Hamburger Schauspielhaus : Zum Schreien komisch

Schrill, wild, brillant: Karin Beier inszeniert Alan Ayckbourns "Ab jetzt" im Schauspielhaus.

Sie zittert, zetert, greint und grient. Beflissenheit, gemischt mit Angst und einer bizarren Art der Selbstverkennung. Glaubt sie tatsächlich, sie hätte Talent? "Ich hab die Ophelia gespielt!", sagt sie stolz, und man fragt sich, auf welcher Provinzbühne das gewesen sein soll. Aber wenn sie dann auf Kommando heiter tun muss, dann kneift sie. "Lachen ist ein bisschen schwer, wenn man gar keinen Grund dazu hat."

Lina Beckmann spielt diese Frau, und bei der Premiere wurde nicht gelacht, es wurde gewiehert, geprustet, gejohlt. Weil Beckmann, man muss es so vollmundig sagen, ein Geniestreich gelungen ist: aus einer am Leben gescheiterten Actrice ein rührendes Menschenexemplar zu formen. Wer kennt es nicht, dass die Ambition zur Qual wird und man weit über die eigenen Verhältnisse denkt, arbeitet und fühlt?

Zoe heißt die Lady, sie spricht vor für einen anspruchsvollen Part: Einen Tag lang soll sie für Jerome (Götz Schubert) die Geliebte geben. Der Komponist kämpft ums Sorgerecht für seine Tochter, ein Besuch des Jugendamtes steht an.

Weil Ab jetzt Satire mit Science-Fiction mischt, spielt das Ganze in einer ungefähren Zukunft. Jerome lebt in einem Hightech-Bunker, Kontakt mit der Außenwelt funktioniert über ein Bildtelefon. Den Haushalt besorgt Gou, ein Roboter. Als Mischung aus Fünfziger-Jahre-Mamsell und Animierdame wiederholt die Maschine stoisch die programmierten Sätze, und im dritten Akt, wenn Zoe sich bereits disqualifiziert hat, übernimmt der Apparat die Rolle der Geliebten.

Mit Ayckbourn, dem erfolgreichsten Bühnenautor der Welt (50 Stücke bis heute, übersetzt in 26 Sprachen), brach 1987 in Deutschland ein Feuilletonstreit aus. Andrea Breth hatte Ayckbourns Schöne Bescherung in Bochum aufgeführt, eine Farce über den Weihnachtsstreit einer Mittelstandsfamilie. "Für ein deutsches Schauspielhaus", schrieb die Frankfurter Rundschau damals, "ist Ayckbourn zu wenig." Theater heute sah es anders, der Spiegel sprang bei: Ayckbourn sei der "Molière der Mittelklasse". Ein Jahr später ging die Kontroverse weiter, als Peter Zadek Ab jetzt am Ku’damm inszenierte. Diesmal hieß es: zu düster, zu verkopft, als dürfe eine Komödie nicht auch böse und bitter sein.

Regisseurin Karin Beier vereint beide Stillagen auf meisterliche Art: Slapstick trifft auf psychologische Durchdringung, Klamauk durchsetzt das tragische Gefühl. Jerome, der Komponist, will die Liebe in Klänge übertragen. Hierfür speist er jede Lebensregung in seine Computer ein.

Der Künstler als Vampir, der Menschen als Material missbraucht, das ist einer der vielen kulturkritischen Aspekte, die Beier unter der Hand serviert. Oder der Kommentar zur modernen Pädagogik: Als Jerome die Tochter (Gala Winter) nach Jahren wiedersieht, entpuppt sich die als genderverwirrter Rotzlöffel, den ausgerechnet die Hausfrauenmaschine im Zaum zu halten vermag. Nur ein Apparat schafft die Reprogrammierung, wenn Laisser faire den jungen Menschen verzogen hat.

Ayckbourn ist also nicht zu wenig, sondern genau richtig für dieses Schauspielhaus, das sich als erste Adresse für großen Boulevard empfiehlt. Der Entertainer in der Regie von Christoph Marthaler machte es – nicht ganz so gelungen – vor, Ab jetzt ist nun der Beweis: Die Komödie ist das Genre der Wahl, um schwerste Themen in den Griff zu kriegen.

Denn es gibt auch zarte Momente in dieser Inszenierung: Wenn Zoe zum Beweis artistischer Vielseitigkeit zaghaft-zittrig ein Liedchen anstimmt: "Du bist der letzte Mann, den ich liebe ..." Was für ein Bruch: Aus dem Derwisch der Selbstentblößung wird eine fragile Heldin, die ihr Innerstes nach außen stülpt. Man kriegt solche Kontraste nur mit feinstem Gespür für Zwischen- und Untertöne hin, und in dieser Hinsicht ist Lina Beckmann schon jetzt die Schauspielerin des Jahres.

Herrlich auch Michael Wittenborn in der Rolle des notorischen Anrufers, eingespielt per Video. Da sitzt er, ein larmoyanter Kauz, von der Frau verlassen, faselt von Selbstmord und trommelt dann selbstvergessen Schlagzeug im Partykeller. Oder Yorck Dippe als Mann vom Jugendamt: Aalt sich in seinen Gesten, ganz Conferencier in eigener, narzisstischer Sache und gleichzeitig die Person gewordene Bankrotterklärung modernen Behördentums.

Ayckbourn sei "dürftig", hieß es 1988. Sein Theater produziere "Witzfiguren statt Menschen". Stimmt nicht. Dieses Theater zeigt das Menschsein als schlechten Scherz und tollen Spaß zugleich. Applaus.

"Ab jetzt". Schauspielhaus Kirchenallee 39. Aufführungen: 7. und 31. März.

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