Kriminalroman : Kneip-Kur für Wutbürger und andere Clowns

Frank Schulz brilliert mit seiner Kleinbürgersatire "Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen".
Autor Frank Schulz, 57, schreibt über Kneipenhocker und Konkurs-Kasperle © Arne Weychardt

Männer um die 50 verbreiten derzeit vor allem Angst und Schrecken. Seien es Thilo-Sarrazin-Leser, diverse Wutbürger, die sich gegen Bahnhöfe, Strommasten oder Flüchtlingsheime stellen, oder die berüchtigten Pegida-Demonstranten. Sie haben zu viel Zeit, zu viel Geld und sind voller Ressentiments gegen den Lauf der Welt, den sie doch nicht aufhalten können.

Die Helden von Frank Schulz sind das exakte Gegenteil. Schulz, Brachialhumorist und Hamburger Schriftsteller-Institution, hat es zu einsamer Meisterschaft in der Beschreibung "gutmütig grienender", lebensuntüchtiger Hartz-IV-Empfänger gebracht. Seine Kneipenhocker und Konkurs-Kasperle wissen die Ästhetik eines korrekt gezapften Pils umfassend zu würdigen. Ihren nikotingeschwängerten Kosmos verlassen sie nur in allergrößter Not. Mit liebevoller Sorgfalt beschreibt Schulz rasselnden Alkoholatem, Flatulenzen, Nagelpilz, Spitzbäuche und andere Unzulänglichkeiten. Der Ekelfaktor ist beträchtlich. Der Spaßfaktor allerdings auch.

In seinem neuen Roman Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen schreibt er die schräge Kriminalgeschichte seines mehrfach preisgekrönten Vorgängerbuches Onno Viets und der Irre vom Kiez fort. Die Hauptfigur wird von seinem langjährigen Freund, dem Ich-Erzähler Christopher "Stoffel" Dannewitz, auf eine Mittelmeerkreuzfahrt geschickt. Er soll dessen versoffenen und verliebten Vetter Donald als Bodyguard begleiten, trotz einer posttraumatischen Belastungsstörung, die sich der selbst ernannte Privatdetektiv Onno in der vorherigen Kiez-Geschichte zugezogen hat.

Was folgt, ist, "parlicke, parlocke!", irrwitzig schwankende Prosa, vom Autor irgendwo zwischen Arthur Rimbauds Trunkenem Schiff und plattdeutschem Kasperletheater angelegt. Der ganze Spaß ist, wir haben es von Anfang an geahnt, allerdings nicht ohne tiefe menschliche Abgründe und hundsgemeinen Verrat zu haben. Natürlich kriegt Vetter Donald seine junge Angebetete Kristin Luise, Sängerin auf dem Fress- und Saufdampfer, nicht. Natürlich kriegt der maulfaule Onno auch hier nicht viel mehr über die Lippen als "Nech? ’ch, ’ch, ’ch" und "Öff, öff". Die Tragik ist: In dem Augenblick, in dem er ausnahmsweise mal aktiv wird, um seine Ehe zu retten, schlägt das Schicksal unbarmherzig zu. Mehr als fraglich, ob er sich davon jemals erholen wird.

Es gibt in diesem Buch zweifelhafte Sätze wie "Tante Edith düngt schon lange die Radieschen von unten", aber man nimmt sie Schulz nicht übel. Seine Fabulierlust ist kaum zu bändigen, sie umfasst auch das Vergnügen an abgelutschten Redewendungen. Seine in die Jahre gekommenen Figuren reden nun einmal so, sie sind alles andere als wortgewandte Hipster.

Schulz ist ein Meister der Milieubeschreibung. Sein Onno Viets ist ein herzensguter Ritter von der traurigen Gestalt. Ihm gelingt exakt nichts, trotzdem ist er kein Verlierer. Denn drei Dinge kann er wirklich gut: sitzen, zuhören und Tischtennis spielen. Das ist allemal besser, als sich als Verteidiger des "christlichen Abendlandes" aufzuführen.

Frank Schulz: Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen. Galiani Verlag, Berlin 2015; 336 Seiten, 19,99 Euro

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Kommentare

4 Kommentare Kommentieren

"Männer um die 50 verbreiten derzeit vor allem Angst...

... und Schrecken"

Ach ja, ich liebe die Vorurteile unserer jungen und offensichtlich reichlich unerfahrenen Journalist/inn/en, die anscheinend den Großteil der geschätzten 27 Jahre ihres Lebens im Saft des eigenen Milieus geschmort haben.

Eklig. Alte Männer. Um die fuffzich. Igitt.

Wie alt sind eigentlich die netten, aufgeklärten, jungen, weltoffenen und toleranten Frauen, die bei Pegida-Gegendemonstrationen mit Steinen und Brandsätzen auf Polizisten werfen?

" Ihren nikotingeschwängerten Kosmos verlassen sie nur

in allergrößter Not"...
Abgesehen davon, das es sich mit Hartz 4 eben nicht so leicht einrichten läßt, auch noch Geld für Tabak und gutgezapfte Pils übrig zu haben, halte ich diesen Kleinbürgerkosmos für keine schlechte Idee. Ärger bei der Partnersuche entfällt bei Nagelpilz auch. Sollen sich die anderen doch auch so einrichten, wie sie wollen. Und dafür arbeiten, ihre schicken Autos abzubezahlen. Leben und leben lassen.