Meinungsfreiheit : Saudi-Arabien lässt Blogger Raif Badawi auspeitschen

Es ist wie ein Todesurteil auf Raten: Weil er den Islam beleidigt haben soll, erhielt Badawi 50 Peitschenhiebe. 950 weitere sollen folgen.
Die Al-Jafali-Moschee in Jeddah © Katharina Eglau

Den Anschlag auf das Pariser Satiremagazin Charlie Hebdo verurteilte Saudi-Arabien am Tag danach als "feigen Terrorakt, der gegen den wahren Islam verstößt". Doch 24 Stunden später exekutierte das ultrakonservative Königreich seine eigene Version des wahren Islam – und ließ den Blogger Raif Badawi vor der Al-Jafali-Moschee in Jeddah öffentlich auspeitschen. Er wurde verurteilt, weil er den Islam beleidigt und sich gegen die rechtmäßigen Autoritäten aufgelehnt haben soll.

50 Hiebe erhielt der 30-Jährige nach dem Freitagsgebet, wie Augenzeugen bestätigten. Der Geschlagene habe mit dem Rücken zu den Zuschauern gestanden und keinen Schmerzensschrei von sich gegeben. Insgesamt ist Badawi zu 1.000 Peitschenschlägen verurteilt, die nun in den nächsten 20 Wochen alle acht Tage vollzogen werden sollen – was einem Todesurteil auf Raten gleichkommt. 

Die Vereinigten Staaten hatten zuvor vergeblich an ihren engsten Verbündeten in der arabischen Region appelliert, diese unmenschliche, brutale und erniedrigende Körperstrafe auszusetzen. Badawi habe lediglich von seinem Recht auf Meinungsfreiheit und auf Religionsfreiheit Gebrauch gemacht, erklärte die Sprecherin des US-Außenministeriums, Jen Psaki. Reporter ohne Grenzen prangerte die Auspeitschung als barbarisch an. Amnesty International betrachtet Badawi als politischen Gefangenen aus Gewissensgründen.

Mit der spektakulären Auspeitschung nimmt das Vorgehen der saudischen Herrscher gegen Bürgerrechtler und interne Kritiker immer krassere Formen an. Denn die Nervosität in dem ölreichen Königreich auf der Arabischen Halbinsel wächst. Der reformoffene 90-jährige Monarch Abdullah liegt schwer erkrankt im Hospital. Erzfeind Iran versucht einen Neuanfang mit den Vereinigten Staaten. Und mehr als 2.500 junge Saudis kämpfen in Syrien und Irak als Gotteskrieger für das "Islamische Kalifat".

Auch der Anwalt in Haft

Badawi dagegen hatte 2008 das Online-Forum Freie Saudische Liberale gegründet, das Debatten über religiöse und politische Themen in Saudi-Arabien anstoßen sollte. 2009 verhängten die Behörden über den Vater dreier Kinder zunächst ein Reiseverbot und beschlagnahmten sein Vermögen. Trotzdem rief der Schikanierte für den 7. Mai 2012 einen "Tag der saudischen Liberalen" aus und forderte eine öffentliche Diskussion über die Politisierung der Religion durch das geistliche Establishment.

Vier Wochen später wurde er verhaftet, am 29. Juli 2013 zu sieben Jahren Gefängnis und 600 Peitschenhieben verurteilt. Ein Jahr später erhöhte das Berufungsgericht die Strafe auf zehn Jahre, 1.000 Hiebe und 200.000 Euro Geldstrafe. Seine Frau Ensaf Haidar floh nach Kanada, zusammen mit ihren drei Kindern Terad, Najwa und Miriam erhielt sie inzwischen politisches Asyl.

Badawis Anwalt Waleed abu al-Khair sitzt seit Frühjahr 2014 ebenfalls im Gefängnis. Ein Spezialgericht für Terroristen verurteilte ihn zu 15 Jahren Haft, 15 Jahren Reiseverbot und 40.000 Euro Geldbuße. Al-Khair habe versucht, die legitimen Machthaber zu beseitigen, er habe die Ordnung des Staates unterminiert, die öffentliche Meinung aufgewiegelt, die Justiz beleidigt, das Ansehen des Königreichs in den Dreck gezogen, internationale Organisationen zu feindseligem Verhalten gegen Saudi-Arabien angestachelt sowie haltlose Erklärungen publiziert, befand das Gericht.

Ein Jahr zuvor waren bereits die beiden Mitbegründer der Saudischen Gesellschaft für zivile und politische Rechte (ACPRA), Mohammad al-Qahtani und Abdullah al-Hamed, zu zehnjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Das Gericht warf al-Qahtani vor, eine "illegale Organisation" gegründet zu haben, Zwietracht zu säen, Lügen über Twitter zu verbreiten und "gegen die Autorität des Königs zu rebellieren". Der heute 49-Jährige hatte die saudische Justiz öffentlich beschuldigt, Folter zu erlauben und erpresste Geständnisse in ihren Urteilen zu verwenden.

Voriger Artikel Zufriedenheit "Glück ist ein Wirtschaftsfaktor" Nächster Artikel Anschlag "Charlie Hebdo" Bundeskriminalamt überprüft zahlreiche islamistische Gefährder
Verlagsangebot

Entdecken Sie mehr.

Lernen Sie DIE ZEIT 4 Wochen lang im Digital-Paket zum Probepreis kennen.

Hier testen

Kommentare

164 Kommentare Seite 1 von 22 Kommentieren

Auf der einen Seite haben wir Hochtechnologien und fliegen zum

Mars, auf der anderen Seite ist unsere Ethik in der Vor-Steinzeit.
Mittelstraß würde sagen, wir haben zwar so viel Verfügungswissen wie nie zuvor, aber ein (ethisches) Orientierungswissen ist während der gesamten Aufklärung immer mehr auf der Strecke geblieben.

Kurz: Ich schließe mich Ihrem "Die Welt ist zum Kotzen" an. Man fühlt sich wütend und hilflos zugleich. Als Kanzler würde ich umgehend die wirtschaftlichen Beziehung zu diesem Folterstaat einstellen. Ach ja. Amerika müsste man dann natürlich auch mit selben Regeln behandeln. Hm. Dann wohl besser nicht. Die haben je die Army...