Satire in der Flüchtlingkrise "Stachel in der Political Correctness"

Die Karikatur des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo löste Empörung aus, weil sie den toten syrischen Jungen Aylan Kurdi unter der Überschrift "So nahe am Ziel ..." zeigt. Daneben steht ein Plakat mit McDonald's-Werbung: "Zwei Kindermenüs für den Preis von einem". Gibt es Grenzen für Satire, wenn es an die Würde des Todes oder auch die eines Menschen geht? Ein Gespräch mit Alexander Filipović, Professor für Medienethik an der Hochschule für Philosophie München.

Von Klara Fröhlich

SZ: Herr Filipović, dass die "Charlie Hebdo"-Karikatur viele Menschen angesprochen hat, ist verständlich. Aber was genau an der Karikatur löste so viel Verärgerung aus?

Alexander Filipović: Diese Karikatur arbeitet ganz klar mit Schock-Elementen. Wir kennen das Foto von Aylan Kurdi alle, weil es zur Ikone für die Flüchtlingskrise geworden ist und durch alle Medien ging. Diese Karikatur bezieht sich auf das Bild. Da liegt der tote Junge am Strand. Auf dem Schild daneben ist ein McDonald's-Clown. Klar, dass da Leute sofort drauf anspringen und sich aufregen. Es ist ein Stachel in der Political Correctness.

Was heißt das?

Es gibt eine gesellschaftsweite Regelung, was politisch korrekt ist, was in der Gesellschaft gesagt werden darf und was nicht. Das ist mit neuen Normen und Werten, mit einer geschlechtergerechten Sprache und fairem sprachlichen Verhalten gegenüber Minderheiten verbunden. Die Leute setzen Moral allerdings mit dieser politischen Korrektheit gleich. Das ist aber etwas ganz anderes. Satire spielt an dieser Stelle mit den Grenzen.

Was Satire ja auch eigentlich machen soll, oder?

Ja, schon. Aber sie muss eine konstruktive Perspektive haben, die man auch erkennen muss. Wir merken an den Diskussionen um Satire eher, dass wir Schwierigkeiten haben, in der Öffentlichkeit über Werte und Moral zu streiten. Wenn die Leute sich die Karikatur mal in Ruhe angucken würden, zwei Tage lang nichts posten und erst mal überlegen würden, was sie darstellen könnte, dann wäre viel gewonnen.

Satiremagazin Online-Ausstellung für "Charlie Hebdo"

Ein halbes Jahr nach dem tödlichen Anschlag auf "Charlie Hebdo" wird dem Pariser Magazin eine Ausstellung gewidmet - online und auf Deutsch.

Zu was für einer Erkenntnis würden die Leute dann kommen?

Dass sich die Karikatur nicht über das Kind lustig macht, sondern eher ins Bewusstsein holen will, dass Flüchtlinge in eine Welt kommen, in der nicht alles so perfekt ist, wie sie glauben. Oder wie wir selbst glauben. Hier gibt es McDonald's, Konsum und einen niveaulosen Markt. Wir sollen uns nicht so vorkommen, als lebten wir im gelobten Land.

Die Reaktionen auf die Karikatur waren also übertrieben?

Man muss bedenken, dass so eine Satirezeitschrift in den Zeiten von Echtzeit-Öffentlichkeit in den sozialen Medien ganz anders wirkt als vor zehn Jahren. Von jetzt auf gleich ist das Bild in den Timelines und Newsfeeds der Menschen. Das hat dann natürlich eine andere Wirkung, als liege so ein Heft an irgendeinem Pariser Bahnhof. Da kaufen es sich Menschen, gucken es sich im Zug mit mehr Zeit an, reden am nächsten Tag noch mal darüber. Manche echauffieren sich vielleicht auch. Aber das war's dann.

Heute haben viele Menschen Smartphones.

Ja, und sie können sofort auf ihren Handys kommentieren, kriegen Likes und Sympathien, weil sie sich für Flüchtlinge engagieren. Aber sie überdenken das was sie sehen weniger. Das sind Mechanismen mit denen Satiriker heute rechnen müssen.

Das Bild von dem toten Aylan hätten Sie in Medien nicht gezeigt, die Karikatur schon. Warum?

Es ist erst mal eine Zeichnung und deswegen etwas anderes als ein Foto. Bei dem Foto würde ich dafür plädieren, es so nicht in der Zeitung zu zeigen, weil es Menschen vielleicht so berührt oder ergreift, dass sie das gar nicht wollen. Leser sollten selbst entscheiden können, ob sie es angucken wollen oder nicht.