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Kultur Im Bistro der Bahn

Herr Ober, was machen die Siegrunen in der Suppe?

| Lesedauer: 3 Minuten
Einfach eSSen, wie es euch gefällt: im Bordrestaurant der Deutschen Bahn zwischen Berlin und Düsseldorf Einfach eSSen, wie es euch gefällt: im Bordrestaurant der Deutschen Bahn zwischen Berlin und Düsseldorf
Einfach eSSen, wie es euch gefällt: im Bordrestaurant der Deutschen Bahn zwischen Berlin und Düsseldorf
Quelle: Frederic Schwilden
Eigentlich wollte unser Autor ein schönes Wochenende in Düsseldorf verbringen. Bei Kunst und netten Leuten. Dann machte ihm die Deutsche Bahn im Bordrestaurant zwei zackige Striche durch die Rechnung.

Mit 223 Kilometern pro Stunde gleiten wir criscogeschmeidig in der zweiten ICE-Klasse durch Deutschland. Hannover zieht vorbei. Wir dösen ein wenig. Hagen, der traurigste Bahnhof Deutschlands mit dem einzigen Rewe-Supermarkt auf der ganzen Welt, der mit einem Kamin und einer denkmalgeschützten Uhr das ganz große Timeless-Urbantravel-Shopping verspricht.

Meine Begleitung hat mich eingeladen, das Wochenende mit ihr in Düsseldorf zu verbringen. Tagsüber, so ist der Plan, wollen wir uns eine Kunstausstellung anschauen und abends mit zwei Malern essen gehen. Früher gab es ja sehr viele Maler in Düsseldorf. Wenn man früher an Düsseldorf dachte, dachte man an Markus Lüpertz oder Jörg Immendorf. Die große Malerei der Bundesrepublik kam aus Düsseldorf. Die neuen Maler wohnen jetzt in Berlin oder Leipzig, vermutlich weil das Bier, die Drogen und die Mieten dort günstiger sind.

Bedeutende Köche und einfache Reisende

Aber noch sitzen wir eben im Zug. Reisen macht hungrig, meint meine Begleitung, und ich schlage vor, ins Bordrestaurant zu gehen. Wir lieben das Bordrestaurant. Immer abwechselnd kochen dort Johann Lafer, Alfons Schuhbeck oder Horst Lichter die feinsten Mikrowellengerichte, die man sich vorstellen kann.

Als Vorspeise sehr empfehlenswert: Bratwurst aus der Mikrowelle. Danach mikrowellierte Königsberger Klopse. Und zum Nachtisch einen Schokokuchen – auch aus der Mikrowelle. Die Vorstellung, dass sich diese drei bedeutenden Köche in regelmäßigen Abständen für uns einfache Reisende diese Gerichte ausdenken, sorgsam Aromenakkorde setzen, Käutergarnituren entwickeln, diese Vorstellung machte jedes Essen im Bordrestaurant zu einem noch größeren Genuss.

Klassiker der deutschen Küche

Umso enttäuschter sind wir jetzt natürlich, nachdem wir feststellen mussten, dass die Kooperation mit den von uns so sehr geschätzten Köchen beendet ist. An diesem Tag schaut keiner der drei freundlichen Herren von der Karte. Es gibt keine Gaisburger Marsch von Lichter. Und auch keinen rheinischen Sauerbraten von Schuhbeck. Stattdessen gibt es eine neue Karte mit Aktionsgerichten, die unter dem Motto „Essen, wie es mir gefällt“ auftreten.

Die Bahn schreibt dazu: „Unter dem Motto ‚Essen, wie es mir gefällt‘ bieten wir Ihnen in den kommenden Monaten Aktionsgerichte an, die ‚unbeschwert köstlich‘, ‚traditionell gut‘ oder ‚raffiniert anders‘ sind. Freuen Sie sich bei ‚unbeschwert köstlich‘ auf leichtere Kost. ‚Traditionell gut‘ steht für Klassiker der deutschen Küche. Und für alle, die außergewöhnliche Geschmackserlebnisse genießen möchten, gibt es die Rubrik ‚raffiniert anders‘.

Guck mal, das sind Kiss-Runen!

Die vielen Anführungszeichen, das Feuerwerk von unbeschwert raffinierter traditioneller Köstlichkeit, das ist einfach zu viel, denke ich. Entdecke dann aber die wahre Raffinesse der Speisekarte. Den Schriftzug „Essen, wie es mir gefällt“ muss ein Kiss-Fan gestaltet haben, sage ich zu meiner Begleitung. Toll, sagt die, „I Was Made For Loving You“ habe ihr immer schon gefallen. Doch dann sagt sie: „Guck mal, das sind Siegrunen.“

Es waren ja nicht Kiss, die das zu Blitzen stilisierte Doppel-S als Logo erfunden haben. Es war Hitlers Mörderbande, seine Schutzstaffel. Und genau deren Blitze sehen wir nun in Blutrot auf der Speisekarte im Bordrestaurant, weil wir nicht anders können. Und wir schauen noch mal hin. Und die Runen sind immer noch da. Und im Erklärtext lesen wir die Botschaft, „traditionell gut“ stehe für die Klassiker der deutschen Küche, natürlich noch mal ganz anders. „Unbeschwert köstlich“ ist dann nichts mehr.

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