Sonntag, 17. Januar 2016

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Die Wirtschaftsglosse Deflation? Kein Problem.

Ernstes Wort mit dem türkischen Großhändler: Obst wurde zuletzt um 0,4 Prozent billiger

Den Kampf gegen die Deflation können wir nun wahrlich nicht der EZB überlassen. Den Regierungen natürlich auch nicht. Am Ende des Tages nehmen wir die Sache besser selbst in die Hand.

Tja, die Statistik, wer hat das Fach bloß erfunden?, fragen sich nicht nur Studenten aller Himmels- und Forschungsrichtungen, die sich durch Prüfungen in der wohl überschätztesten Disziplin der Menschheit zittern. Die Apologeten eben jener so genannten Wissenschaft haben wieder schlechte Nachrichten verbreitet: Im Januar sanken die Verbraucherpreise in Deutschland, zum ersten Mal seit der Wirtschaftskrise 2009, und zwar um staune und schreibe 0,3 Prozent.

Ein tabellarisches Erdbeben, ein Zahlen-Tsunami, im Statistischen Bundesamt in Wiesbaden ist seit heute nichts mehr wie es vorher war.

Deflation, nicht der Islam oder Sepp Blatter, scheint die wahre Bedrohung des Abendlandes, jedenfalls wenn man den Währungsimamen der EZB Glauben schenkt. Manche sehnen schon eine neue Bewegung herbei: Pagede - Patriotische Europäer gegen Deflation. Die Anhänger marschieren von Billigtanke zu Billigtanke, bewaffnet mit der entsprechenden App des Bundeskartellamtes.

Dietmar Student
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Die EZB verspricht Hilfe, will kaltgepresste Staatsanleihen vor allem aus der südeuropäischen Olivenzone aufkaufen, so für alles in allem eine Billion Euro. Aber: Vergesst die EZB! Das wird nichts, das können wir billiger und einfacher haben.

Gut, von den arabischen Scheichs ist leider keine Unterstützung zu erwarten. Was kümmert die unsere Deflationsfurcht? Die schicken den Ölpreis nach ihrem Gusto einfach auf Talfahrt. Nichts zu machen, da fehlt uns die Handhabe, man hat halt keinen Einfluss auf die Morgenländer.

Aber was ist mit den hiesigen, uns über Jahrzehnte ans Herz gewachsenen Stromkonzernen? Da will RWE doch glatt die Preise zum 1. März senken, um dramatische 1,3 Prozent. Wegen vermeintlich niedrigerer Beschaffungskosten oder sonstiger Ausreden. Frechheit!

Auch andere Energieanbieter verhalten sich unsolidarisch gegenüber der deutschen Wirtschaftsgemeinschaft. Bislang konnte man sich stets auf die Abkassiermentalität der Zunft verlassen, sozusagen den Stromzähler danach stellen. Im Grunde waren sie ein Bollwerk gegen die Deflation. Und jetzt? Da hilft nur der konsequente Anbieterwechsel: zum Deluxe-Tarif von Gucci, Greenpeace oder anderen Premium-Labeln.

Wir müssen tiefer in das Flechtwerk des deutschen Warenkorbs hinein, nützt ja alles nichts. Die Nettokaltmiete zum Beispiel ist im Januar nur um unverschämte 1,3 Prozent gestiegen. Warum nicht mal beim Vermieter klingeln? Man wollte mal fragen, ob nicht die Miete unter Umständen ... äh... drastisch erhöht werden könnte, schließlich wurde neulich erst eine superschicke 1-A-Seifenschale angeschraubt ... man wolle ja nicht gleich mit dem Mieterverein drohen.

Obst wurde zuletzt um 0,4 Prozent billiger. Da müssen wir mal ein ernstes Wort mit dem türkischen Großhändler reden. Also, wenn die Türkei in die EU möchte, wäre es jetzt mal an der Zeit für eine Goodwill-Aktion im Sinne des gemeinsamen Inflationsraumes.

Normalerweise ist es Sache der Parteien, die richtigen Signale zu senden. Gründlich schief gegangen ist das allerdings bei den Piraten (ja, die gibt's noch!). Die werben doch glatt vor den Bürgerschaftswahlen in Hamburg mit dem Slogan: "HVV für lau". Ein kostenfreier Transport mit öffentlichen Verkehrsmitteln - es gibt kaum einen schnelleren Weg, um unsere Volkswirtschaft zu deflationieren.

Womöglich müssen wir auch zu härteren Maßnahmen greifen. Korruption kommt ja leider mehr und mehr aus der Mode, kann aber in diesem Fall durchaus angebracht sein. Es geht schließlich um unser aller Wohlergehen. Jeden Monat schwärmen Hunderte nebenamtlicher Preisermittler aus, notieren hier eine Preissenkung, dort einen Rabatt. Überwiegend Rentner vom Typ Knöllchen-Horst, also Leute, die es stets sehr, sehr genau nehmen.

Warum nicht mal die Truppe zum Grünkohlessen einladen? Nach dem einen oder anderen Verdauungsschnaps holen wir dann die Radiergummis raus und korrigieren die ermittelten Werte ein wenig nach oben. Nicht etwa willkürlich, sagen wir mal um 40 Prozent, je nach Alkoholgehalt des spendierten Getränks.

So gesehen hat Statistik doch auch ihre guten Seiten.

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