"Charlie Hebdo" : Schriftsteller kritisieren Preis für "Charlie Hebdo"

Der PEN-Club will das französische Satiremagazin mit einem Preis für publizistischen Mut auszeichnen. Sechs Schriftsteller kündigten an, die Verleihung zu boykottieren.

Am 5. Mai will der Internationale Schriftstellerverband PEN das französische Satiremagazin Charlie Hebdo auszeichnen. Im Rahmen einer Gala des New Yorker Global Voices Festival soll dem Magazin der Toni and James C. Goodale Freedom of Expression Courage Award verliehen werden, ein Preis für Meinungsfreiheit und besonderen Mut. Nun haben sechs namhafte Schriftsteller angekündigt, der Preisverleihung fernzubleiben, darunter Michael Ondaatje, Rachel Kushner, Peter Carey und Teju Cole.

Rachel Kushner begründete ihre Absage mit der "kulturellen Intoleranz" der Zeitschrift. Laut einem Bericht der New York Times schrieb Kushner eine E-Mail an den Vorsitz des PEN-Clubs, in der sie ihr Unbehagen äußerte. Der Booker-Prize-Träger Peter Carey sagte derselben Zeitung, zwar sei das Attentat auf das Magazin grauenhaft gewesen. Die Entscheidung, Charlie Hebdo nun auszuzeichnen, empfinde er aber als "selbstgerecht" vom PEN-Club. Der PEN vergäße die "kulturelle Arroganz" von Frankreich, das seine moralische Verpflichtung gegenüber der großen, machtlosen muslimischen Gemeinschaft im Land nicht wahrnehme.

Die Schriftstellerin Deborah Eisenberg, die ebenfalls der Gala nicht beiwohnen wird, begründete ihren Boykott in einer Mail, die dem Onlinemagazin The Intercept vorliegt. Darin schreibt Eisenberg: Die muslimische Bevölkerung in Frankreich, die marginalisiert und verarmt sei, sähe in Charlie Hebdos Mohammed-Karikaturen einen Versuch, sie noch mehr zu beleidigen und ihnen Leid zuzufügen. Eisenberg fragt: "Wird der Mut einer Meinungsäußerung bloß an ihrem Beleidigungsgrad gemessen?" 

Der Schriftsteller Teju Cole sagt, er wolle Charlie Hebdo nicht applaudieren. Er würde lieber Raif Badawi, Avijit Roy, Edward Snowden oder Chelsea Manning ehren, deren Ideale er für progressiver hält. Cole schreibt, es sei für viele Leute schwer zu verstehen, dass Kritik an Charlie Hebdo nicht automatisch bedeute, man stelle sich auf die Seite der Terroristen. Cole hatte bereits kurz nach dem Anschlag auf das Satiremagazin in einem Essay im New Yorker über Karikaturen in Charlie Hebdo geschrieben, sie seien oft "rassistische und islamophobe Provokationen".

Der PEN-Präsident Andrew Solomon sagte zum Preis an Charlie Hebdo: "Wir wussten alle, dass es eine in mehrerlei Hinsicht kontroverse Entscheidung war." Solomon hätte jedoch "nicht gedacht, dass das Thema diese speziellen Bedenken bei diesen speziellen Autoren auslösen könnte". Der frühere PEN-Präsident und Schriftsteller Salman Rushdie kritisierte die Bedenken der Schriftsteller als "entsetzlich falsch". Wenn PEN als Organisation der Meinungsfreiheit nicht die Menschen verteidigen und feiern könne, die dafür getötet worden sind, Bilder zu zeichnen, dann sei die Organisation ihren Namen nicht wert.

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Stürmer?

"Karikaturen zu veröffentlichen, die dem des "Stürmer" in nichts nachstehen, wie diese, über nach Frankreich geflüchteten Ex-Boko-Haram-Sexsklaven, die dort als Sozialschmarotzer dargestellt werden."

Wenn man sich schon mit Charlie Hebdo beschäftigt, dann sollte man sich vielleicht nur nur die Karikaturen ansehen, sondern auch den Kontext. Die angesprochene Karikatur ist eher als ein Fenster in die Psyche der Front National Mitglieder zu sehen.

Wer meint, die Zeichner von Charlie Hebdo hätten ideologische Nähe zur Front National, der ist einfach nur ein voreingenommener Kleingeist, der keine Ahnung hat, von was er redet.

Sie haben nicht Karl Marx zitiert, sondern offenbar Lenin, der

eine komplexere Aussage von Marx entstellend falsch zitiert hat.
Marx schrieb: "Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks." („Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“, 1844).
Sinngemäß richtet Marx seinen Fokus nicht auf die Manipulation der Menschen durch Religion bzw. ihre Interpreten, sondern auf die realen Misstände, unter denen sie leben und die sie dazu bringen, Zuflucht in der Religion zu suchen. Weshalb sie zwar auch anfällig sind opportunistische "Dealer", die Religion als Machtinstrument mißbrauchen.
Marx versucht, das Phänomen Religion aus menschlicher Sicht, menschlichen Bedürfnissen heraus nachzuvollziehen, bevor er es kritisert. So kommt man zunächst zu der u.U. auch selbstkritischen Frage nach den Missständen, die dazu führen, dass sich Menschen radikalen, Religion instrumentalisierenden Führern überhaupt ausliefern.

Ich weiß nicht ob Charlie Hebdo den Ursachen konsequent nachgeht, oder eher der Auflage zuliebe auf Symptome einschlägt. Provokation fördert auch nicht unbedingt Erkenntnis, wenn auch Schriftstellerei meist ein Erkenntnisweg oder -versuch ist. Also scheinen mir Ondaatje u.a. richtig zu liegen.

Ihr Einwurf verhärtet aufgrund seiner selbstreferenziellen Fehlinterpretation nur ein verbreitetes Vorurteil.