Geruchskino Nase voll vom Film!

Geruchskino: Rubbeln, riechen, röcheln Fotos
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Von wegen dufte: 1940 erschien der erste "Smellie" der Welt und rief die Polizei auf den Plan. Später nebelten Riechfilm-Regisseure ihr Publikum ein, um gegen die TV-Konkurrenz anzustinken - bis ein Kritiker um Lachgas flehte. Von

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Drei Dollar bezahlt der Mann mit der grünen Plastikjacke - für einen Abend gepflegter Quälerei. Hinter seinem Kinosessel postiert sich ein Bediensteter in Livree und beginnt, ihn zu malträtieren: Passend zu den Szenen des Liebesfilms schüttet der Gehilfe dem arglosen Zuschauer einen Drink in den Schoß, hält ihm ein Messer an den Hals, ohrfeigt und küsst ihn.

Kaum noch Luft bekommt er, als der Mann ihn mit einer großen Parfümwolke traktiert. Als eine Stimme aus dem Off den Zuschauer nach Filmende einlädt, eine weitere Vorstellung des "Rundum-Fühl-Kinos" - nämlich "Deep Throat" - zu genießen, ergreift der schockierte Kerl schreiend die Flucht.

"Kentucky Fried Movie" heißt die Komödie von 1977, aus der diese Szene stammt. Genüsslich mokieren sich seine Macher über einen uralten Regisseurstraum: das sogenannte "synästhetische" Kino, das alle körperlichen Sinne zugleich anregt. Ein Film für Auge, Ohr, Zunge, Haut - und Nase. Gerade die Idee eines Geruchskinos, bei dem einzelne Szenen durch passende Duftmarken verstärkt werden, zog Filmemacher wie Utopisten von Anbeginn magisch in ihren Bann.

Sauerkraut und Rossäpfel

Schon 1932 fabulierte Aldous Huxley in "Schöne neue Welt" von einem "Super-Stereo-Ton-Farben- und Fühlfilm mit synchronisierter Duftorgel-Begleitung". Die obskure Geruchsmaschine, so Huxley, pustet wahlweise eine "Nase Sauerkraut", ein "Rüchlein Rossäpfel" oder aber ein "köstlich erfrischendes Kräuterkapriccio-Wellchen von Thymian und Lavendel" ins Publikum.

Während Huxleys Rundum-Kino eine literarische Fiktion blieb, machte der Schweizer Hans E. Laube Ernst - und entwickelte in den Dreißigerjahren das sogenannte "Odorated Talking-Pictures"-Verfahren (O.T.P.): eine Technik, mit deren Hilfe bis zu 4000 Düfte simuliert und auf die Zuschauer losgelassen werden konnten.

Zwar wussten schon Theaterregisseure um die Macht des Geruchs, streuten Nadelhölzer auf den Boden, um Waldatmosphäre zu schaffen, oder setzten Suppe auf, um eine Restaurantszene anzudeuten. Auch peppten Anfang des 20. Jahrhunderts findige Kinobesitzer den Stummfilm mit Duftnoten auf. So hängte etwa der US-Impresario Samuel Roxy Rothafel 1906 anlässlich einer Wochenschau zum "Rose Bowl Game" in Rosenessenz getränkte Wattebäusche vor die Kino-Ventilatoren.

Lavendel, Zigaretten, Desinfektionsspray, Zigaretten

Doch erst die Schweizer Produktion "My Dream" leistete tatsächlich die Verbindung von Bild, Ton und Geruch. Als erster "Smellie" der Filmgeschichte sorgte der 70-Minuten-Film bei seiner Uraufführung am 10. Oktober 1940 in New York für Furore. Ort der Premiere: der Schweizer Pavillon der Weltausstellung. Während die Alpenrepublik im Erdgeschoss mit regionalen Käsesorten für sich warb, strapazierten ein Stockwerk höher die Duftregisseure Hans E. Laube und Robert Barth die Riecher der Zuschauer.

Die Handlung des Films geriet dabei zur Nebensache: Bob verliebt sich in Mary, die türmt, aber ein Taschentuch mit ihrem Parfüm fallen lässt. Daraufhin schnüffelt sich Bob so lange durch diverse Gebirgsidylle, bis er Mary aufspürt und vom Fleck weg heiratet. Mit der Nase partizipierten die Zuschauer an der liebestollen Suche und kämpften sich durch Schwaden von Lavendelduft, Desinfektionsspray und Zigarettenqualm - bis hin zum Weihrauch-Heirats-Happy-End.

Die Gerüche, so mutmaßte ein mäßig beeindruckter Journalist der Filmzeitschrift "Business Screen Magazine", drangen aus zwei Lüftungsschlitzen in den Kinosaal. Der Kritiker monierte, dass manche Aromen bizarr gewesen seien - so habe etwa das Auto nach Schuhcreme gerochen. Sein Resümee: "Das ständige Bombardement der Nasen war eher anstrengend, und wir waren erleichtert, nach der Vorstellung wieder draußen an der frischen Luft zu sein."

In 80 Gerüchen um die Welt

Am Ende der Vorstellung beschlagnahmte die Polizei laut Filmwissenschaftler Hervé Dumont das hochgeheime O.P.T.-Gerät Laubes mitsamt der einzigen Filmkopie. Zur Begründung hieß es, in den USA existiere bereits ein ähnliches, patentiertes System. Der mit einem Budget von 30.000 Franken gedrehte, englisch synchronisierte Smellie hatte das Interesse Hollywoods wecken sollen - stattdessen geriet er zum Flop und stürzte seine Macher in ein finanzielles Desaster.

Nur ein Visionär begeisterte sich für die O.T.P.-Technik: der US-Filmproduzent und zeitweilige Liz-Taylor-Gatte Michael Todd. Er begegnete Laube auf der Weltausstellung in New York und spielte mit dem Gedanken, seinen Streifen "In 80 Tagen um die Welt" (1956) mit Gerüchen zu garnieren. Nach Todds Ableben griff dessen Sohn die Idee auf und produzierte gemeinsam mit Laube den Duftfilm-Thriller "Scent of Mystery".

Wie bei "My Dream" ging es auch hier weniger um die Handlung (eine duftende Sie, der ein verliebter Er nachstellt), sondern um das Geruchserlebnis: Eigens für den Film wurden drei Kinos, in Chicago, New York und Los Angeles, mit dem "Smell-O-Vision"-System ausgestattet: Jeweils mehr als eine Meile (knapp 1700 Meter) Plastikröhren ließ Laube verlegen, bis jeder Kinosessel mit der Geruchszentrale hinter den Kulissen verbunden war.

"Wie eine Meute Spürhunde"

Im Februar 1960 feierte der Smellie Premiere: Auf ein Audiosignal von der Tonspur hin ließ der Schweizer mehr als 30 verschiedene Gerüche in den Saal wehen, Sekunden später wurde ein neutralisierender Duftstoff in den Saal gepustet. Mit breitspurigen Slogans warben Laube und Todd für ihr revolutionäres Nasenkino: "Erst bewegten sie sich (1895)! Dann sprachen sie (1927)! Jetzt riechen sie!"

Allein für die Umrüstung des Lichtspielhauses in Chicago investierten die Filmemacher 15.000 Dollar (entspricht aktuell rund 105.000 Euro) - und scheiterten kläglich. "Die Zuschauer im Saal schniefen und schnüffeln wie eine Meute Spürhunde", beschwerte sich ein Kritiker der "New York Times" und schlug vor, statt der nervtötenden Aromen lieber Lachgas in den Raum zu pumpen.

Das "Smell-O-Vision-System" floppte ebenso wie die zeitgleich entwickelte "AromaRama"-Technik, bei der die Gerüche über die Klimaanlage in den Saal geleitet wurden. "Die Tigerjagd roch nach Bananenöl, der fischende Kormoran nach feuchtem Stroh", ätzte ein Journalist der "New York Times" anlässlich der Premiere des mit AromaRama aufgemotzten Dokumentarfilms "Behind the Great Wall" (1959). Und ein Kritiker der "Time" urteilte: "Ein wunderschönes, altes Piniengehölz in Peking war unterlegt mit dem Gestank eines U-Bahn-Klos am Tag der Desinfektion."

Badewasser, Kot und Diesel

Um gegen die Konkurrenz des Fernsehens anzustinken, griffen die Kinoproduzenten in den Fünfziger- und Sechzigerjahren tief in die Effekte-Trickkiste: Sie versuchten, das Publikum mit spektakulären Leinwandformaten, schrillem Technicolor-Look, wummerndem Sound und 3D vom heimischen Sessel loszueisen. Die mutigsten von ihnen riskierten das Duftfilm-Abenteuer - doch jedes Mal rümpften die Zuschauer die Nase.

Endgültig zur Farce geriet das Geruchskino dank John Waters, dem wahlweise zum "Schund-König", "Anal-Anarchisten" oder "Kotz-Prinz" geadelten Trashfilm-Regisseur. 1981 kam dessen B-Movie "Polyester" in die amerikanischen Kinos - Waters beleidigte sein Publikum einmal mehr, indem er es mit den Aromen von Badewasser, Kot und Diesel bombardierte.

Funktioniert hat das Geruchsspektakel über Rubbelkarten: Auf ein Signal von der Leinwand hin mussten die Zuschauer am entsprechenden Feld kratzen und sich durch die Suburbia-Satire schnüffeln. Das Ganze stank natürlich zum Himmel - doch erledigt war das Duftfilm-Experiment damit noch lange nicht. Selbst im 21. Jahrhundert tüfteln ambitionierte Kino-Revoluzzer noch immer an neuen Techniken, etwa dem "Sniffman": einer Art Walkman für die Nase, der dem Zuschauer um den Hals gehängt wird und zu den Filmszenen passende Düfte absondert.

Dass trotz aller technischen Bemühungen beim Smellie der Misserfolg vorprogrammiert ist, da jede Nase Gerüche anders wahrnimmt, hat B-Movie-Filmer Waters schon in den Achtzigern geahnt. Und sich diebisch drüber gefreut: "Wenn das Publikum auf den Teppich kotzt", jubilierte er, "ist das auch eine Form von Beifall."

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1. Polyester
Henning Marcard, 28.02.2015
habe ich in ODORAMA genossen. Ein großer Spaß!
2. Polyester...
Ralf Orlowski, 28.02.2015
...gerochen und gesehen Anfang der 80er im hannoverschen Programmkino. Schöne Trash-Erinnerung und ich bin mir sicher, dass ungebrauchte Original-Rubbelkarten (wahrscheinlich besonders in Japan) zu Höchstpreisen gehandelt werden.
3. Vor einigen Jahren...
Haste Nichgesehn, 01.03.2015
...fiel mir die alte Duftkarte aus 'Polyester' in die Hände. Alle Felder hatten ihren Geruch vollständig verloren - bis auf die 4, die der Zuschauer abrubbeln musste, als Hauptdarsteller/in Divine vor der Gartentür in einen Hundehaufen trat! Ich kann mich lebhaft an die Zuschauerreaktionen im Kino erinnern...
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