Legida-Aufmarsch in Leipzig: Freiheit auch für miese Meinung
Leipzig hat das Verbot von Mohammed-Karikaturen beim Legida-Aufmarsch im letzten Moment kassiert. Dagegen protestiert hatten nicht etwa die Islamgegner, sondern Journalisten, Künstler und Politiker. Ein beruhigendes Signal.
Es ist ein gutes Zeichen, dass Leipzig das Religionsbeschimpfungsverbot beim ersten Aufmarsch des Pegida-Ablegers Legida wieder aufgehoben hat. Und es ist gut, wie es dazu kam.
Es wäre ein schreiender Widerspruch gewesen, wären nur einen Tag später in Deutschland religionskritische Karikaturen bei einer Demonstration verboten worden.
"Das Zeigen sogenannter Mohammed-Karikaturen sowie anderer den Islam oder andere Religionen beschimpfender oder böswillig verunglimpfender Plakate, Transparente, Banner oder anderer Kundgebungsmittel wird untersagt", hieß es in dem Bescheid des Leipziger Ordnungsamts an die Legida-Organisatoren vom 8. Januar. "Nach Paris muss man davon ausgehen, dass die Mohammed-Karikaturen eine Provokation sind", erklärte ein Sprecher der Stadt. Das Verbot sei einvernehmlich mit den Legida-Anführern zustande gekommen.
"Bankrotterklärung" und "Selbstzensur"
Tatsächlich stand auf der Legida-Webseite kein Wort des Protests gegen die Auflage der Stadt. Glück gehabt, könnte man sagen: Die Islamgegner hätten das Verbot durchaus nutzen können, um sich als Vorkämpfer der Meinungsfreiheit zu stilisieren.
Umso erfreulicher, woher der Protest stattdessen kam. Von Zensur und einer unzulässigen Einschränkung der freien Meinungsäußerung sprach Leipzigs FDP-Stadtrat René Hobusch. "Wenn die Selbstzensur schon so früh nach den entsetzlichen Morden einsetzen würde, wäre das eine Bankrotterklärung", schimpfte der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff. "Es ist nicht Aufgabe eines Ordnungsamts, über die Zulässigkeit von Mitteln der Satire zu entscheiden", erklärte der Deutsche Journalistenverband (DJV). Das Verbot könne "als Einknicken vor der Bedrohung der Meinungsfreiheit aufgefasst werden", warnte Klaus Staeck, Satiriker und Präsident der Akademie der Künste in Berlin.
"Ich verabscheue, was Sie schreiben, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie weiterhin schreiben können": Dieser Satz, der (wohl irrtümlich) der französischen Aufklärungs-Lichtgestalt Voltaire zugeschrieben wird, war nach den Pariser Morden oft zu lesen. Doch er sollte nicht nur Gläubigen zugerufen werden, um sie - völlig zu Recht - darauf hinzuweisen, dass sie es ertragen müssen, wenn man sich über ihre Religion lustig macht. Er gilt auch dann, wenn Demonstranten die Grundwerte der freiheitlichen Gesellschaft infrage stellen.
Es ist gut, dass das Leipziger Verbot auf breite Ablehnung jener gestoßen ist, die über den Verdacht geistiger Nähe zu Pegida erhaben sind. Und es ist gut, dass die Aufmärsche der Islamgegner vielerorts von einer noch größeren Menge an Gegendemonstranten empfangen werden. Beides zeigt, dass politische und religiöse Diskurse in Deutschland keine Verbote brauchen.
E-Mail: Markus_Becker@spiegel.de
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