14.03.2015

Idole Kamera im Kuli

Von Buschmann, Rafael; Pfeil, Gerhard; Schmitt, Jörg

Ein Mithäftling schreibt ein Buch, Fernsehsender drehen Filme - Uli Hoeneß muss dabei zusehen, wie seine Knaststory vermarktet wird.

Die Bilder sind unscharf, zu sehen sind ein Flur, Deckenlampen, Türen, die Kamera wackelt, man hört Männerstimmen, Schritte, irgendwann erscheint für ein paar Sekunden die Silhouette einer Person. "Da!", sagt Susann K. "Das isser, der Hoeneß."

Frau K. hat sich weit nach vorn gebeugt und guckt auf ihren Laptop. "Ich glaube, da geht er zur Krankenstation. Na ja, viel ist nicht zu erkennen." Sie probiert es mit der nächsten Datei. Frau K. hat 30 Filme auf ihrem Computer. Knastfilme, die Uli Hoeneß in der JVA Landsberg zeigen sollen. Beim Kartenspielen, beim Hofgang. Ihr Mann, der auch in Landsberg einsitzt, habe die meisten Filme mit einer in einem Kugelschreiber versteckten Kamera gedreht. "Der Hoeneß hat nichts gemerkt", sagt Frau K.

Sie wohnt in einem Dorf in Oberbayern, im Wohnzimmer brennt ein Kaminfeuer. Für 20 Euro habe sie die Kugelschreiberkamera in einem Elektrofachgeschäft gekauft, es sei kein Problem gewesen, das James-Bond-Spielzeug in den Knast zu schmuggeln. "Wir hatten drei Speicherkarten, 16 Gigabyte, 4 Gigabyte und 3 Gigabyte. Da passt schon was drauf. Außerdem verwendeten wir einen Langlaufakku. Man konnte drei Stunden lang filmen. Ein Ladekabel gab es natürlich auch."

Auch reingeschmuggelt?

"Ja, klar."

Frau K. hat die Knastfilme Medien angeboten, bislang gibt es keinen Abnehmer. Inzwischen hat ihr Mann ein Buch über seine Haftzeit mit Hoeneß geschrieben, 200 Seiten. Sobald sie einen Verleger haben, komme "alles auf den Tisch".

Was genau? "Die ganze Wahrheit", sagt Frau K.

Was ist die ganze Wahrheit im Fall Uli Hoeneß? Schwer zu sagen. Vor einem Jahr wurde der ehemalige Präsident des FC Bayern wegen Steuerhinterziehung zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Danach wurde diskutiert, ob die Strafe nicht zu milde sei für einen Mann, der dem Fiskus 28,5 Millionen Euro vorenthalten hat. Später, als er schon in Landsberg im Knast saß, hieß es, Hoeneß genieße den Status eines "Edelknackis", er soll ein Trimmrad in seinem Zimmer gehabt haben.

Mittlerweile sitzt Hoeneß seit knapp zehn Monaten im Knast, und es lässt sich sagen, auch die vermeintlich kurze Gefängnisstrafe ist für ihn eine Strafe. In einer Zelle wird selbst ein großes Fußballidol klein. Hoeneß, so ist zu hören, habe "schwierige Phasen" durchlebt. Er habe gute und ein paar schlechte Erfahrungen im Gefängnis gemacht. Nicht nur mit dem Mann von Frau K., dem Hoeneß öfter sein "Kicker"-Fußballmagazin ausborgte. Dass der Mitinsasse häufig einen Kugelschreiber in seiner Brusttasche trug, fiel ihm nicht auf.

Uli Hoeneß war als Fußballer Weltmeister, er überlebte einen Flugzeugabsturz und machte den FC Bayern München zu einem der reichsten Klubs der Welt. Doch dieser Teil seiner Geschichte verschwindet gerade. Er ist jetzt der berühmteste Häftling Deutschlands. Die Steueraffäre überwölbt alles.

Aktuell werden drei Fernsehfilme über Hoeneß gedreht. Das ZDF produziert ein Dokudrama, Sat.1 eine Dokumentation, die den Steuerfall aufrollen soll, sowie einen Spielfilm. Die Satire "Udo Honig - kein schlechter Mensch" mit Uwe Ochsenknecht in der Hauptrolle soll im Herbst laufen. Die Handlung spielt fast ausschließlich im Gefängnis. Der Protagonist, ein spielsüchtiger Vereinsmanager, möbelt im Knast die Anstaltsmetzgerei auf und rettet in einem bizarren Exkurs für die CSU die Autobahnmaut. Der Plot sei absichtlich gaga, um rechtlichen Problemen mit dem Original aus dem Weg zu gehen. "Aber selbst im absurdesten Witz steckt ja immer ein bisschen Wahrheit", sagt Regisseur Uwe Janson.

Hoeneß weiß, dass da draußen gerade seine Geschichte neu erzählt wird. Man kann sich ungefähr vorstellen, wie ihn das wurmt. Er war ein Mann, der die meiste Zeit seines Lebens alles im Griff hatte, aber nun sitzt er im Gefängnis, er hat nicht mehr die Kontrolle.

Die Steueraffäre ist für Hoeneß ein nicht enden wollender Albtraum. Das Urteil, heißt es, habe ihn schockiert, er hatte wohl auf Bewährung gehofft. Über 40 Millionen Euro hat er inzwischen nachgezahlt. Für die Strafjustiz ist die Causa abgeschlossen.

In Juristenkreisen aber wird der Fall bis heute debattiert: Warum wurde der Steuerprozess vor dem Landgericht München II im vorigen März in nur vier Tagen durchgepeitscht? Wurde überhaupt richtig ermittelt? Es kursieren diverse Verschwörungstheorien. Fahnder raunen, in Wahrheit sei alles noch viel größer. Belege gibt es dafür keine.

Bis heute weiß Hoeneß nicht, wer der geheimnisvolle Informant ist, der seinen Fall ins Rollen gebracht hat. Der Mann sitzt in einem Restaurant in Genf, man darf nicht schreiben, wie er heißt, wo er wohnt, wo er arbeitet. Er ist der Anonymus.

Vor Jahren lieferte der Mann einem Reporter des "Stern" Informationen über ein Zocker-Konto bei der Vontobel-Bank in Zürich, über das wild spekuliert wurde. Es gab keinen Namen, nur ein paar Zahlen sowie eine Kontonummer. Hoeneß erfuhr von den Recherchen. Irgendwann erschien ein Artikel. Er verlor die Nerven, ließ seinen Steueranwalt eine Selbstanzeige zimmern. Alles flog auf .

Der Anonymus sagt, er interessiere sich nicht besonders für Fußball, er habe nichts gegen Uli Hoeneß, es sei ihm um Gerechtigkeit gegangen. Der Mann redet über die Aktiengeschäfte, die Hoeneß getätigt haben soll, über dreistellige Millionensummen. Es hätten noch andere Prominente aus dem Fußballgeschäft ein Konto bei Banken in Zürich gehabt, behauptet der Anonymus. Vielleicht hätten die ja alle ihre Steuern bezahlt. Er trinkt den Kaffee aus, steht auf und ist weg.

Seit Hoeneß im Gefängnis ist, äußert er sich nicht zu seinem Fall. Auch seine Familie gibt keine Interviews, um Hafterleichterungen nicht zu gefährden. Hoeneß sitzt seit Januar in der JVA Rothenfeld in Andechs und arbeitet wieder beim FC Bayern, in der Jugendabteilung. Es ist zu erwarten, dass er bald öfter an Wochenenden die Strafvollzugsanstalt verlassen darf. Er sei ein vorbildlicher Häftling, heißt es.

In einem Jahr könnte Hoeneß vorzeitig entlassen werden. Vielleicht kämpft er dann um seine Geschichte. Viele Fans erwarten sein Comeback beim FC Bayern. "Das war's noch nicht", hatte er gesagt, bevor er einrücken musste.

Einer, der ihn gut kennt, ist sich da nicht mehr so sicher. Eine Zelle könne einen Menschen verändern. Ein paarmal habe Hoeneß schon von einer Zukunft ohne den Klub geredet.

* In der Geschäftsstelle des FC Bayern München.

DER SPIEGEL 12/2015
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