiges Mitglied in der Reihe der Hochgeschwindigkeitszüge der Bahn ist. Dennoch: Die großen Glanzzeiten der ICE-Züge sind vorbei.
Deutsche Bahn, Zughersteller Siemens und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hatten sich zur offiziellen Verleihung der Zahl Vier samt Fototermin im Berliner Bahnhof Südkreuz versammelt. „Mit dem ICE 4 startet die Bahn in eine neue Ära des ICE-Verkehrs“, sagte Konzernchef Rüdiger Grube. Die im Bahndeutsch „Baureihe 412“ genannten Züge gehen ab Ende 2017 in den Regelbetrieb und ersetzen dann schrittweise die ICE-Züge der Generationen eins und zwei.
Damit nehmen Bahn und Siemens ungewöhnlich lange Anlauf, bis die Züge voll im normalen Fahrplan eingesetzt werden. Aber das hat gute Gründe, die wohl jeder Fahrgast nachvollziehen kann: Die Züge sollen 14 Monate unter realistischen Bedingungen getestet werden. Damit will die Bahn verhindern, dass ICEs zum Einsatz kommen, die wieder voller Mängel stecken – Züge, die bei Schnee und Hitze ausfallen und liegen bleiben, deren Klimaanlagen, Toiletten oder Kaffeemaschinen streiken, kaum dass sie die Fabrikhallen verlassen haben.
Bananen, die beim Kunden reifen
„Grüne Bananen“ nannte die deutsche Bahnindustrie ihre Züge selbst keck bis vor einigen Jahren. Produkte, die „beim Kunden reifen“. Die vielen Ausfälle, die die Fahrgäste, den Großkunden Bahn und am Ende den Eigentümer Bund zur Weißglut brachten und der Industrie Imageverlust und hohe Schadenersatzforderungen einbrachten, führten schließlich zu einem Umdenken.
Der ICE 4 soll nun ab Herbst 2016 in den Probebetrieb gehen, davon zwölf Monate mit Fahrgästen. Was während dieser Zeit an Mängeln erkannt wird, kann noch im Rahmen der Fertigung beseitigt werden. Dieses Vorgehen ist in einem „Qualitätsleitfaden für neue Züge“ festgelegt, auf welchen das Bundesverkehrsministerium die Bahnbranche verpflichtet hatte und der einzigartig in Europa ist. Ziel dieses Leitfadens ist die Produktion von Zügen in Deutschland, die aufgrund ihrer Anfälligkeit nicht mehr laut Eisenbahnerspott „die vier Feinde fürchten: Frühling, Sommer, Herbst und Winter“.
Der neue ICE wird auch einiges an Verbesserungen für die Kunden bieten, zum Beispiel was Displays für Informationen zur Reise angeht. Da sind heute schon viele S-Bahnen besser ausgestattet als die ICEs.
Weniger schnittig
Dennoch zeigt ein Vergleich mit dem ICE 3, dass der jüngste Schnellzug-Spross nicht überall mithalten kann. Das fängt schon bei Form und Design des Zuges an. Der ICE 3 ist elegant, schnittig und aggressiv. Als er konstruiert wurde, setzte er Maßstäbe für die Gestaltung von Hochgeschwindigkeitszügen. Er war formschön, vergleichbar mit den Rennzügen Japans oder dem spanischen Renfe. Der ICE 4 kommt da im direkten Vergleich eher altbacken und behäbig daher. Die Schnauze seines Triebkopfs gleicht einem getunten Regionalzug.
Was kein Wunder ist, denn der ICE 4 muss sich auch nicht als Rennmaschine bewähren und 300 Stundenkilometer oder schneller fahren, so, wie sein älterer Bruder das muss. Denn bei Tempo 250 ist Schluss. Das mag Geschwindigkeitsfanatiker stören, ist aber für die Kunden kein Nachteil. Denn im Schnitt muss ein ICE in Deutschland alle 80 Kilometer halten. Die Chance, Tempo 300 und mehr mal richtig auszufahren, gibt es nur auf ganz wenigen Strecken. Und dort bleibt der ICE 3 ja noch einige Jahre im Einsatz.
Der ICE 4 wird ein pragmatischer Zug sein, nüchterner als sein eleganter Vorgänger
Überhaupt ist der ICE 4 nach der Technik- und Komfortbegeisterung in den Jahren nach der Bahnreform, die den ICE 3 hervorgebracht hat, insgesamt ein vernünftiger Zug. Und wirtschaftlicher dazu. Er ist leichter als seine Vorgänger, verbraucht daher weniger Energie. In den Waggons werden mehr Menschen auf weniger Quadratmetern als in den alten ICE-Zügen untergebracht – was dem Zug schon vor einigen Jahren im ersten Planungsstadium in der „Welt am Sonntag“ die spöttische Überschrift vom „ICeng“ eingebracht hat.
ICE 4 wird ein pragmatischer Zug
Die Bahn verweist bei dieser Gelegenheit bis heute stets gereizt darauf, dass man durch die Weiterentwicklung der Sitze Platz spare. Und daher enger bestuhlen könne, ohne die Beinfreiheit einzuschränken. Aber selbst wenn das Platzangebot schrumpfen sollte: Großzügiger als in jedem beliebigen Flugzeug wird der Raum pro Passagier allemal bemessen sein.
Der ICE 4 wird ein pragmatischer Zug sein, nüchterner als sein eleganter Vorgänger. Er wird über flexibel einsetzbare Einstiegshilfen verfügen, damit Rollstuhlfahrer besser zusteigen können. Er wird weiterentwickelte Klimaanlagen mit zwei Kühlkreisläufen haben, sodass an heißen Tagen weiterhin Kaltluft in die Waggons geblasen werden kann, wenn eine Kühlschleife ausfällt.
Seine Antriebe sind anders als beim ICE 3 so unter dem Zug verteilt, dass die Wagen je nach Bedarf zusammengestellt werden können. Das macht es der Bahn leichter, auf unterschiedliche Auslastungen zu reagieren. Den ICE 3 gab es überwiegend nur in einem Stück. Und: Im ICE 4 wird es möglich sein, Fahrräder mitzunehmen – und das ist bekanntlich deutschen Bahnkunden wichtiger als alles andere im Schienenverkehr. Die Grünen fordern seit Jahren vehement die Fahrradmitnahme in allen DB-Zügen. Nun wird das Wirklichkeit, der ICE 4 wird über acht reservierungspflichtige Fahrradstellplätze verfügen.
Räder können künftig mitgenommen werden
Es wird interessant sein, zuzusehen, wie Freitagnachmittag, wenn alle Pendler und Wochenend-Reisende die Züge stürmen, an großen Bahnhöfen wie Frankfurt, Köln oder Hamburg neben dem Wust an Passagieren die Fahrräder in die Waggons verfrachtet werden. Grube-Vorgänger Hartmut Mehdorn wollte niemals Räder in seine ICEs lassen.
Deutsche Bahn vor tiefgreifendem Umbau
Nach zwölf Jahren schreibt die Deutsche Bahn wieder rote Zahlen und plant ein milliardenschweres Verbesserungsprogramm. Nikolaus Doll aus der „Welt“-Wirtschaftsredaktion schätzt die Situation ein.
Quelle: Die Welt
Zuverlässiger im Einsatz, günstiger im Betrieb, das waren die Leitlinien bei der Entwicklung des neuen Zugs. Die Bahn will mit dem ICE 4 effizienter im Fernverkehr werden. Zum einen muss Bahnchef Grube sparen. Zum anderen waren die ersten drei Generationen der ICEs zwar wegweisend für die Bahnbranche weltweit – aber sie waren alles andere als auf Kostendeckung bei Entwicklung und im Einsatz ausgelegt.
Der Probebetrieb beginnt im Herbst kommenden Jahres auf der Strecke Hamburg–München. Richtig in den Fahrplan integriert wird der ICE 4 ab Dezember 2017 mit acht Zügen auf den Strecken Hamburg–Würzburg, Stuttgart–München sowie Hamburg–Berlin–München.
Es wird schneller geprüft
„Mit dem ICE 4 wird die Modernisierung der DB-Fahrzeugflotte konsequent fortgesetzt. Wir investieren Milliarden in die Infrastruktur, um die Wettbewerbsfähigkeit des Verkehrsträgers Schiene auszubauen“, sagte Verkehrsminister Dobrindt, froh, dass die Bahn nach Streiks und Gewinnwarnung auch mal wieder positive Nachrichten liefert. Dabei hat sich unbemerkt von den Kunden bei den Bedingungen im Schienenverkehr in diesem Jahr einiges zum Besseren verändert.
So war im Juni der „Bahn-TÜV“ in Kraft getreten. Seither können Züge bei den Zulassungen auch von nicht staatlichen Prüfinstituten begutachtet werden. Das soll das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) entlasten, das zwar für seine Gründlichkeit bekannt ist, aber auch für seine endlosen Verfahren. So können neue Züge schneller zugelassen werden. Der Mangel an neuen Zügen ist einer der Hauptgründe für die Probleme im Fernverkehr der Bahn.
Darüber hinaus wird nach Informationen der „Welt“ nun auch die technische Modernisierung bestehender Züge beschleunigt. Bislang muss für jede Änderung an einem Zug ein behördliches Genehmigungsverfahren durchgeführt werden. Das soll sich ändern: Das EBA muss künftig nur noch sicherheitsrelevante Umbaumaßnahmen genehmigen. Die Bahnunternehmen können einfache technische Modernisierungen künftig ohne aufwendiges behördliches Genehmigungsverfahren und damit schneller durchführen.