Berlinale-Chef Kosslick: "Quoten-Deutsche sind chancenlos"
Überangebot? Gibt es auch im Kaufhaus. Angst vor Terror? Nicht mehr als sonst. Deutsche im Wettbewerb? Wichtig, aber nicht selbstverständlich. Festival-Chef Dieter Kosslick über die Besonderheiten der 65. Berlinale und einen koreanischen Irrtum.
SPIEGEL ONLINE: Warum läuft "The Interview" eigentlich nicht auf der Berlinale, sozusagen als Signal für die Meinungsfreiheit?
Kosslick: Das war für uns kein Thema, vor allem deshalb, weil der Film ja längst gestartet ist und somit nicht mehr relevant für uns war. Allein die Nordkoreaner scheinen damit gerechnet zu haben, denn normalerweise haben wir jedes Jahr eine Delegation aus Pjöngjang auf dem European Film Market, deren Teilnahme wurde aber dieses Mal abgesagt. Vielleicht, weil sie nicht in die Situation kommen wollten, zu "The Interview" befragt zu werden.
SPIEGEL ONLINE: Wird es angesichts dieser diplomatischen Spannungen und des "Charlie Hebdo"-Attentats erhöhte Sicherheitsmaßnahmen auf der Berlinale geben?
Kosslick: Wir haben schon immer erhöhte Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, weil wir viel Publikum und immer wieder auch Staatsgäste haben. Unsere Sicherheitsabteilung arbeitet eng mit den Behörden zusammen. Aber wir haben keine Angst, dass etwas passiert.
SPIEGEL ONLINE: Sie zeigen immer wieder politisch kontroverses Kino. Welche Filme des Programms sind dieses Jahr besonders brisant?
Kosslick: Wir haben zum Beispiel zahlreiche Filme über das topaktuelle Thema Folter, vor allem bei dem Dokumentarfilm "Der Perlmuttknopf" von Patricio Guzmán stockt einem der Atem. Ein dokumentarischer Essay über die Geschichte Chiles, verwoben mit den historischen Gräueln der Kolonisation, der Zerstörung der indigenen Kultur und dem Folterregime des chilenischen Diktators Pinochet im 20. Jahrhundert. Unter ihm wurden Tausende Menschen betäubt, gefoltert und in Säcken verpackt bei lebendigem Leib über dem Meer abgeworfen. Ebenfalls aus Chile kommt "El Club", ein Film von Pablo Larrain über Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche. Und einen rumänischen Film über religiösen Wahn und Rassismus haben wir auch im Wettbewerb.
SPIEGEL ONLINE: Südamerika hat einen kleinen Schwerpunkt dieses Jahr, dafür gibt es weniger Filme aus dem arabischen Raum. Zufall? Oder haben Sie sich von der angespannten politischen Lage beeinflussen lassen?
Kosslick: Nein, da halte ich mich an Helmut Kohl: Wenn Du von allen Seiten bedrängt wirst, kannst du nicht umfallen. Das arabische Filmschaffen ist zwar nicht im Wettbewerb, dafür aber gut in den anderen Sektionen vertreten. Außerdem gibt es dieses Jahr auf dem European Film Market zum ersten Mal einen eigenen Stand unabhängiger arabischer Filmproduzenten.
SPIEGEL ONLINE: 400 Filme in den Festival-Sektionen, dazu rund tausend Vorführungen auf dem European Film Market. Wieviel Masse verträgt die Berlinale noch, bis sie ihr Profil verliert?
Kosslick: Es ist schon lange unübersichtlich! Unübersichtlich ist aber auch die Lebensmittelabteilung vom KaDeWe, und das ist die erfolgreichste Lebensmittel-Etage in Deutschland. Die führen ungefähr 20 Sorten Linsen, darunter die roten, die nur im hintersten Winkel von Syrien wachsen, oder die, die nur mit Tauchern geerntet werden können. Das alles bietet das KaDeWe, und so ist es auch bei uns. Aber die Grenze ist erreicht: Wir haben nicht mehr Leinwände, wir können nicht noch mehr Karten verkaufen. Was noch wächst, ist der Markt.
SPIEGEL ONLINE: Trotzdem: Mussten jetzt auch noch Fernsehserien ihre eigene Sektion bekommen?
Kosslick: Unbedingt sogar. Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder TV-Serien gezeigt, unter anderem von Dominik Graf. Diesmal wollten wir dafür einen eigenen Schwerpunkt im Berlinale Special schaffen. Das war schwieriger, als wir dachten, aber jetzt haben wir acht Serien aus Deutschland, Europa und den USA ausgewählt, die wir als Premieren zeigen.
SPIEGEL ONLINE: Darunter der von Fans ersehnte "Breaking Bad"-Spin-Off "Better Call Saul". Wenn Sie die großen Filmregisseure nicht mehr nach Berlin locken können, nehmen Sie jetzt eben die heißesten TV-Serien?
Kosslick: Nein, wir haben bei den Filmen alle bekommen, die wir haben wollten, und noch einige mehr.
SPIEGEL ONLINE: Ist das Festival so üppig ausgestattet, dass man es sich leisten kann, den neuen Wim-Wenders-Film außer Konkurrenz zu zeigen?
Kosslick: Wir wussten lange nicht, ob wir ihn überhaupt bekommen würden, und wir haben ja eh schon Wenders-Festspiele! Er bekommt den Goldenen Ehrenbären, wir zeigen zehn digital restaurierte Filme von ihm. Und dann noch ein Wettbewerbsfilm mit so hochkarätigen Darstellern, noch dazu der einzige, der in 3D gedreht wurde - das wäre ein bisschen viel.
SPIEGEL ONLINE: Insgesamt treten fünf deutsche Regisseure im offiziellen Programm an. Ist die Berlinale ein sicherer Hafen für heimische Filmemacher, die bei den anderen Festivals scheitern?
Kosslick: Früher ging es mal darum, zu beweisen, dass deutsche Filme im Wettbewerb bestehen können. Dann haben internationale Jurys sehr oft diese deutschen Filme und ihre Schauspieler ausgezeichnet. Das hat sich normalisiert. Aber es ist eine gefährliche Sache: Ich kann es mir nicht leisten, keinen deutschen Film in den Wettbewerb zu nehmen, noch schlimmer aber wäre es, einen schlechten deutschen Film zu nehmen. Wobei man sich über gut oder schlecht ja streiten kann. Das ist aber eher der Job der Kritiker.
Kosslick: Einfach so einen Film in den Wettbewerb zu nehmen, nur weil er deutsch ist? Habe ich nie gemacht, Quoten-Deutsche sind chancenlos. Meine Intention war, als ich bei der Berlinale antrat, dass der deutsche Film auch bei anderen großen Festivals eine Rolle spielt. Und das konnte ich nur erreichen, indem ich ihn so lange auf der Berlinale zeige, bis die anderen sagen: Jetzt müssen wir die auch mal nehmen, sind ja gar nicht so schlecht. Ich glaube, der Berlinale ist es gelungen, Cannes und Venedig vom deutschen Film zu überzeugen (lacht).
65. Internationale Filmfestspiele Berlin: 5. - 15. Februar 2015
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