Fünf vor acht / Attentat von Paris : Mohammed-Karikaturen sind keine Mutprobe

Medien müssen nicht Karikaturen von "Charlie Hebdo" abbilden, um Solidarität gegen mörderische Fanatiker zu zeigen. Das eigene Ethos muss ihren Umgang damit bestimmen.

Die westliche Welt ist sich einig: Das Attentat von Paris war ein Anschlag auf das Wertefundament unserer offenen Gesellschaften. Zumal wir Journalisten nicht anders können, als uns für die uneingeschränkte Meinungsfreiheit einzusetzen – nicht, weil wir sie für unser Standesprivileg hielten, sondern weil sie die Grundfeste demokratischen Lebens ist. Unsere Solidarität mit Charlie Hebdo ist deshalb selbstverständlich.

In vielen Redaktionen wird freilich in den vergangenen Tagen heftig debattiert, welchen Ausdruck diese Solidarität finden soll. Reicht es, sich nicht vom Terror beeinflussen zu lassen, unbeirrt von Drohungen und Ängsten fortzufahren? Oder muss Solidarität dadurch demonstriert werden, dass man die Mohammed-Karikaturen von Charlie Hebdo nachdruckt? Ist es ein Zeichen mangelnder Solidarität, sie nicht nachzudrucken?

Ehe ich die unterschiedlichen Antworten auf diese Frage skizziere, noch eine Vorbemerkung. Charlie Hebdo hat sich nie solch allgemeiner Wertschätzung erfreut, wie sie das Satiremagazin seit dem Massaker vom vergangenen Donnerstag erfährt – dies belegen schon die Auflagenzahlen, magere 60.000, vielleicht sogar nur 30.000. In seiner militanten Religionsfeindlichkeit hat das Blatt alle provoziert, Muslime, Christen, Juden, Buddhisten. Nichts war ihm heilig. Es war frech, respektlos, unehrerbietig, oft geschmacklos, krude, vulgär, obszön. Die Absicht, auf die Schippe zu nehmen, Tabus zu brechen, zu kränken, zu verunglimpfen, kannte keine Grenzen des Anstands. Jedermanns Sache war dies alles nicht. Nicht von ungefähr beschuldigte Frankreichs Außenminister Laurent Fabius das Magazin 2012, in der Auseinandersetzung mit dem Islamismus gieße die Redaktion Öl ins Feuer.

Gleichwohl: In freien Ländern gibt es ein Recht auf Provokation, auf Tabubruch, auf Vulgarität und Geschmacklosigkeit, sogar ein Recht zu beleidigen, soweit dies im Rahmen der geltenden Gesetze geschieht (wie es umgekehrt ein Recht auf Beleidigtsein gibt, ein Recht freilich, das niemandem gestattet, die Beleidigung mit Kalaschnikows zu ahnden). Diese Prinzipien müssen wir alle, Medien und Gesellschaft gleichermaßen, hochhalten und verteidigen. Getreu Voltaires Grundsatz: "Ich bin nicht Ihrer Meinung, aber ich werde mich bis zum Letzten dafür schlagen, dass Sie sie sagen dürfen." Die Financial Times hat recht: "We are all Voltairians now."

Daraus folgt jedoch keineswegs, dass nun alle Zeitungen auch die Mohammed-Karikaturen von Charlie Hebdo nachdrucken müssen, um ihre Solidarität gegen mörderische Fanatiker zu bekunden. "Je suis Charlie" ist ein hochherziges Bekenntnis empörten Mitgefühls. Aber für die Presse lässt sich dies im Konkreten nur begrenzt sagen. Wir sind eben nicht alle Charlie Hebdo. Jede Zeitung hat ihre eigene Tradition, ihr eigenes Ethos, ihren eigenen Stil. Die müssen – und dürfen – auch die Art bestimmen, wie sie die blutigen Pariser Ereignisse wahrnimmt. Den Nachdruck bloß als demonstrative Mutprobe zu verlangen, verkennt diese Grundtatsache.

Sie erklärt ja auch die ganz verschiedenen Reaktionen der Presse.

Nur eine Antwort könne es geben, postuliert beispielsweise Hannes Stein in der Welt: die Cartoons, die der Grund für den Mord waren, auf den Titelseiten am besten aller Zeitungen der westlichen Welt zu zeigen – aus Freiheitsliebe, und um das Risiko aufzuteilen ("alle können sie schließlich nicht ermorden"). Man mag die Stichhaltigkeit der Begründung bezweifeln und die zugrundeliegende Haltung nicht teilen – sie hat ihre Berechtigung. Die Welt selbst ist dieser Aufforderung allerdings nicht nachgekommen.

Hingegen erklären zumal die klassischen amerikanischen Zeitungen – wiewohl nicht die meisten Internet-Publikationen – den Beschluss, die islamkritischen Titelbilder von Charlie Hebdo nicht abzubilden, mit ihren Leitprinzipien. So sagt der Chefredakteur der Washington Post, es sei Praxis seines Blattes, "keine Inhalte zu publizieren, die religiöse Gruppen absichtlich oder unnötig kränken". Ähnlich lautet die Begründung der New York Times: Ein Abdruck sei normalerweise ausgeschlossen, wo die Absicht vorliege, "religiöse Empfindlichkeiten zu verletzen". Die Nachrichtenagentur AP nimmt ebenfalls aus Prinzip davon Abstand, provozierende Bilder zu verbreiten. Doch auch der liberale britische Guardian lehnt dies ab. Er hat schon 2006 davon abgesehen, die dänischen Mohammed-Karikaturen abzudrucken, und er tat dies abermals im Falle Charlie Hebdo. Er verteidigt das Recht jedes Chefredakteurs, Beleidigendes zu veröffentlichen, aber er will "nicht gezwungen sein, in einer anderen Sprache als der eigenen" zu reden.

Eine dritte Begründung für den Nicht-Nachdruck hat zwei Wurzeln: fürsorgliche Rücksichtnahme auf die Mitarbeiter oder auch schiere Angst. So hat Flemming Rose, Außenpolitikchef der Jyllands-Posten, die 2006 die Mohammed-Karikaturen veröffentlichte (welche damals von Charlie Hebdo übernommen wurden) jetzt darauf verzichtet, seinerseits die Titel-Cartoons des Pariser Satiremagazins in sein Blatt zu heben. Seine offenherzige Erklärung: "Seit neun Jahren leben wir mit der Angst vor einem Terrorangriff." Wer wollte, wer dürfte sich über solche Selbstschutz-Erwägungen schnöde erheben? Zum Heldentum kann niemand verdonnert werden.

Die vierte Möglichkeit der Reaktion scheint mir die professionellste: zu berichten, zu analysieren, zu dokumentieren und nicht bloß zu demonstrieren. Also: den Sachverhalt schildern. Soweit dies zum Verständnis nötig ist, auch die eine oder andere Karikatur zeigen. Vor allem jedoch: nicht davon ablassen, die mörderische Entartung des Islams immer wieder uneingeschüchtert anzuprangern und ihr zu wehren.

P.S.: Im Februar 1989, als der Ayatollah Chomeini per Fatwa Salman Rushdie, den Autor des Romans Die satanischen Verse, für vogelfrei erklärte und auf dessen Ermordung eine Millionen-Belohnung aussetzte, rief ich in einem Leitartikel der ZEIT zu "Mannesmut vor Mullah-Thronen" auf. Ich forderte darin drastische Gegenmaßnahmen bis hin zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen und einer Einstellung des Handels. Damals ging es um einen Staat, der einen einzigen Menschen bedrohte; heute geht es um ein Heer von religiösen Fanatikern, potenziellen Einzeltätern in einem terroristischen Franchise-Verbund, die Abertausende in vielen Ländern und letztlich den gesamten Westen einzuschüchtern suchen. Das ist ein kategorischer Unterschied – eine Herausforderung, die eine andere Antwort erfordert. Welche – darüber wird jetzt intensiv nachzudenken sein.

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Kommentare

148 Kommentare Seite 1 von 19 Kommentieren

"intellektuell rum schwurbseln"

Wenn die Redaktion sich von solchen Abbildern distanziert, muss man das tolerieren und akzeptieren. Da ZON sich mehrfach dazu geäßert hat, wundere ich mich, was nun diese erneuten Rechtfertigungsversuche des Autors sollen?

Verbiegen wäre, Karikaturen abzudrucken hinter denen man nicht steht. Es muss möglich sein zu differenzieren und abzuwägen und es muss auch möglich sein, trotz großer Widerstände, seiner Linie treu zu bleiben.

Man kann den Blasphemieparagraphen abschaffen, aber man kann Gotteslästerung schlecht einfordern?! Es sei denn man ist aufklärerisch unterwegs.

Kopfstand der Welt

Noch ist nicht klar, wer die Tat begangen hat. Es ist durchaus auch eine andere Gruppe vorstellbar. Meldet sich eine Islamgruppe- alles klar. Wenn nichts kommt- wird alles, wie gewohnt nach Staatsschutzdelikten in Hamburg, im Sande verlaufen. Man hört nie wieder davon.

Bei Beleidigungen gegen den Islam tritt die Linke immer sehr stark auf, auch mit Gewalt wie im letzten Jahr, als 8 alte Mitglieder einer Kirche eine Mahnwache abhielten und von ca 200 schwarz gekleideten Antifa s (erinnert an SA)bedrängt wurden. Die Kirche war über Dritte von arabischen Moslems mit saudischem Geld gekauft worden. Die alten Leutchen wurden von starkem Polizeiaufgebot in Sicherheit gebracht.
Wo ich dies schreibe kommt mir der Gedanke: handeln unsere Politiker so wegen arabisch-deutscher Wirtschaftsinteressen oder amerikanischer Ölinteressen?
Was so an Sprechsätzen abgeliefert wird, kann doch niemals deren(Politiker) eigenen Gehirnen entsprungen sein?

Nicht über jedes Stöckchen springen...

Sogar Ihr Recht, Blödsinn zu verbraten, wird selbstverständlich anerkannt und polizeilich verteidigt, wenn es sein muss. Je suis Charlie heißt genau dies - und nicht weniger. Aber auch nicht mehr.

Davon abgesehen: Das könnte Ihnen und gewissen anderen so passen, wenn das gleich die kostenlose Verbreitung von sexistischem und oft auch rassistischem Provkram mit meinen würde.

Nicht über jedes Stöckchen springen, dass einem Pegidisten hinhalten - was sonst?!