Es ist noch gar nicht lange her, da wollte sich Siemens ganz aus dem Geschäft mit Zügen und Schienentechnik verabschieden. Für die Übernahme der Energietechnik des Rivalen Alstom hätte man im Gegenzug die Bahnsparte geopfert und an die Franzosen abgestoßen. Nun wurde Alstom mit General Electric handelseinig – und Siemens muss sein Schienengeschäft im Alleingang sanieren.
Das wird kein leichter Job für Jochen Eickholt, den neuen Chef der Sparte Mobility. Denn die schwächelte chronisch und hat zuletzt im zweiten Halbjahr 2013 noch kräftig Verlust gemacht. Anderseits ist Siemens erfahren im Schienengeschäft, seit Jahrzehnten weltweit aufgestellt und in einigen Bereichen Marktführer.
Nur: Der Zeitpunkt für einen Neustart im Bahngeschäft ist denkbar ungünstig. Der mehrere Jahre dauernde Boom im weltweiten Schienengeschäft geht gerade zu Ende. Und der prestige- wie normalerweise margenträchtige ICE, der bei Siemens Velaro heißt, wird als Zugpferd weitgehend ausfallen.
Viele Länder und Kommunen haben nach umfangreichen Investitionen in den Schienenverkehr nun ihr Engagement deutlich zurückgeschraubt. Entsprechend ernüchternd fällt die Einschätzung der gesamte Bahnbranche für das Geschäft kurz vor Beginn der weltweit größten Bahntechnikmesse InnoTrans in Berlin aus.
„Sowohl die Bewertung der aktuellen Geschäftslage sowie die Aussicht auf das kommende Halbjahr werden insgesamt zurückhaltender beurteilt als noch vor einem Quartal“, sagt Maria Leenen, Chefin des auf die Bahnbranche spezialisierten Beratungsunternehmens SCI, der „Welt“. SCI erstellt regelmäßig das Branchenbarometer „Global Rail Index“.
Nachfrage eingebrochen
„Die Nachfrage nach Produkten und Leistungen, ein wichtiger Indikator der Branchenentwicklung, ist eingebrochen“, so Leenen. „Neben der schwachen Wirtschaftslage in Europa trüben vor allem die Sanktionen gegen Russland infolge der Ukraine-Krise die Stimmung der westlichen Bahnindustrie.“ Geschäfte im wichtigen russischen Bahnmarkt drohten künftig an die Konkurrenz in Asien verloren zu gehen.
Der zwischenzeitliche Höhenflug durch zahlreiche neue wichtige Aufträge Anfang 2014 sei jäh gestoppt worden, so die SCI-Expertin: Im Vergleich zum zweiten Quartal 2014 geben nur noch halb so viele Topmanager eine gestiegene Nachfrage an.
Ein Viertel aller Befragten berichtet hingegen von rückläufigen Auftragseingängen“, heißt es im „Rail Index“. Neben der Krise in der Ukraine mit Auswirkungen für das Russlandgeschäft sei die Branche durch die Konflikte in Nahen Osten beunruhigt.
Die Abkühlung der Beziehungen zu Russland ist für die Schienentechnikhersteller offenbar bereits spürbar. Das Reich Putins ist neben China und den USA der mit Abstand wichtigste Bahnmarkt. Das Land ist riesig und verfügt über ein weit ausgebautes, vielfach elektrifiziertes Schienennetz. Aber die Zugflotte ist überaltert und der Investitionsbedarf damit riesig.
Siemens spürt noch nichts von Sanktionen in Russland, versichert Spartenchef Eickholt. Das Gros der Loks, die die Deutschen in Russland verkauften, sei zum Beispiel aus regionaler Produktion und damit weitgehend sicher vor Beschränkungen durch Moskau.
Konkurrenz aus China
Siemens hat auch die hochmodernen Hochgeschwindigkeitszüge für die Strecke St. Petersburg–Moskau gebaut, die Sapsan-Züge. Und obwohl die – anders als in Deutschland – rechtzeitig geliefert wurden und selbst bei scharfem Frost einwandfrei laufen, muss sich Siemens offenbar ungewohnter Konkurrenz erwehren.
Chinesische Medien melden, dass Moskau und Peking über die Lieferung von Superschnellzügen aus chinesischer Produktion für die russische Staatsbahn RZD verhandeln würden. „Die Chinesen springen nicht nur ein, sie bringen auch gleich die nötigen Kredite für das Zuggeschäft mit“, sagt Consultant Maria Leenen.
Ein Zuschlag für den Bau einer russischen Superzugflotte der zweiten Generation könnte „das historische Fenster für die Chinesen Richtung Russland“ sein, so Leenen. „Damit würden sie vor allem Siemens und Alstom treffen.“
Auch in China sind die Hochzeiten für die westlichen Zugbauer und damit für Siemens vorerst vorbei. Zwar hat Peking das zuletzt abrupt gebremste Schienenausbau-Programm wieder angefahren. 300 neue Highspeed-Züge sollen für die Staatsbahn angeschafft werden – zu der bereits bestehenden Flotte. Zum Vergleich: Die Deutsche Bahn, einer der größten Schienenkonzerne weltweit, besitzt insgesamt gerade mal 252 ICE-Züge.
Doch die Schnellzüge für China werden erstmals ganz aus heimischer Produktion kommen. Nachdem die Partei- und Staatsführung Siemens, Alstom, Bombardier und die Shinkansen-Hersteller jahrelang zu Gemeinschaftsunternehmen mit chinesischen Zugbauern verpflichtet hatte, haben die nun genug technisches Wissen, hochmodernste Bahnen selbst vom Band laufen zu lassen. „Das Geschäft mit ganzen Zügen wird ganz sicher schwerer in China“, sagt Leenen.
Siemens-Teile für Chinas Züge
In der Vergangenheit hatte allein Siemens 60 Velaros für die Chinesen gebaut, drei wurden aus Krefeld in die Volksrepublik geliefert, 57 vor Ort gebaut. Der neue Gegenwind entmutigt Siemens allerdings nicht. „Es kommt immer noch ein signifikanter Anteil an Komponenten von Siemens für die chinesischen Hochgeschwindigkeitszüge“, so Eickholt.
Allein damit lag der Auftragseingang für Siemens in vergangenen Jahr bei 700 Millionen Euro. Außerdem halten die Deutschen Lizenzen an den Zügen, das verhindert zum Beispiel, dass die Chinesen die Hochgeschwindigkeitsbahnen so ohne Weiteres ins Ausland weiterverkaufen dürfen.
Auch in Europa, dem lange größten Markt für Highspeed-Züge, läuft das Geschäft eher mau. „Die Zeiten der großen Investitionen sind zunächst einmal vorbei“, sagt Maria Leenen. Und was noch an Projekten läuft, war zuletzt gerade für Siemens alles andere als ein Erfolg. 16 neue ICEs hatte zuletzt die Bahn bestellt, doch Siemens musste die Lieferung immer wieder hinausschieben und die Züge nachbessern.
„Wir werden mit diesem Auftrag kein Geld verdienen“, räumte Spartenchef Eickholt ein. Ebenso wenig wie mit den Superschnellzügen für den Bahnbetreiber Eurostar, der die Verbindung unter dem Ärmelkanal zwischen Frankreich und Großbritannien betreibt. Ein ICE kostet circa 30 Millionen Euro.
Lukrative Aufträge für Regionalzüge
Im dritten großen Bahnmarkt ist die Situation anders: Dort wartet die Branche noch immer darauf, dass die großen, geplanten Schnellstreckenprojekte in Kalifornien und an der Ostküste endlich genehmigt und umgesetzt werden. „Aber gerade in Europa sind die Aussichten für dieses Segment dennoch gar nicht mal schlecht. Denn nach den großen Erstanschaffungen beginnt nun die Phase der Wartung und der Ersatzinvestitionen. Und auch das ist ein millionenschweres Geschäft“, meint SCI-Chefin Leenen.
Und dann sind Schnellzüge ja auch nur ein Teil des Bahngeschäfts von Siemens – wenn auch der prestigeträchtigste. Doch die Münchner bauen auch Signaltechnik, Metros, U- und Straßenbahnen sowie Regionalzüge und Lokomotiven. Und dort gab es zuletzt eine ganze Reihe von lukrativen Großaufträgen.
Siemens hatte unter anderem den Auftrag zum Bau der 1140 Regionalzüge für die Thameslink-Linie durch London erhalten. Volumen: 1,8 Milliarden Euro. Der erste dieser Züge wird in Berlin auf der InnoTrans zu sehen sein.
Und als Nächstes erwarten die Münchner aus den USA nach dem Zuschlag, dort 70 Loks der US-Bahngesellschaft Amtrak über 15 Jahre zu warten (Volumen 100 Millionen Euro), einen ähnlich riesigen Zuschlag. Es soll um Stadtbahnen gehen. Details gibt es vorerst keine, Eickholt will vollzogene Erfolge vermelden.