Paris : "Wir sind doch klüger als die Terroristen"

Seit dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" ist Paris im Ausnahmezustand – mit einem großen Gefühl der Solidarität. Ganz besonders in der Nähe des Tatorts
Nahe der Redaktion von "Charlie Hebdo" haben viele Menschen Blumen niedergelegt. © Marc Piasecki/Getty Image

Alles ist anders. Zwar haben die meisten Geschäfte rund um das Pariser Ausgehviertel Bastille normal geöffnet, ist die Metro zur morgendlichen Stoßzeit überfüllt, und wie immer sehen sich Touristen mit einem Stadtplan in der Hand fragend auf der Place de la République um. Aber seit dem Attentat auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo ist Paris im Ausnahmezustand.

Die kleine Rue Nicolas Appert, die Straße, in der das Massaker am Mittwochvormittag geschehen ist, ist abgesperrt. Davor drängen sich im Nieselregen Journalisten und Passanten unter Regenschirmen zusammen. Eine junge Frau fängt an zu weinen, ihre Begleiterin nimmt sie in den Arm. Überall stehen Reporter und sprechen auf Spanisch, Englisch, Polnisch, Tschechisch, Italienisch in ihre Mikrofone. Gleich beginnt die offizielle landesweite Schweigeminute.

"Darf ich vorbei", fragt ein älterer Mann die Polizisten. Er wohnt in der abgesperrten Zone. "So viele Menschen auf einmal, das hat es hier noch nie gegeben", sagt er. Dass in seinem Nachbarhaus ein Massaker verübt worden ist, könnten er und seine Frau immer noch nicht glauben.

"Die Leute werden egoistischer"

Am Mittwochvormittag hatte der 75-jährige Rentner das Haus verlassen, um Einkäufe zu erledigen, berichtet er. Auf dem Rückweg sei ihm eine aufgeregte Dame entgegengekommen: Er solle vorsichtig sein, vor seinem Haus seien zwei maskierte Männer aufgetaucht, es gebe Ärger. "Ich dachte mir nichts dabei, dachte, das sind irgendwelche Kleinkriminellen", sagt der Mann, der seinen Namen lieber nicht nennen möchte. Kurz darauf sei das schwarze Fluchtauto an ihm vorbeigeschossen.

"Ich habe deshalb nicht mehr Angst als vorher", sagt der Rentner. Er fürchte auch keine Eskalation eines Konflikts zwischen Religionen, nur: "Das Klima zwischen den Menschen verschlechtert sich generell. Die Leute werden egoistischer." Furcht und Misstrauen dürfe man trotzdem nicht zulassen, sagt er. Dann hätten die Terroristen gewonnen.

Zehntausende gedenken der Anschlagsopfer In Frankreich erinnerten Zehntausende mit einer Schweigeminute an die Opfer des Anschlags auf die Redaktion von "Charlie Hebdo". Außenminister Frank-Walter Steinmeier nannte den Angriff einen "Akt der Barbarei".

Das sehen nicht alle so gefasst wie er: Die Vorsitzende der rechtsextremen Front National Marine Le Pen wiederholte als Reaktion auf das Attentat die Forderung nach Wiedereinführung der Todesstrafe in Frankreich.

Aber Angst ist nicht das vorherrschende Gefühl an diesem Donnerstag in Paris. Es sind vielmehr Fassungslosigkeit, Unverständnis, Trauer, teilweise auch Wut. Und vor allem: ein sehr großes Gefühl von Solidarität. "Ich glaube, dass dieses Erlebnis uns Franzosen zusammenbringt", sagt eine Frau, die ebenfalls gekommen ist, um an der Schweigeminute teilzunehmen.

Ein Gefühl der Solidarität

Auch Politiker versuchen, Geschlossenheit zu demonstrieren: Präsident François Hollande hat seinen Rivalen Nicolas Sarkozy im Élysée-Palast empfangen, am Sonntag wollen Politiker, Bürger und Journalisten noch einmal partei- und konfessionsübergreifend für einen Gedenkmarsch auf die Straße gehen. Das Zeichen soll sein: Gemeinsam gegen den Terror. Gemeinsam sind wir stark. Gemeinsam sind wir alle Charlie.

Trotzdem sind viele verunsichert. Nach der Schießerei am Donnerstagmorgen in Montrouge, südlich von Paris, bei der eine Polizistin ums Leben kam, geht kurz das Gerücht um, der Schütze sei mit der Metro entkommen und könnte sich in einem der Züge aufhalten. Viele versuchen daraufhin, lieber ein Taxi zu erwischen. "Ça chauffe", sagt ein Taxifahrer – "es wird brenzlig" –  und dreht das Radio lauter. Die weiteren Nachrichten: In drei französischen Städten haben Unbekannte Angriffe auf muslimische Einrichtungen verübt. Und in Reims, der Stadt, in der die mutmaßlichen Täter des Anschlags auf Charlie Hebdo eine Wohnung angemietet hatten, fürchtet der Bürgermeister eine Spaltung zwischen den muslimischen und den nicht muslimischen Bewohnern.

"Das ist es doch genau, was diese Verrückten wollen: Die einen gegen die anderen aufhetzen. Die Welt in zwei Lager aufspalten", sagt Moos Béla. Der junge Schauspieler ist ebenfalls zur Schweigeminute an den Redaktionssitz von Charlie Hebdo gekommen, den getöteten Zeichner Cabu hatte er vor einiger Zeit persönlich kennengelernt. Béla ist Kind algerischer Einwanderer. Er wurde muslimisch erzogen, praktiziert den Glauben aber nur rudimentär.

"Diesen Konflikt auf die Religionen zu schieben, finde ich falsch", sagt er. "Wir sind doch alle gleich, ob Muslime, Juden oder Christen. Und wir leben hier schon immer Tür an Tür." Feindseligkeiten gegenüber anderen Religionen habe er bisher nur in kleineren Orten erlebt, nicht in Paris. "Wir sind doch klüger als diese Terroristen. Ich bin mir sicher, dass wir zusammenhalten werden." Dann zieht er an seiner Zigarette und fügt hinzu: Zumindest hoffe er es.

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Kommentare

131 Kommentare Seite 1 von 10 Kommentieren

Humor ist Vorraussetzung für Demokratie

- ohne den wird man immer so viel Streit bekommen, so viel, dass es nicht mehr funktioniert. Und ja, Humor tut auch manchmal weh, muss er, sonst bringt er niemanden zum Nachdenken.
Und es ist doch Wahnsinn, dass Leute, die behaupten, gläubig zu sein, meinen, sie könnten für Gott entscheiden, ob der beleidigt sein soll.
Terroristen kämpfen für gar nichts, es sind nichts als Kriminelle, die alles mögliche, unter Anderem Religionen, als Vorwand nehmen, um mit anderen Menschen perverse Machtspiele zu treiben.

'Humor' gibt es nicht auf Rezept

Ich sehe das so: Es gibt einen Kreis, der ist grün, darin ist die Menge derer enthalten, die Mohammed verehren. Dann gibt es in diesem Kreis einen kleineren Kreis, der ist dunkelgrün-kotzgelb, das sind die Terroristen. Frage: Warum muss ich alle beleidigen, die Teil des großen grünen Kreises sind, wenn ich es eigentlich nur auf die dunkelgrün-kotzgelben abgesehen habe? Es ist ein Paradebeispiel für das Pflegen verallgemeinernder Vorurteile, was da geschieht.

Eben weil

"Wieso ist ein Moslem mit einem Nazi vergleichbar?"

Eben weil Alles mit Allem vergleichbar ist.
Jedem steht es frei, Äpfel mit Birnen, Katzen mit Hunden, Schwarz mit Weiß, Christen mit Satanisten oder eben Moslems mit Nazis zu vergleichen.
Etliche geisteswissenschaftliche Disziplinen beschäftigen sich fast exklusiv mit dem Vergleichen von Dingen, die manchmal mehr und ganz offensichtliche, machmal nur wenige Gemeinsamkeiten haben.

Es gibt keine unanständigen Vergleiche. Vergleiche haben für sich alleine genommen noch keine immanente Wertung. Und mag der Kontext vielleicht heikel sein, der Vergleich selbst kann nichts dafür, er bleibt im Sinne wissenschaftlicher oder aufklärerischer Neugier trotzdem immer berechtigt.
Und wer glaubt, es gäbe so etwas wie unanständige Vergleiche, der hat nur Angst um seine eigenen, liebgewonnen Scheuklappen!