Anschlag "Charlie Hebdo" : Der Name hinter dem Terror ist nicht entscheidend

Das Attentat in Paris zeigt: Der Terror kommt nicht mehr von außen und er besitzt eine neue Qualität. Gewalt kann keine Reaktion auf ihn sein.

Von Al-Kaida gesteuerte Terroristen? Nacheiferer des "Islamischen Staats"? Fanatische Einzeltäter oder gut vernetzte Veteranen des Dschihad? Solange das Attentat von Paris nicht aufgeklärt ist, bleibt alles Spekulation. Die gibt es bereits zuhauf: Experten suchen eilig nach Mustern in der Wahl der Mittel oder in der Entscheidung für das Ziel, Einfältige suchen nach Sündenböcken. Der Alarmismus hat Konjunktur.

Es kann dennoch erhellend sein, sich mit aller Vorsicht dem Kontext des Massakers in der Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo zu nähern. Welchen Namen der Terror trägt, ist dabei am Ende vielleicht gar nicht entscheidend.

Abu Muhammad al-Adnani, der für den "Islamischen Staat" (IS) spricht, ist es egal, wie die Feinde sterben. In einer Audiobotschaft im September rief er Anhänger der Terrormiliz zu Angriffen gegen westliche Ziele auf, gerade auch in Frankreich. Ganz gleich, mit welchen Mitteln: "Wenn ihr keine IED (improvised explosive device/Sprengfalle) oder Kugel zur Verfügung habt, dann wählt einen ungläubigen Amerikaner, Franzosen oder irgendeinen ihrer Verbündeten aus. Zertrümmert seinen Schädel mit einem Stein oder schlachtet ihn mit einem Messer, werft ihn hinunter von einer hohen Stelle, erdrosselt oder vergiftet ihn."

Propagandaerfolg, wer auch immer dahintersteht

In einem Video aus dem November, das der IS verbreitete, forderten französischsprachige Dschihadisten: "Operiert in Frankreich. Terrorisiert sie, lasst sie vor Angst und Schrecken nicht schlafen." Die Angreifer in Paris – das haben zwei Zeugen unabhängig voneinander berichtet – behaupteten, zu Al-Kaida zu gehören, und forderten, dies den Medien mitzuteilen. Einer der Verdächtigen soll im Jemen ein Al-Kaida-Training durchlaufen haben, einer soll sich im vergangenen Jahr in Syrien aufgehalten haben. Nicht nur das Terrornetz hinter den Anschlägen des 11. September, auch andere Dschihadistengruppen hatten zudem Drohungen gegen Charlie Hebdo ausgesprochen, das auch bereits 2011 einen Brandanschlag erlebte: Der Chefredakteur Stéphane Charbonnier stand auf einer Todesliste, auf der ein Al-Kaida-Magazin 2013 mögliche Ziele empfahl. Anhänger unterschiedlicher gewalttätig-islamistischer Ausprägungen feiern das Massaker in Paris als Heldentat – ein gewaltiger Propagandaerfolg, wer auch immer dahintersteht.

Wichtiger als die Herkunft des Terrors erscheint, dass er eine neue Qualität bekommen hat. Er ist nun endgültig als ganz andere Bedrohung bewusst geworden – eine, die nicht mehr in der Hauptsache von außen und aus der Ferne kommt.

Der Terroranschlag auf "Charlie Hebdo"

Ob die Täter nun Erfahrungen auf den Schlachtfeldern Syriens gesammelt haben oder nicht, ob sie allein handelten oder Unterstützer hatten, ist nebensächlich. Ebenso wie der Grad ihrer Verflechtung mit dieser oder jener Gruppe. Die augenscheinlich geschulte Kaltblütigkeit, mit der die Angreifer agierten, ihre militärische Montur – überhaupt, dass es diese Aufnahmen gibt – das alles prägt zwar das Bild, das ihr Terrorakt abgibt: das eines Kriegs, dessen Schauplatz plötzlich Europas Straßen sind. Doch eindrücklicher ist die simple Effektivität, mit der die Tat ihre Wirkung entfaltet. Ja, sie waren vorbereitet, aber es gehört nicht viel dazu, an Waffen zu gelangen, den Zeitpunkt der Redaktionskonferenz in Erfahrung zu bringen, sich Zugang zum Gebäude zu verschaffen und das Feuer zu eröffnen – offenbar selbst unter der Überwachung der französischen Polizei.

Gewalt ist kein Mittel gegen mörderische Ideologie

Die Gegner in diesem Krieg sind deshalb auch nicht nur Islamistengruppen, deren Gravitationszentren Afghanistan, Irak, Syrien oder der Jemen sind – und die somit vermeintlich mit Gewalt zu schlagen wären. Natürlich sind radikalisierte Rückkehrer, die bei den Schlächtern des Dschihad das Töten gelernt haben, eine reale Bedrohung, die eine Abwehr erfordert. Und potenzielle Bombenattentäter mit großen Plänen sind gefährlicher als ein verwirrt-wütender Einzelner, der auf Soldaten, Museumsbesucher oder Cafégäste feuert. Oder einfach mit dem Auto in Passanten rast. All das hat es bereits gegeben in Europa.

Doch der Angriff auf Charlie Hebdo und auf das, was das Magazin verkörpert: die Freiheit von Meinung und Kritik als Fundament einer modernen Gesellschaft – er macht deutlich, dass der wahre Gegner eine perverse und mörderische Ideologie ist. Jene nämlich, die glaubt, aus dem Islam ließe sich ein ultimativer Herrschaftsanspruch ableiten, der die Zerstörung alles Anderen rechtfertigt. Dieser gewaltsame Islamismus, den Millionen von Muslimen in aller Welt genauso ablehnen, wie die getöteten Satiriker es taten, ist eine Gefahr, gegen die Sicherheitsbehörden bis zu einem gewissen Grad schützen, sie aber keinesfalls beenden können. Und die auch nicht mit Drohnen oder Kampfjets auszuschalten ist.

Voriger Artikel Infratest dimap Anschlag von Paris wirkt sich nicht auf Terrorangst aus Nächster Artikel Terror in Frankreich "Religion wurde lange ignoriert"
Verlagsangebot

Entdecken Sie mehr.

Lernen Sie DIE ZEIT 4 Wochen lang im Digital-Paket zum Probepreis kennen.

Hier testen

Kommentare

417 Kommentare Seite 1 von 38 Kommentieren

Die Lustlosigkeit des Westens

[...] Dem Islamismus hätte man schon damals den Boden seines sogenannten "Glaubens" unter den Füssen weggezogen. Dazu konnte sich der Westen allerdings nicht durchringen.

Statt dessen fingen die USA einen Krieg im Irak an, dessen Regime zwar verbrecherisch war, aber nichts mit den Islamisten zu tun hatte. Auch das syrische Regime und das von Gaddhafi in Lybien hatte nichts mit den Fundamentalisten zu tun.

Gekürzt. Bitte verzichten Sie auf Äußerungen, die als Aufrufe zu Gewalt und Zerstörung verstanden werden können. Danke, die Redaktion/sam

Stürmer

Naja, nur weil jetzt dieses schreckliche Attentat passiert ist, darf man doch wohl immer noch sagen, dass man die Karikaturen widerlich findet und sie einen an die Juden-Porträts der Nazis erinnern, oder?
Gleichwohl ist erwähnenswert, dass man sich freut, in einer Gesellschaft zu leben, in der es Meinungs- und Pressefreiheit gibt und sogar solch ein Müll publiziert werden kann.

Afganistan

hat mit den dem islamistischen Terror kaum was zu tun. Die Taliban betrachten lediglich ihre Stammesgebiete(Afganistan+Pakistan und Teile Zentarlasiens) als Kampffeld. Sie sind sehr nach innen gerichtet und kaum auf internationalen Terrorismus aus. daher ist die Aussage Strucks Humbug. Wer allerdings AL-Kaida und IS und deren interantionalsierung des Terrors schuff ist hinlänglich bekannt. Unsere Sicherheit muss zuerst gegen westlichen Geheimdienste und unsere Verbündeten am Persischen Golf verteidigt werden.

Eine bittere Wahrheit

Wenn Sie sich beschweren, daß um die Ermordeten von Paris in unseren Medien mehr Aufhebens gemacht wird, als um die täglich im Jemen, in Nordafrika, im Irak, in Afghanistan, Tschetschenien, Syrien und anderen islamischen Ländern sinnlos dahingemeuchelten Terroropfer, machen sie jetzt aber ein Faß auf, das sie so wahrscheinlich nicht beabsichtigt haben.

Wollte man über all diese Greueltaten in gleicher Ausführlichkeit berichten, so wäre in keinem Medium mehr Platz für irgendeine andere Nachricht.

Fakt ist aber in der Tat: Das permanente Meuchelmorden und Abschlachten in diesen Ländern empfinden wir mittlerweile als Normalzustand, fast nur noch für die Statistiker interessant, weil es dort zum Alltag gehört. Das ist freilich bitter.

Jetzt können wir dann weiterdiskutieren, weshalb das so ist, ob die Ursachen nur gesellschaftlich-ökonomischer Natur sind und vom "Westen" verursachte Ungerechtigkeit (warum gibt es dann z.B. im Brasilien oder Gabun solche Selbstmordattentate kaum?), oder nicht vielleicht doch eine religiös-kulturelle Komponente eine entscheidende Rolle spielt.

Ich sehe ebenfalls keine neue "Qualität".

Ich denke das Journalisten das gerade so empfinden weil sie durch den Terrorakt in der eigenen Berufsgruppe sich näher dran fühlen.

Und das es in Frankreich gerade im Hinblick auf muslimische Zuwanderer schon lange heftig gärt ist doch auch keine neue Erkenntnis. Da ist in der Vergangenheit von beiden Seiten so viel schief gelaufen das man sich eigentlich nicht wundern muß wenn es jetzt heftig knallt.

Und bitte beachten, ich schrieb wundern! Was ganz und gar nicht bedeutet das ich es gut heiße in welcher Form es gerade knallt. Morde sind absolut kein angemessenes Mittel seinen Willen durch zu setzen.

Allerdings halte ich diese "Jetzt erst recht Strategie" zwar für nachvollziehbar, aber für ebenfalls nicht zielführend.