Griechenland und Russland: "Ätsch, ich hab noch einen großen Bruder"

Ein Interview von

Kriegsdenkmal in Griechenland: Debatte um Reparationsansprüche Zur Großansicht
REUTERS

Kriegsdenkmal in Griechenland: Debatte um Reparationsansprüche

Wladimir Putin gibt den großen Freund und Helfer Griechenlands. Der Historiker Hagen Fleischer hält das für einen Bluff.

Zur Person
  • AFP
    Hagen Fleischer, 71, studierte an der FU Berlin Geschichte und Publizistik und promovierte dort 1977. Im gleichen Jahr zog er nach Athen, wo er seitdem permanent lebt, seit 1985 hat er neben der deutschen auch die griechische Staatsbürgerschaft. Fleischer habilitierte in Athen, wo er seit 1992 als Professor für Neuere Griechische Geschichte unterrichtet hat. Er gilt mit rund hundert wissenschaftlichen Veröffentlichungen als führender Experte zur nationalsozialistischen Besatzungspolitik in Europa und den Folgen des Zweiten Weltkrieges, sein besonderes Engagement gilt der Aufarbeitung der deutschen Okkupation Griechenlands und der Wiedergutmachung.
SPIEGEL: Athen setzt erneut auf seine guten Beziehungen zu Moskau. Das griechische Verteidigungsministerium jubelt über Putins Angebot, russische Archive zu öffnen, und will so Schwung in die Debatte um Reparationsansprüche gegenüber Deutschland bringen. Rechnen Sie mit neuen Enthüllungen?

Fleischer: Ich erwarte da keine dollen Sachen. Die von der Roten Armee erbeuteten Wehrmachtsakten betreffen fast nur die Ostfront, die Unterlagen der in Griechenland eingesetzten Einheiten wurden entweder bei deren Abzug vernichtet, sie fielen auf dem Rückzug der deutschen Truppen in die Hände der Tito-Partisanen oder wurden erfolgreich repatriiert. Von diesen landete ein kleinerer Teil im Potsdamer Zentralarchiv. Dort hatten die Sowjets natürlich Zugang, aber auch dieses Material ist längst ausgewertet, zumeist schon seit den Nürnberger Prozessen.

SPIEGEL: Warum dann das Getöse aus Athen?

Fleischer: Psychologisch ist das verständlich. Man will den verschnupften Europäern zeigen, dass es auf dem globalen Schachbrett noch andere "Player" gibt, Putin eben oder auch China. Doch die zählbaren Erfolge blieben bislang mager, deshalb erscheint diese Taktik wie ein Bluff unter unreifen Halbstarken. Hat man Ärger, gibt man an: Ätsch, ich hab noch einen großen Bruder, der hilft mir jetzt. Aber große Hilfe sehe ich nicht.

SPIEGEL: Was macht Sie da so sicher?

Fleischer: Was ist denn beim Besuch von Tsipras in Moskau herausgekommen? Putin hat mit großer Geste eine kleine Ikone an Griechenland zurückgegeben, die ein deutscher Landser gestohlen hatte.

SPIEGEL: Es ist aber nicht das erste Mal, dass sich die Athener Regierung lauthals über Schützenhilfe aus dem Ausland freute.

Fleischer: Das stimmt. Jüngst verkündete sie triumphierend, sie hätte "kürzlich" 400.000 Blatt Griechenlandakten aus US-Archiven erworben. Tatsächlich handelt es sich um Mikrofilme, die Griechenland gleich doppelt gekauft hat, das erste Mal schon 1978 auf meine Initiative hin durch die Athener Akademie der Wissenschaften, und dann noch einmal 2006 durch das griechische Amt für Militärgeschichte. Nun wurden sie "wiederentdeckt" und mit viel Trara der Weltöffentlichkeit präsentiert. Die oft schlecht lesbaren Filmrollen wurden von den Amerikanern seit einem halben Jahrhundert an zahllose Interessenten verkauft, die ihnen zugrunde liegenden Originalakten sind im Freiburger Militärarchiv einsehbar, im Ergebnis also auch nichts Neues. Es ist schwierig, keine Satire hierüber zu schreiben.

SPIEGEL: Bundespräsident Joachim Gauck hat dafür plädiert, "Möglichkeiten für Wiedergutmachung" an Griechenland auszuloten. Im vorigen Jahr wurde bereits ein deutsch-griechischer Zukunftsfonds mit jeweils einer Million Euro über vier Jahre aufgelegt, reicht das?

Fleischer: Nein, offensichtlich sieht Gauck das ebenso. Ein Zukunftsfonds darf nicht nur ein Alibi-Titel für Restmittel aus dem Etat sein, sondern er muss in Ansatz und Umfang seinen Namen verdienen. Erforderlich ist also eine großzügig dotierte Stiftung zur wissenschaftlichen und medialen Aufarbeitung der deutschen Besatzung sowie zur Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen mit symbolischer und praktischer Bedeutung für die Opfergemeinden.

SPIEGEL: Dann würde Griechenland von seinen Milliardenforderungen abrücken?

Fleischer: Ich glaube, eine Mehrheit der Griechen wäre bereit, von maximalistischen Forderungen abzurücken, unter der Voraussetzung, dass Deutschland endlich von seiner Mauertaktik abrückt. Das kann die Bundesregierung am Beispiel des sogenannten Zwangskredites unter Beweis stellen, die Besatzungsanleihe ist immerhin sogar vom Nazi-Regime als Darlehen anerkannt worden. Differenzen zwischen Partnern mit konträren Rechtsauffassungen lassen sich nicht einseitig, mit dem Recht des Stärkeren "klären", sondern nur am Verhandlungstisch.

Forum - Diskutieren Sie über diesen Artikel
insgesamt 149 Beiträge
Alle Kommentare öffnen
    Seite 1    
1. Tipp für die Griechen
Alias_aka_InCognito 17.05.2015
Ob Bluff oder nicht, es wirkt ungemein. Wenn ich in Griechenland was zu sagen hätte, würde ich Staatsbesuche von Dmitri Medwedew und Wladimir Putin in regelmäßigen Abständen organisieren, dazu noch die Beziehungen bis zu griechisch-russischen Parlamentariergruppen ausbauen, die sich in großer Runde gegenseitig besuchen. Das gleiche mit Xi Jinping und Ministerpräsident Li Keqiang. Da braucht dann der Varoufakis in Berlin nur mal kräftig auf den Tisch zu hauen und sagen: "Her mit der Kohle und Klappe zu!" Da haben Merkel und Schäuble nicht mehr viel zu melden, zumal sie dann auch noch Druck von Obama bekommen würden.
2. Ich kann Herrn Fleischer zustimmen
Inselbewohner, 17.05.2015
Natürlich ist das Gehabe der GR pubertär: Ätsch, ich hab noch einen großen Bruder! Von den Russen und Chinesen kann die GR Regierung nichts erwarten außer sie bekommen etwas adequates als Gegenleistung. Aber hat GL nicht. Was den Kredit betrifft sollte man tatsächlich drüber reden vor allem in welcher Höhe und in welcher Laufzeit zurück gezahlt wird.(die wollen natürlich alles auf einmal) Was die Reparationen betrifft verkennt Herr Fleischer die Intentionen die GL hat. Die wollen keine Stiftungen oder der Gleichen, die wollen 278 Milliarden Chash auf die Kralle. Insgesamt ein gutes Interview ohne Häme und Hetze. HP
3. Zwangsanleihe
tullrich 17.05.2015
Ich dachte immer, die Zwangsanleihe wäre gar keine Zwangsanleihe gewesen. So liest man es jedenfalls bei der Konkurrenz.
4. Bürgerkrieg Teil 2
Waudel 17.05.2015
In Griechenland fand der 2. Weltkrieg eine Fortsetztung im Bürgerkrieg Sowietunion gegen Westmächte. Jetzt sind die Kommunisten durch Wahlen an die Macht gekommen und schon haben wir die gleiche Konstellation: Russland gegen die Westmächte. Damals siegte der Westen militärisch, jetzt wird er wirtschaftlich siegen. Verlierer damals wie heute ist das Volk, das unter der Auseinandersetzung leidet.
5. Na und ?
dexterous 17.05.2015
Meine Steuergelder werden auch weiterhin dazu genutzt Banken zu sanieren.
Alle Kommentare öffnen
    Seite 1    

© SPIEGEL ONLINE 2015
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH



  • Drucken
  • Nutzungsrechte Feedback
  • Kommentieren | 149 Kommentare
Fotostrecke
NS-Verbrechen: Griechenlands unvergessenes Leid

Fläche: 131.957 km²

Bevölkerung: 11,063 Mio.

Hauptstadt: Athen

Staatsoberhaupt:
Prokopis Pavlopoulos

Regierungschef: Alexis Tsipras

Mehr auf der Themenseite | Wikipedia | Griechenland-Reiseseite