Heute in den Feuilletons: "Eine Satire voller Maßlosigkeit und Boshaftigkeit"

Die "Berliner Zeitung" feiert die Klang- und Bildertableaus in den Mashups von Kutiman. "SZ" und "Zeit" nehmen sich der Frage an, ob man um den Erhalt der Hamburger City-Höfe kämpfen sollte. Alle lieben Houellebecq und Degas.

Efeu - Die Kulturrundschau

Bühne, 07.01.2015

Calixto Bieitos Otello hat zwar kein schwarzes Gesicht, aber eine schwarze Seele - wie alle anderen in der Oper auch, meint Joachim Lange im Standard. Er sieht Bieitos Baseler Inszenierung vor allem als Studie über den Frauenhass in einer vermeintlich zivilisierten Gesellschaft: "Traumatisiert durch eine brutale Vergewaltigung in der Ehe, kann sich Desdemona kaum auf den Beinen halten. Als sie dann auch noch gedemütigt und von Otello bespuckt wird, bewegt sich keine Miene und rührt sich keine Hand, um ihr zu helfen. Kein Gesandter, kein Cassio, kein Mann aus dem allenfalls entsetzten Unterschichtenvolk. Dabei spielt Bieito diesmal bewusst mit einer geradezu oratorischen Erstarrung mitten im emotionalen Orkan der Musik. Diese Lähmung wirkt umso beklemmender, als die Bühne von Susanne Gschwender mit dem Werft-Ambiente hinterm Wellblechtor und einem riesigen Baukran ohnehin schon trostlos und kalt ist."

Musik, 07.01.2015

Ziemlich toll findet Christian Schlüter (Berliner Zeitung) die Mashups von Kutiman, der dafür aus Youtube-Videos entnommene Schnipsel zu eigenen Stücken montiert und collagiert: "Das auf diese Weise entstehende Klang- und Bildertableau ist überwältigend. Einmal, weil es die flüchtige Gelegenheitsarbeit aus einem mehr oder weniger täglich geführten Musik-Blog in ein professionell produziertes Musikstück verwandelt. Und dann, weil es die lebensweltlichen Umstände, unter denen alle Musiker ihren Beitrag zu dem Stück geschaffen haben, sichtbar macht: Wir sehen verrümpelte Wohnzimmer, aufgeräumte Tonstudios, sonnige Hausveranden und leere Straßenzüge."

Weitere Artikel: Susanne Lenz (Berliner Zeitung) porträtiert Kraftwerk-Gründer Ralf Huetter. Im Tagesspiegel bringt Agnes Monka Hintergründe dazu, dass Nicht-EU-Musiker künftig aus der Schweiz ausgewiesen werden könnten. Im Tagesspiegel blickt Nadine Lange auf mögliche Attraktionen des kommenden Musikjahrs 2015. Alex Bechberger spricht in der taz mit Detlef Diederichsen und Timo Blunck über deren Band Die Zimmermänner.

Architektur, 07.01.2015

In Hamburg stehen die City-Höfe am Hauptbahnhof zur Diskussion. Anders als bei den vor wenigen Monaten abgerissenen Esso-Häusern auf St. Pauli regt sich hier allerdings kaum Widerstand, berichtet Till Briegleb in der SZ: "Denn der wuchtige Komplex hat einen entscheidenden Makel: Er ist nicht schön." In der Zeit plädierte zuvor Christoph Twickel für den Erhalt des Komplexes. Marc Zitzmann besucht für die NZZ das neue Musée des Confluences bei Lyon, eine "gigantische graue galaktische Schabe".

Literatur, 07.01.2015

Auch Thomas Steinfeld (SZ) hat jetzt Michel Houellebecqs neuen Roman "Soumission" gelesen. Das Buch, meint er, stützt sich nicht nur auf eine exzellente literaturhistorische Basis, sondern steht auch eher quer zur Debatte, die es ausgelöst hat: "Houellebecq dreht die Fiktionen dieser Volksfreunde, der Islam sei eine dämonische Angelegenheit und auf die Unterwanderung des Abendlands angelegt, schlicht um: Das Abendland ist nicht zu retten, es hat sich aufgelöst in der 'mörderischen Absurdität' der Nationen und des Nationalismus."

Rudolf Balmer hat für die taz unterdessen die Reaktionen in den französischen Feuilletons gesichtet und kommt dabei zu dem Schluss: "Wie immer stellt Houellebecq voller Sarkasmus infrage, was den französischen Intellektuellen und Medien in ihrer eigenen Verlogenheit als politisch oder sexuell korrekt gilt."

Bernard-Henri Lévy verteidigt "Soumission" gegen seine Kritiker von links und Liebhaber von rechts: "'Soumission' ist eine Fabel. Ein grausames und spöttisches Märchen. Eine Satire, deren Maßlosigkeit und Boshaftigkeit nur von einigen Episoden der jüngsten Aktualität übertroffen wird: dem Club Med, der von den Chinesen gekauft wird, der Omnipräsenz Qatars, den Geisterschiffen, die vor unseren Küsten kreuzen und die wir so gern ignorieren würden. Dies nicht zu verstehen, hieße das Genre des Romans missverstehen, in dem, wie Kundera sagte, jedes moralische Urteil aufgehoben ist." Online steht jetzt das NouvelObs-Interview mit Houellebecq, in dem Houellebecq unter anderem erklärt, warum er die Entstehung einer muslimischen Partei für plausibel hält.

Besprochen werden Richard Fords "Let Me Be Frank With You" (taz), Ron Segals "Jeder Tag wie heute" ( ZeitOnline ), Cormac McCarthys "Ein Kind Gottes" ( Tagesspiegel ) und eine Ausstellung zum Thema "Zwanzig Jahre Institut für Textkritik 1994-2014" in Frankfurt (FAZ).

Film, 07.01.2015

Cristina Nord ( taz ) schreibt den Nachruf auf den französischen Regisseur René Vautier. Besprochen werden die neue Bill-Murray-Komödie "St. Vincent" ( Berliner Zeitung ) und "Ich seh Ich seh" des Wiener Autoren- und Regieduos Veronika Franz und Severin Fiala ( Standard ).

Kunst, 07.01.2015

Nach den Besprechungen in der FAZ , FR und Stuttgarter Nachrichten streift jetzt auch Gottfried Knapp für die SZ beglückt durch die Edgar-Degas-Ausstellung der Kunsthalle Karlsruhe, die "erstaunlichste der Saison". Sie regt den Kritiker zu einigen grundsätzlichen Überlegungen an: "Kein Künstler hat die Ausdrucksformen der Alten Meister so direkt in Avantgarde-Kühnheiten umzumünzen verstanden wie der Maler, der von der Nachwelt den Impressionisten zugeschlagen worden ist, obwohl seine skrupulöse Arbeitsweise - er erarbeitete sich jede Bildkomposition über zahlreiche Detailskizzen - in größtem Widerspruch stand zu der direktverwertenden Spontaneität, mit der die Impressionisten die Objekte ihrer Umgebung ins Bild setzten."

Besprochen werden Tobias Rehbergers Münsteraner Projekt "the moon in alabama" mit seinen kunterbunten Rohre und Leuchtobjekte (FAZ) und die Ausstellung "Sophie Taeuber-Arp - Heute ist Morgen" in der Kunsthalle Bielefeld (FAZ).


9Punkt - Die Debattenrundschau

Kulturpolitik, 07.01.2015

Arno Widmann hat sich für die Berliner Zeitung noch einmal die Deutschland-Ausstellung "Memories of a Nation" im British Museum angesehen (die heute auch von Angela Merkel besucht werden wird). Und bei allen Qualitäten hat er doch eine Lücke bemerkt: Die Naturwissenschaften kommen nicht vor: "Denkt man eine Sekunde darüber nach, wird einem deutlich, dass die Lücke in der Londoner Ausstellung sehr genau eine Lücke im deutschen Selbstbild darstellt. Es gibt wahrscheinlich nur sehr Wenige, die, nach Deutschland befragt, auf die Idee kämen, die Quantenphysik, Relativitätstheorie und Unschärferelation zu erwähnen. Obwohl jeder sofort versteht, dass sie den wahrscheinlich wichtigsten Umbruch in der menschlichen Weltwahrnehmung bedeuten. Polytheismus, Monotheismus - das sind winzige Differenzierungen verglichen damit."

Im Tagesspiegel fragt Rüdiger Schaper, ob es Berlin gelingen wird, aus dem Humboldt-Forum mehr zu machen als nur ein Ethnologisches Museum auf neuestem Stand.

Überwachung, 07.01.2015

(Via Netzpolitik ) Der Free Software-Pionier Richard Stallman wendet sich in einem Blogbeitrag gegen den Limousinendienstleister Uber - nicht nur wegen dessen extrem aggressiven Auftretens, sondern weil jede Fahrt mit Uber in den Computern gespeichert bleibt: "Reale Taxis kannst du auf der Straße rufen, du kannst in bar zahlen, du bleibst anonym. Glaub nicht, dass Uber eine einfache Alternative zu Taxis ist. Im Moment stimmt das noch, aber wenn Uber Erfolg hat, verschwinden Taxis. Willst du dann tun, wenn du Big Brother nicht mitteilen willst, wohin du gehst?"

Die bekannte slowenische Journalistin Anuska Delic hat Beziehungen zwischen slowenischen Rechtsextremisten und der Demokratischen Partei (SDS) aufgedeckt. Nun soll sie ins Gefängnis, berichtet die Presse mit der Agentur APA: "Die Staatsanwaltschaft wirft der Enthüllungsjournalistin vor, in ihren Artikeln Geheimdienstinformationen veröffentlicht zu haben, was schädliche Folgen für die Arbeit des Auslandsgeheimdienstes SOVA gehabt haben soll."

Politik, 07.01.2015

Wer sich über Pegida aufregt, aber nicht über den Islamismus, greift zu kurz, meint Alice Schwarzer in einem Artikel, der auf Twitter laut Meedia große Empörung ausgelöst hat: "Selbstverständlich müssen wir diese Flüchtlinge aufnehmen und ihnen beistehen! Aber: Wir müssten gleichzeitig die Ursachen des Horrors bekämpfen. Und das nicht nur mit Drohnen gegen den selbsternannten 'Islamischen Staat' (die zu 70 Prozent die Zivilbevölkerung treffen, wie alle Drohnen), sondern auch und vor allem, indem wir die verantwortlichen Staaten, die den Terror ermutigen und finanzieren, zur Verantwortung ziehen. Und das sind nicht nur zutiefst anti-demokratische, islamistische Länder wie Saudi-Arabien oder Katar, mit denen wir beste diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen pflegen."

Weiteres: Adrian Lobe fragt auf der Medienseite der FAZ, wie Big Data Regierung und Verwaltung verändert.

Europa, 07.01.2015

Tim Neshitov erklärt in der SZ, dass Europa laut dem amerikanisch-iranischen Ökonomen Hossein Askari absolut den islamischen Vorstellungen einer gerechten Gesellschaft entspricht: Armutsbekämpfung, Einhaltung von Gesetzen, gute Schulen und Krankenhäuser - alles koranmäßig 1A: "Ganz oben auf seinem 'Islamicity'-Index stehen: Irland, Luxemburg und Dänemark. Kein einziges Land mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung findet sich unter den Top 25. Israel - das brachte Askari besonders viel Kritik in arabischen Ländern ein - liegt bei ihm auf Platz 27 und damit weit vor Saudi-Arabien (Platz 91)."

In seiner Schlagloch-Kolumne in der taz erzählt Mathias Greffrath, dass auch seine Nichte und ihre Freunde das europäische Abendland retten wollen, und zwar vor den Finanzmärkten: "Gegen Mitternacht zitierten sie Pierre Bourdieu, der gesagt hatte, der europäische Sozialstaat sei eine kulturelle Errungenschaft, so kostbar wie Kant oder Beethoven oder Mozart."

Medien, 07.01.2015

Silke Burmester freut sich in ihrer wieder aufgenommenen taz-Kolumne, dass Journalisten auf die Entlassung der Redaktionen von Brigitte und Geo auch mal sensibel reagieren konnten, schließlich hat sich Gruner und Jahr die Entscheidung bestimmt nicht leicht gemacht: "Anstatt dass Freischreiber, der Berufsverband freier JournalistInnen, jetzt sauer ist, auf Frau Jäkel und ihre Bande schimpft, zeigt er Mitgefühl. Und schenkt eine CD mit Redaktionsgeräuschen. Tastaturgeklapper, Flurfunk. So geht Anteilnahme."

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