Fünf vor acht / Attentat in Paris : Keine Angst

Bei dem Anschlag in Paris ging es darum, etwas zu zerstören. Nach dem Anschlag muss es darum gehen, etwas zu verteidigen: unsere Freiheit. Sonst siegen die Attentäter.
© Privat

Ich bin Katholikin und Kirchensteuerzahlerin, was noch nichts sagt. Ob ich glaube oder nicht, ist meine Privatsache. Meine Religion gilt heute als unauffällig, die größten in ihrem Namen begangenen Verbrechen und Schandtaten – sie sind unzählig – liegen schon etwas zurück. Meine Religion sieht für die gewöhnliche Privatperson keine deutlich sichtbaren Insignien vor, keine Kopfbedeckung, keinen Tschador. Ob ich glaube oder nicht, das sieht man mir nicht an. Und das kann wichtig sein in diesen Tagen.

Fünf bis acht Millionen Muslime sollen in Frankreich leben, etwa vier Millionen in Deutschland – wie begegnet man ihnen jetzt, nach dem, was war? Nach den Hinrichtungen bei dem Satiremagazin Charlie Hebdo, die zwölf Menschen aus ihren Leben rissen und fassungslose, trauernde Familien und Freunde zurückließen; zwölf Hinrichtungen, elf Verletzte, eine Tat, die immer wieder als "perfider Anschlag" bezeichnet wurde – gibt es Anschläge, die nicht perfide sind?   

Was am Mittwoch in Paris geschah, ist in so vieler Hinsicht, auf so vielen Ebenen grauenhaft und erschütternd; die Tat hat weit mehr zerstört als das Leben von zwölf Personen und ihren Angehörigen. Sie war ein Angriff auf unsere Liberalität und, ja, großes Wort, das hatten viele von uns leider vergessen: unsere Freiheit. Und sie betrifft uns Journalisten in besonderen Maße. Denn der Presse, ob nun Satire oder nicht, galt dieser Anschlag.

Nach den Morden gingen in Frankreich Zigtausende auf die Straßen, trotzig streckten sie aus Solidarität Stifte in die Luft, in Paris hatte jemand in der Menschenmasse Leuchtbuchstaben hochgehalten, sichtbar noch in der hereinbrechenden Dunkelheit: NOT AFRAID. Keine Angst.

Was für eine Kraft dieses Bild verströmte. Vermutlich sagten diese paar Leuchtbuchstaben und die Massen da draußen in einem Augenblick größter Erschütterung und damit auch Sprachlosigkeit mehr als alle Worte, die in Leitartikeln und Mahnreden bemüht wurden, als sofort mit allerlei Mutmaßungen und Vermutungen jongliert wurde.

Kaum jemand wird nun tun können, als sei alles wie vorher

Aber Menschen haben Angst, aus den unterschiedlichsten Gründen. Ich stelle mir eine junge Muslimin vor, die mit Kopftuch oder Tschador bedeckt und mit Tüten bepackt am Tag nach dem Anschlag in irgendeiner europäischen Großstadt, in Berlin, Paris oder Warschau, in den Bus steigt. Sie ist Feindbild, für manche zumindest, seit diesem Anschlag womöglich einige mehr. Vermutlich weiß sie das. Kann sie offen in die Gesichter anderer blicken oder senkt sie ihren Blick?  

Und wenn heute eine Gruppe von, sagen wir, jungen bärtigen Muslimen in die S-Bahn steigt, in der wir gerade sitzen – zuckt dann niemand von uns zusammen? Wirklich? Hat der Terror nicht so eben an die Tür des Nachbarn geklopft?  

Kaum jemand wird so tun können, als sei nach dem Anschlag in Paris alles wie vorher. Kaum jemand wird die Angst leugnen können, die sich nun diffus ausbreitet, denn das Ziel solcher Anschläge sind nicht nur die Opfer, sondern die Übermittlung einer Nachricht an potenziell alle: Seht euch vor. Ihr könntet als nächstes dran sein. Kaum jemand wird vergessen, dass die Täter sich bei ihrem Verbrechen auf den Islam bezogen, dass sie "Allah ist groß" riefen – und auch Muslime töteten, denn einer der Polizisten, die starben, und ein Redaktionsmitglied von Charlie Hebdo waren Muslime. Es wird sich etwas ändern, es ändert sich schon, in Frankreich wurden am Tag nach dem Anschlag Moscheen angegriffen. 

Es ist an uns, mit dieser Veränderung zu ringen. Bei dem Anschlag ging es sehr bewusst darum, etwas zu zerstören. Nach dem Anschlag muss es bewusst darum gehen, etwas zu verteidigen – Liberalität und Freiheit, und das heißt auch die Freiheit zum selbst gewählten Glauben, der so vielen suspekt erscheint.  

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Kommentare

170 Kommentare Seite 1 von 17 Kommentieren

Fader Beigeschmack

Tja, echt merkwürdig, der Tod von Menschen unserer Gesellschaft ist uns näher als der Tod von Menschen in anderen Kontinenten und Kulturen. Meinst Du nicht, dass es umgekehrt genauso ist? Es ist nun mal so, dass man sich eher betroffen fühlt, wenn man sich in dem anderen wiedererkennt. Je mehr Gemeinsamkeiten man hat, desto mehr Mitgefühl.

Wenn man sich Deinen Beleidkommentar anschaut, könnte man denken, die Terroropfer in Frankreich sind Dir ganz fern und gehen Dir letztendlich am Allerwertesten vorbei. Wenn einem alle gleich wichtig sind, sind einem letztlich alle egal.

was soll das den bedeuten?

weit ausgeholt, gut gezielt und doch meilenweit daneben.

ich habe mich nicht rasiert um mich von islamgläubigen und muslimen zu distanzieren und besser zu den 'normalen deutschen' zu passen. genauso wie mein bart ja nie zeichen meiner zuneigung zu irgendwas oder irgendwem war. das war in erster hand bequemlichkeit.
ich habe mich zu meiner eignenen sicherheit rasiert, damit andere in ihrer blinden schwingwut, gegen die ich wenig machen kann, wenigstens nicht auf mich hauen, weil ich zu sehr aussehe wie ein ziel.
auf nem schießstand häng ich mir ja auch keine zielscheibe auf den rücken.

wieso sollte ich angst vor 'islamofaschisten' haben?

davon gibts nur ne handvoll und die chancen so welchen jemals zu begegnen sind schon verschwindend gering.

dem kurzsichtigen deutschen begegne ich dagegen täglich, am bahnhof, im zug, an der arbeit. auf engstem raum.
wir wissen alle, wozu ganz normale menschen fähig sind, wenn sie erst mal ein feindbild haben das andere ganz normale menschen als legitim bekräftigen.
zumindest wenn wir uns mal mit psychologie und geschichte beschäftigt haben.

die paar verrückten, abgekapselten islamisten die sich im kleinen familienkreis genug mut angebetet haben um so einen anschlag zu verüben sind doch ein witz gegen ein volk, das aus verschiedenen gründen, vornehmlich wirtschaftlich-politischen, seit jahren seine wut runterschluckt und zunehmends unruhig und schreckhaft reagiert.
der deutsche hats vor 70 jahren schonmal durchlebt, der amerikaner hats vor 14 jahren mal durchgemacht. es liegt in der natur des menschen, auf das erstbeste einzuschlagen was er als gefahr versteht, wenn er sich nicht noch auf seine vernunft besinnt.

in der gegenwärtigen situation ist es nicht meine aufgabe, 'mutig' zu bleiben und mich mit steinen bewerfen zu lassen, wenns denn dann soweit ist, sondern ruhig zu bleiben und nicht selbst steine zu werfen.

Steine werfen?

Auf wen würden Sie Steine werfen, "wenn es so weit ist" und warum? Ihre Antwort hat mich sehr erschreckt, auch wenn ich Ihren Bezug auf unsere faschistische Vergangenheit nachvollziehen kann. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit meiner Großtante, die mir erzählte, dass sie während des Faschismus in Berlin ab einem bestimmten Zeitpunkt bei Besuchen bei ihren sog. arischen Freunden ihr Auto nicht vor deren Hautür parkte, sondern ein paar Häuser weiter, um diese nicht zu "kompromittieren". Glücklicherweise konnte sie rechtzeitig in die USA emigrieren und ist so dem sicheren Holocaust entkommen. Sind wir in Ihren Augen wirklich schon wieder so weit, dass wir uns schützen oder auch tarnen müssen, um mit heiler Haut durchs Leben zu kommen?

Bedrohung durch den islamischen Faschismus

Zunächst einmal gibt es KEINEN islamischen Faschismus. Dieses Wortkonstrukt ist ein Kampfbegriff aus einschlägig bekannten Kreisen (PI-News, ...).

Es gibt aber islamischen Fanatismus, islamischen Extremismus und islamischen Terrorismus.

Der islamische Terrorismus, der in Europa Anschläge verübt, wird total falsch analysiert und grottenfalsch in den Medien dargestellt. Mit angeblich lustigen Satiren und Karikaturen, wo bärtige Turbanträger Ihre Kalaschnikov schwingen oder mit dem Säbel drohen, hat der islamische Terrorismus in Europa überhaupt nichts gemein. Von daher werden hier in den Medien komplett falsche Klischee bedient, auf die auch viele einfältige Leser herein fallen.

Der islamische Terror in Europa rekrutiert sich seit einigen Jahren von Gotteskriegern, die in Kriegsgebieten Ihr blutiges Handwerk erlernen und damit wieder zurück kommen. Anstatt solche Subjekte sofort ins Gefängnis zu stecken aufgrund Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, laufen diese frei herum und wissen mit Ihrer Kraft nichts weiter anzufangen, als angeblich den Propheten oder die Religion rächen zu wollen.

Der Nährboden für solche Terroristen ist der religiöse Fanatismus, der in einigen Parallelgesellschaften innerhalb der muslimischen Gesellschaften kursiert. Diesem Fanatismus müssen in erste Linie die vielen unterschiedlichen muslimischen Gesellschaften entgegen treten in einer gemeinsamen Anstrengung.

Und diese Anstrengungen sind momentan noch zu wenig.