Griechenland und Russland: "Ätsch, ich hab noch einen großen Bruder"
Wladimir Putin gibt den großen Freund und Helfer Griechenlands. Der Historiker Hagen Fleischer hält das für einen Bluff.
- AFP
SPIEGEL: Warum dann das Getöse aus Athen?
Fleischer: Psychologisch ist das verständlich. Man will den verschnupften Europäern zeigen, dass es auf dem globalen Schachbrett noch andere "Player" gibt, Putin eben oder auch China. Doch die zählbaren Erfolge blieben bislang mager, deshalb erscheint diese Taktik wie ein Bluff unter unreifen Halbstarken. Hat man Ärger, gibt man an: Ätsch, ich hab noch einen großen Bruder, der hilft mir jetzt. Aber große Hilfe sehe ich nicht.
SPIEGEL: Was macht Sie da so sicher?
Fleischer: Was ist denn beim Besuch von Tsipras in Moskau herausgekommen? Putin hat mit großer Geste eine kleine Ikone an Griechenland zurückgegeben, die ein deutscher Landser gestohlen hatte.
SPIEGEL: Es ist aber nicht das erste Mal, dass sich die Athener Regierung lauthals über Schützenhilfe aus dem Ausland freute.
Fleischer: Das stimmt. Jüngst verkündete sie triumphierend, sie hätte "kürzlich" 400.000 Blatt Griechenlandakten aus US-Archiven erworben. Tatsächlich handelt es sich um Mikrofilme, die Griechenland gleich doppelt gekauft hat, das erste Mal schon 1978 auf meine Initiative hin durch die Athener Akademie der Wissenschaften, und dann noch einmal 2006 durch das griechische Amt für Militärgeschichte. Nun wurden sie "wiederentdeckt" und mit viel Trara der Weltöffentlichkeit präsentiert. Die oft schlecht lesbaren Filmrollen wurden von den Amerikanern seit einem halben Jahrhundert an zahllose Interessenten verkauft, die ihnen zugrunde liegenden Originalakten sind im Freiburger Militärarchiv einsehbar, im Ergebnis also auch nichts Neues. Es ist schwierig, keine Satire hierüber zu schreiben.
SPIEGEL: Bundespräsident Joachim Gauck hat dafür plädiert, "Möglichkeiten für Wiedergutmachung" an Griechenland auszuloten. Im vorigen Jahr wurde bereits ein deutsch-griechischer Zukunftsfonds mit jeweils einer Million Euro über vier Jahre aufgelegt, reicht das?
SPIEGEL: Dann würde Griechenland von seinen Milliardenforderungen abrücken?
Fleischer: Ich glaube, eine Mehrheit der Griechen wäre bereit, von maximalistischen Forderungen abzurücken, unter der Voraussetzung, dass Deutschland endlich von seiner Mauertaktik abrückt. Das kann die Bundesregierung am Beispiel des sogenannten Zwangskredites unter Beweis stellen, die Besatzungsanleihe ist immerhin sogar vom Nazi-Regime als Darlehen anerkannt worden. Differenzen zwischen Partnern mit konträren Rechtsauffassungen lassen sich nicht einseitig, mit dem Recht des Stärkeren "klären", sondern nur am Verhandlungstisch.
© SPIEGEL ONLINE 2015
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH

Fläche: 131.957 km²
Bevölkerung: 11,063 Mio.
Hauptstadt: Athen
Staatsoberhaupt:
Prokopis Pavlopoulos
Regierungschef: Alexis Tsipras
Mehr auf der Themenseite | Wikipedia | Griechenland-Reiseseite
- Mögliches Euro-Aus für Griechenland: Varoufakis warnt vor Rückfall in die Steinzeit (14.05.2015)
- Privatisierung: Griechenland startet Hafen-Verkauf in Piräus (14.05.2015)
- Video in griechischer U-Bahn: "Wir fordern ein, was uns Deutschland schuldet" (08.05.2015)
- Reparationsforderungen: Gauck offen für Wiedergutmachung an Griechen (01.05.2015)
- Athen droht mit Pfändung deutschen Eigentums: Dürfen die das? (11.03.2015)
- Entschädigung für Kriegsverbrechen: Bundesregierung lehnt Athens Forderungen ab (11.03.2015)
- Reparationsforderungen: Griechische Schüler sollen mehr über Nazi-Verbrechen lernen (12.03.2015)
- Kampf gegen Korruption: "Griechische Beamte sind inkompetent" (11.03.2015)
- Entschädigung für Naziverbrechen: Tsipras wirft Deutschland Trickserei in Reparationsfrage vor (11.03.2015)
- Griechenlands Reparationsforderung: Der nette Herr Gauck sagt nein (06.03.2014)
- Entschädigung für Naziverbrechen: Athens Sonderbotschafter fordert Milliarden für Aufbaubank (07.03.2015)