"Charlie Hebdo" : Grüne gegen Diskussion um Blasphemie-Paragrafen

Soll Gotteslästerung strafbar bleiben? Grüne und Liberale stellen den Paragrafen zur Disposition. Koalitionspolitiker warnen dagegen vor Änderungen am Strafgesetz.
Die Satirezeitschrift "Titanic" mit dem Papst als Titelthema (2012) © Alex Domanski/Reuters

Die Grünen sind gegen eine Diskussion über die Abschaffung des Blasphemie-Paragrafen. "Die Forderung ist richtig, aber jetzt ist der falsche Zeitpunkt für diese Debatte", sagte der religionspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, ZEIT ONLINE. "Die Grünen haben die Abschaffung des Paragrafen im Wahlprogramm, aber wir sollten jetzt von den wichtigen Fragen, die sich nach Paris stellen, nicht ablenken." 

Grundsätzlich halten die Grünen die Abschaffung des Paragrafen für richtig. Gläubige seien durch die Strafbarkeit der Beleidigung, der üblen Nachrede und seit neuerem auch explizit vor Volksverhetzung ausreichend geschützt, sagte Beck. "Gläubige brauchen grundsätzlich keinen anderen strafrechtlichen Schutz als andere soziale Gruppen." Der sogenannte Gotteslästerungsparagraf sei in seiner jetzigen Form "ein Fremdkörper in einem freiheitlich-säkularen Wertesystem und in der Rechtspraxis weithin totes Recht". Gerade weil die kriminalpolitische Relevanz des Paragrafen gering sei, sollte er abgeschafft werden.

Auch Union und SPD lehnen eine Abschaffung des Blasphemie-Paragrafen 166 StGB ab. Dieser verbietet, das religiöse Bekenntnis oder eine Religionsgemeinschaft in einer Weise zu beschimpfen, "die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören". Möglich sind bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe. Auslöser der Diskussion sind die Mordanschläge von Paris, bei denen Islamisten 17 Menschen töteten, darunter Zeichner der Satirezeitschrift Charlie Hebdo.

Der Chef des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach, sagte, er sei "ausdrücklich nicht der Auffassung", dass es sinnvoll und ein Zeichen der Solidarität mit Frankreich wäre, wenn Deutschland jetzt den Paragrafen 166 StGB komplett abschaffe oder zur Disposition stelle. Gotteslästerung zu bestrafen, sei "nach wie vor sinnvoll", sagte der Jurist und CDU-Politiker der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, sagte der Zeitung, gerade nach den Morden in Paris sehe er keinen Anlass dafür, den strafrechtlichen Schutz von Religionsgemeinschaften zu reduzieren. Überdies sei die kriminalpolitische Relevanz dieses Paragrafen auch eher gering.

Auch Kirchenrechtler dafür

Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hingegen sympathisiert mit einer Abschaffung und forderte eine "ernsthafte Diskussion über die Bedeutung der Presse- und Meinungsfreiheit". Zu Recht sei die westliche Welt erschüttert von diesem Hass auf Satire und religiöse Karikaturen.

Dazu passe es laut Leutheusser-Schnarrenberger "schwerlich, gleichzeitig die Beschimpfung des Inhalts religiöser Bekenntnisse mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen", wie es der Paragraf 166 unter anderem vorsieht. Allerdings, so schränkte die FDP-Politikerin ein, sei der umstrittene Paragraf "so eng gefasst – es muss immer auch der öffentliche Friede gestört sein –, dass er zum Ärger mancher keine Wirkung" entfalte.

Für eine Abschaffung des Paragrafen hatten sich zuvor unter anderem FDP-Chef Christian Lindner, die Giordano-Bruno-Stiftung und der Göttinger Staats- und Kirchenrechtler Hans Michael Heinig ausgesprochen. Sie argumentierten, die Beleidigungstatbestände und der Schutz vor Volksverhetzung genügten, wohingegen eine Abschaffung des Beschimpfungsverbots ein starkes Zeichen für die Meinungsfreiheit sei.

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Kommentare

344 Kommentare Seite 1 von 33 Kommentieren

Dazu wären die Kirchen zu hören

Kaum zu glauben, dass es dort Zustimmung gäbe. Viele Abgeordnete in allen im Bundestag vertretenen Parteien sind zudem kirchlich engagiert. So eine Abstimmung würde sie vor eine schwere Gewissenfrage stellten.
Ausserdem ist nicht klar, was das BVerfG zu der Abschaffung des Blasphemie-Paragraphen sagen würde.
Nicht "Gotteslästerung" vor zu gehen, erfüllt in manchen Religionsauffassung den Tatsbestand der "Unterlassungssünde" und können für manche Gläubige bedeuten, nach ihrem Tod beim "Jüngsten Gericht" nicht ins Paradies zu kommen. Das "Paradies" ist aber für Gläubige die Hoffnung, dass mit dem Tod nicht alles vorbei ist.

Etwas mehr Zwischentöne täten gut

Ich bin auch dafür, dass Privilegien von Religionen abgeschafft werden. Als Atheist.

Allerdings stört mich die Unwissenheit und Arroganz der meisten Atheisten doch ziemlich. Würde mich interessieren, ob es jemanden gibt, der sich die hier gezeigten Koranstellen mal zu Gemüte geführt hat.

http://www.buzzfeed.com/m...

Es hat mich daran erinnert, dass ich auch noch viel aus meiner christlichen Erziehung mit mir herumtrage, das ich nicht durch Atheisten gelernt habe - und das im richtigen Leben sehr brauchbar ist.

Privatsache

"Nicht "Gotteslästerung" vor zu gehen, erfüllt in manchen Religionsauffassung den Tatsbestand der "Unterlassungssünde" und können für manche Gläubige bedeuten, nach ihrem Tod beim "Jüngsten Gericht" nicht ins Paradies zu kommen. Das "Paradies" ist aber für Gläubige die Hoffnung, dass mit dem Tod nicht alles vorbei ist."

Sie können ja gerne gegen Gotteslästerung vorgehen, ein Gericht sollte das aber nicht. Zumindest nicht in einem säkularisierten Staat. Da könnte man ja gleich die Bibel zum Gesetzbuch machen, oder die Sharia einführen.

Zivile Höflichkeit ist normal nicht einklagbar

>>>Es ist ja nicht so, das man damit Religionen unter Artenschutz stellen würde, aber man räumt ihnen das Recht ein, die gleiche Höflichkeit von seinen Mitmenschen zu erwarten, wie jeder andere auch.<<<

Sie unterstützen also auch die Islamfachisten von OIC? Nein? Faktisch aber schon, statt 90 Peitschenhieben gibt es dann 90 Tagessätze wie in KifiVO.stan Österreich.

a'la snackbar

Brit Mila

Sie waren schonmal bei einer Brit Mila dabei?

Ich ja, da ich viele jüdische Freunde, Bekannte und Kollegen habe und so wie Sie das hier beschreiben, war es nie! Die Babies bekamen übrigens Schmerzmittel vorher und eine Betäubungscreme und haben nicht mehr geweint, als meine Tochter bei all ihren Impfungen.

Die Brit Mila ist für Juden ein wichtiger Bestandteil ihren Identität und ihnen das zu verbieten würde letztendlich bedeuten, sie des Landes zu verweisen. Und es ist nunmal wichtig - selbst für progressive Juden - die Brit Mila durchführen zu lassen und die wird am 8. Lebenstag durchgeführt.

Die Heilung geht übrigens sehr viel schneller als bei Jugendlichen und Erwachsenen!

Wie soll abgeschafft werden, was es nicht gibt?

"Abgeschafft gehört zum Beispiel auch die gesetzliche Erlaubnis der Beschneidung bei Kindern aus religiösen Motiven."

Es gibt in Deutschland eine so formulierte Erlaubnis nicht. Das war der eine helle Moment des Gesetzgebers, die Erlaubnis zur Beschneidung eben gerade nicht an religiöse Motive zu knüpfen. Alle Eltern haben in Deutschland seit dem 12.12.12 das Recht, an ihren minderjährigen Knaben ohne deren Einwilligung medizinisch nicht notwendige Beschneidungen der Vorhaut durchführen zu lassen. No questions asked.

kuestenwache

Religion ist ein Machtfaktor

Genau deshalb gibt es einen Blasphemie-Paragrafen in D. und ähnlich auch in einigen anderen Ländern.
Hier ist auch der Ansatz für die aggressiven Reaktionen bei Teilen der Muslime zu finden.
Im Islam sind Religion und politische Macht im Idealfall (Kalifat) eine Einheit.
Jede Kritik an der Religion ist folglich ein potentielles Staatsverbrechen (z. B. Iran Salman Rushdie) und wird je nach den spezifischen Traditionen mehr oder weniger mit schweren Strafen geahndet.
Was muss im Sinne von Demokratie und Zivilisation geändert werden?
Staat und Religion müssen konsequent als zwei nicht verwandte Teile der Gesellschaft begriffen werden.
Alles, was davon Abstriche macht (und sei es auch die Meinung von Herrn Bosbach) ist mindestens das Reichen des berühmten kleinen Fingers zur Vermengung von Staat und Religion.
Der Staat ist für die Staatsbürger verantwortlich, für deren Sicherheit, für eine humane Struktur der Gesellschaft - aber nicht für Religionen und andere Weltanschauungen.

Re: Wer hindert Sie daran

Beipsielsweise das talibanoide Tanzverbot, dass wir einer anachronistischen Gesetzgebung zu verdanken haben und das aufgrund des immer noch viel zu großen Einflusses der Kirchen nicht abgeschafft wird. Wenn ich feiern will, dann richtig.

"Christi Himmelfahrt", echt jetzt? Im 21. Jahrhundert? Warum nicht auch Dornröschens Erwachen feiern oder einen Sieben-Zwerge-Tag?