"Charlie Hebdo"-Video : "Ich postete es auf Facebook. Das war mein Fehler."

Sein Video zeigt die Brutalität der "Charlie Hebdo"-Attentäter: Der Mann, der den Polizistenmord vor der Redaktion gefilmt hat, bereut die Veröffentlichung des Clips.

Der Mann, der das Video mit dem tödlichen Schuss auf den Polizisten vor dem Redaktionsgebäude von Charlie Hebdohochlud, war erschrocken über die Wirkung seines Filmdokuments. Das Video im Netz hochzuladen, sei ein "dummer Reflex" gewesen, ausgelöst durch seine jahrelangen Aktivitäten in sozialen Netzwerken, sagte er der Nachrichtenagentur AP.

Die von Jordi M. aufgenommene, 42 Sekunden lange Sequenz zeigt, wie zwei Täter nach ihrem Massaker in der Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo einen vor dem Gebäude auf dem Gehweg liegenden Polizisten kaltblütig erschießen. Kurz bevor sie ihren Fluchtwagen besteigen, läuft einer der beiden Gewalttäter in Richtung des mit einer Spezialweste geschützten und bereits verletzten Wachmanns. "Du willst uns töten?", ist eine Frage zu hören. "Nein, es ist okay, Chef", sagt der Polizist und hebt die Hand in einer um Gnade bittenden Geste. Doch der Täter feuert dem Beamten im Laufen in den Kopf. Dann steigt er mit seinem Komplizen in den bereitstehenden Pkw und die beiden fahren davon.

M. erzählte in dem Interview, er habe zunächst nicht gewusst, was er da filmte. Seine erste Vermutung sei gewesen, dass er Zeuge eines Bankraubs werde. Er dachte, ein Polizist einer Spezialeinheit eile einem verletzten Kollegen zu Hilfe. "Doch – Horror – es war anders", sagte er jetzt.

Als die Polizei zum Tatort kam, übertrug M. das Video zunächst auf eine Speicherdisk und gab sie der Polizei. Dann erst lud er es auf seine Facebook-Seite – und verbreitete es damit weltweit.

"Ich hätte jemanden fragen sollen"

M. kamen kurz darauf starke Zweifel, ob er richtig gehandelt hatte, als er das Video seinen 2.500 Facebook-Freunden zumutete. "Ich hätte jemanden fragen sollen", sagte M. Er sei aber ganz allein in seiner Wohnung gewesen, als er geistesgegenwärtig die Szene gefilmt hatte. "Ich postete es auf Facebook. Das war mein Fehler." Schon nach einer Viertelstunde seien ihm Zweifel gekommen. Nach einer knappen Stunde löschte er es wieder.

Doch es war bereits zu spät. Viele Facebook-Nutzer hatten das Video geteilt, es war bereits auf YouTube hochgeladen. Kurz darauf sah er es im Fernsehen – und begriff, was er gesehen hatte.

Das Video löste weltweit Entsetzen aus. Große amerikanische und britische Zeitungen berichteten darüber am Tag nach dem Massaker auf der Titelseite, teils verfremdet. TV-Sender brachten Standbilder.


Für die Familie des getöteten Polizisten – ein Moslem – war das Video ein Schock. Sein offensichtlich traumatisierter Bruder äußerte sich in Interviews schockiert darüber, dass M. das Video veröffentlichte, in dem gezeigt wird, wie sein Bruder hingerichtet wird. "Ich sah, wie er geschlachtet wurde und ich höre es jeden Tag wieder", sagte er. Kritik wurde auch laut, weil das Video die Grausamkeit der Terroristen so offen zeigt.

M. sagte in dem Interview, er habe an Medien appelliert, das Video oder Fotos daraus nicht unverfremdet zu zeigen. Für ihn sei das Video wie eines aus dem Krieg – vergleichbar mit anderen weltbekannten Bildern wie das von der Erschießung eines Soldaten im spanischen Bürgerkrieg. In ähnlicher Weise ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat sich etwa das Bild eines nackten Mädchens, das schreiend vor einem Militärangriff wegläuft.

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Kommentare

95 Kommentare Seite 1 von 13 Kommentieren

Warum?

Weil die meisten bereits wissen, dass die Terroristen brutal sind und wie brutal sie sind. Dieses Wissen reicht normalerweise aus.
Es gibt Dinge, unter denen leidet jeder mental halbwegs gesunde Mensch. Der Anblick eines Toten - gar eines Mordes - ist eines dieser Dinge. Polizisten und Mediziner werden geschult und bekommen Beratung. Bahnfahrer, denen ein Selbstmörder vor das Fahrzeug springt, (hoffentlich) ebenso.
Medienkonsumenten üblicherweise nicht. Für sie reicht es, zu wissen, was passierte. Sie müssen es nicht mit eigenen Augen sehen.

In unserem Denken hat sich schon lange etwas geändert

"Aber hat es etwas geändert?! Hat sich im Denken etwas geändert?"

Die Frage kann man auf den ganzen Hype um dieses Attentat beziehen. Das Video ist nur die Spitze des Eisbergs. Ich habe es mir nicht angeschaut. Die Berichterstattung insgesamt habe ich als eher pervers wahr genommen. ich habe den Eindruck, da geht es nicht mehr um Information, sondern, das befriedigt eher eine makabere Sensationslust: life dabei sein, während sich in sicherer Umgebung vor dem Bildschirm das Drama um Leben und Tod abspielt. Ja es hat sich etwas geändert. Aber nicht erst durch diese Video. Das Ganze verkommt immer mehr zu einer Show, in der die Werte auf die wir uns berufen nicht mehr wert sind, als die Inhalte der Medien, die sie vermarkten. Ebenso diese Solidaritätsdemo in Paris, die sich nahtlos in diese Berichterstattung einfügt: Ich kann nichts dafür, Ich musste auch immer an Straßenkarneval denken. Obwohl die Inhalte anderer Natur und eher tragisch, traurig waren. Aber die Inhalte sind austauschbar und verkommen immer mehr zu Verkaufsargumenten. Das ist es, was dieses Video so grässlich macht.
Ob nun ein besonders gelungener Clip auf YouTube eingestellt wird, der rein fiktiv ist oder scripted reality oder die Enthauptungsvideos der Islamisten oder diese Szene aus Paris, spielt überhaupt keine Rolle mehr. Alles ist Unterhaltung, und in der Funktion losgelöst von seinem eigentlichen Inhalt. Das verändert uns und die Möglichkeit zu politischem Handeln: http://www.nachdenkseiten...

Öffentlichkeit als Selbstzweck?

Vielleicht spricht nichts aus kriminologistischer Sicht dagegen, aber dieses Video hat eine deutlich größere Tragweite durch seine Symbolkraft (mal abgesehen von den Persönlichkeitsrechten des Ermordeten). Es könnte den ganzen Diskurs über das Attentat verändern. Dadurch, dass die Grausamkeit konkret wird, wird unsere affektive Gefühlswelt direkt angesprochen. Das kann irrationalen Hass auf den Islam, Solidarität mit den Muslimen, aus deren Reihen einer ermordet wurde, und Anderes auslösen.
Weder Jordi M. noch wir jetzt wissen, wie diese Bilder unser Denken über die Attentate verändern wird. Und deshalb hätte man sich sehr intensiv mit den möglichen Folgen vorher auseinandersetzen müssen. Denn Öffentlichkeit ist kein Selbstzweck.

Tatsächlich?

"" Nein.... ...wieso verraten? Das ist doch ein ausgezeichnetes Propagandavideo für diese Leute. Das wollen die doch, das ist in deren Interessen. ""

Die Möglichkeit, das diese kranken Hirne auf die Idee kommen könnten, das der Tod des Filmers noch viel bessere Propaganda wäre, schließen sie erstaunlicherweise aus. Vielleicht würden sie nicht so denken, wenn sie in der Situation des jungen Mannes wären.

Ich möchte auf alle Fälle nicht in dessen Haut stecken, aber ich hätte das Video auch nicht gepostet. Wegen ein paar Sekunden Ruhm, lebt der vielleicht den Rest seines Lebens in Todesangst. Das war ein schlechter Tausch.

Genau

""Absurd.... Als die da rein gingen, wussten sie, dass sie wandelnde Tote sind. Die hatten nichts mehr zu verlieren. Nach so was wird man in Frankrech nicht lebend festgenommen.""

und weil sie wussten, dass sie nicht mehr lebend aus der Sache kommen, haben sie sich Masken aufgezogen. Wahrscheinlich um den Leichenbeschauern mehr Arbeit zu machen.

Falls sie Sarkasmus finden, dürfen sie ihn behalten.

Freiheit bedingt Öffentlichkeit

Öffentlichkeit ist ein Bürgerrecht eines freien Staates. Wie ein Video die Gefühle eines Bürgers berührt, geht weder Sie noch mich noch sonst jemanden an. Freiheit bedeutet selbst zu bestimmen, was man ansieht.

Was die Persönlichkeitsrechte des bedauernswerten Polizisten angeht, so muss man sagen, dass er ein Beauftragter des Staates war und ein Verbrechen, das sich indirekt gegen die Öffentlichkeit richtete, verübt wurde. Was da passierte geht die Öffentlichkeit sehr wohl an.

Wer um sein Gefühlsleben fürchtet, der schaue weg. Aber niemand hat das Recht einem anderen Bürger zu sagen, was er zu sehen wollen hat.

Keine Überschrift

Krieg
Allg.: Krieg bezeichnet einen organisierten, mit Waffen gewaltsam ausgetragenen Konflikt zwischen Staaten bzw. zwischen sozialen Gruppen der Bevölkerung eines Staates (Bürger-K.).

Quelle: http://www.bpb.de/nachsch...

Wenn selbst die Bundeszentrale für politische Bildung das als Krieg definiert, dann wird es wohl Krieg sein.

Und das Video zeigt jetzt auch nicht unbedingt verstörenderes als ein blutverschmiertes Unfallwrack mit leidenden Insassen, was man von der Polizei nur allzu gern vorgezeigt bekommt. Im Gegenteil, hier spritzt kein Blut, es gibt "nur Gewehrschüsse und einen Menschen der sich bewegt und dann nicht mehr". Das ist am Ende in meinen Augen pietätvoller als Unfallpräventionsvideos. Ich sehe keinen Grund, dieses Video nicht zu veröffentlichen. Es zeigt ohne dramaturgische Effekte die tiefen Abgründe von Menschen.