Medien : Sorry, I am not Charlie

Die US-Medien debattieren: Soll man die Zeichnungen aus "Charlie Hebdo" zeigen? Sind sie rassistisch?

Den halben Tag lang habe er darüber nachgedacht, ob er die Mohammed-Karikaturen aus Charlie Hebdo drucken solle. So beschreibt Dean Baquet, Chefredakteur der New York Times, wie er den Mittwoch der vergangenen Woche verbrachte. Am Ende entschied Baquet sich gegen eine Veröffentlichung: Karikaturen, die geeignet seien, die Leser grundlos zu beleidigen, drucke man grundsätzlich nicht, und daran halte man sich auch jetzt.

Für viele französische und deutsche Zeitungen wurde das Drucken der Karikaturen nach den Anschlägen auf die Redaktion von Charlie Hebdo zu einer Frage der Solidarität, als wolle man "Ihr könnt uns nicht alle erschießen!" hinaus in die Welt rufen. Britische und vor allem amerikanische Zeitungen erklärten sich zwar ebenfalls solidarisch, zeigten die Karikaturen aber oft nicht. Bilder, auf denen der ermordete Chefredakteur Stéphane "Charb" Charbonnier umstrittene Cover der Zeitschrift präsentiert, wurden beschnitten, oder man verpixelte die Zeichnungen auf dem Cover. In den USA weigerten sich alle großen Fernsehsender, Mohammed-Karikaturen zu verbreiten, die Nachrichtenagentur AP verzichtete ebenso darauf. Man konnte diese Entscheidungen fast in Echtzeit nachverfolgen, weil vor allem rechtskonservative Meinungsmacher in ihren Blogs und auf Twitter eifrig Listen mit "Feiglingen" zusammenstellten: Medien, die ankündigten, die Bilder nicht zu zeigen.

Schon als Charlie Hebdo 2012 Mohammed-Karikaturen druckte, verhielt sich die amerikanische Regierung überraschend zurückhaltend in ihrer Solidarität: "Wir hinterfragen nicht das Recht, dass so etwas veröffentlicht wird. Wir hinterfragen nur das Urteil hinter der Entscheidung, so etwas zu veröffentlichen", ließ ein Sprecher des Weißen Hauses wissen. Dass von der Regierung bis zur New York Times der Umgang mit den Karikaturen so anders ausfällt, als man es vom Land der fast unbegrenzten Meinungsfreiheit erwarten würde, hat auch mit dem komplizierten Verhältnis der Amerikaner zur Religion zu tun. Wie unterschiedliche Religionen friedlich miteinander umgehen können, das war in der Einwanderungsgesellschaft USA historisch von großer Bedeutung – entsprechend vorsichtig ist man, was das Blasphemische angeht.

Und vielleicht ahnte man bei der New York Times auch schon früh, welcher zweite Vorwurf gegen Charlie Hebdo und seine Karikaturen schnell aufkam – einer, der in der US-amerikanischen säkularen Gesellschaft wesentlich schwerer wiegt: Nicht Blasphemie sei das Problem dieser Satiren, sondern Rassismus. Der Autor Teju Cole unterstellte der Satirezeitschrift im New Yorker "rassistische und islamophobe Provokationen", viele Kommentatoren und Blogger stießen sich unter anderem an einem Titelbild, auf dem die schwarze französische Politikerin Christiane Taubira als Affe gezeigt wird. Der durch die Aufdeckung der NSA-Affäre bekannte Journalist Glenn Greenwald antwortete auf die Solidarität mit Charlie Hebdo auf ganz eigene Art: Er postete in seinem Blog antisemitische Karikaturen. "Meinungsfreiheit zu verteidigen ist immer einfach, wenn man den Inhalt der Ideen gut findet, die angegriffen werden", schreibt Greenwald und bezichtigt den Westen der Heuchelei: Karikaturen, die das Judentum kritisierten, seien ein Tabu, aber der Islam dürfe beleidigt werden.

Dass nach den Anschlägen auch in den USA die üblichen Lagerkämpfe weitergehen, war erwartbar. Und natürlich gibt es auch nach Terrorakten keine Pflicht zur inhaltlichen Identifikation mit Satiremagazinen. Das Recht, nicht mitzumachen, ist uns schließlich genauso heilig wie das auf Redefreiheit. Trotzdem ist die Debatte, die in den USA auch diese Woche weitergeführt wird, entscheidend. Denn auch wenn die Härte, mit der wir die Gewalt verurteilen, nicht vom Inhalt der Publikation abhängen darf – die Frage der Solidarität hängt auch genau davon ab. Die Redefreiheit gilt für alle, in den USA sogar für einen Holocaust-Leugner. Da wäre es wichtig, zu wissen, ob Charlie Hebdo als Beispiel dafür dient, dass wir diese Freiheit im Westen auch im Sinne der Menschlichkeit nutzen.

Dass die französischen Satiriker in den USA nicht als echte Humanisten gesehen werden, liegt auch daran, dass Amerikaner Charlie Hebdo schlicht missverstehen. Sie können die Anspielungen auf die französische Politik nicht erkennen. Ohne diesen Bezugsrahmen aber funktioniert Satire nicht. Das Cover mit Christiane Taubira beispielsweise griff rassistische Beleidigungen eines Front-National-Politikers auf und karikierte sie in der Überspitzung. Nichts anderes machte der New Yorker, als er Barack und Michelle Obama als muslimisches Black-Panther-Radikalen-Paar zeigte. Und der Rassismusvorwurf lässt sich auch umkehren: "Was mehr beleidigend und rassistisch ist als jede Hebdo-Karikatur", schreibt The New Republic, sei die subtile Botschaft, die alle Medien sendeten, die aus Rücksicht keine Karikaturen zeigten – die Botschaft nämlich, dass alle Muslime gleich seien, sich ständig beleidigt fühlten und ein großer Teil Vergeltung üben würde.

Voriger Artikel Buchmarkt Die lesen echte Bücher Nächster Artikel Stephan Thome Total normal
Anzeige

Kultur-Newsletter

Was die Musik-, Kunst- und Literaturszene bewegt. Jede Woche kostenlos per E-Mail.

Hier anmelden

Kommentare

Noch keine Kommentare. Diskutieren Sie mit.