Arabische Medien : "Wir trauern mit euch, aber ..."

"Wir sind Charlie", lautet die Botschaft erstaunlich vieler arabischer Medien nach dem Pariser Massaker. Doch es gibt auch Kritik an der Heroisierung von "Charlie Hebdo".
"Ich bin Charlie" steht auf Arabisch auf dem Plakat dieses Mannes in Paris © KENZO TRIBOUILLARD/AFP/Getty Images

"Frankreichs 11. September der Gedankenfreiheit" – so lautete am Donnerstag die Schlagzeile auf der Titelseite von L'Orient Le Jour, einer französischsprachigen Tageszeitung im Libanon. "Märtyrer der Freiheit", schreibt die Kolumnistin Fifi Abou Dib in ihrem Leitartikel, dieses Wort, das jeder rational denkende Mensch nur zögerlich in den Mund nehme, "ist bei uns längst verbreitet. Jetzt hat es auch den Westen erreicht."

Wie reagiert die Presse im Nahen und Mittleren Osten auf das Massaker in Paris? Wie reagieren gerade arabische Journalisten, für die Angst vor Repression, Todesdrohungen und Anschläge etwas erschreckend Normales sind? Schaut man auf die Kommentare und Karikaturen – und es gibt meisterhafte Zeichner in der Region – so lautet die Antwort: mit Wut auf die Attentäter, Solidarität mit den Ermordeten und Verbitterung über die westliche Sichtweise auf den Terrorismus. Und durchaus auch mit Kritik an der Heroisierung von Charlie Hebdo.

Die libanesische Tageszeitung An Nahar zeigt eine Faust, die einen Bleistift in den Lauf einer Kalaschnikow rammt. Die ägyptische Zeitung Al Shourouq druckte eine Charlie-Hebdo-Karikatur ab, die sich über den selbst ernannten IS-Kalifen Abu Bakr al-Bagdadi lustig macht. Die libanesische Tageszeitung Al Akhbar veröffentlichte eine Zeichnung des syrischen Karikaturisten Yusef Abdlki: Ein und dieselbe Kugel trifft Charlie-Hebdo-Chefredakteur Stéphane Charbonnier und einen arabischen Zivilisten, der ein Heft mit der Aufschrift "Gleichheit" in der Hand hält.

"Überhaupt nicht heroisch"

Andere gaben brav die Verlautbarungen ihrer Machthaber wieder. "Staatspräsident Abdel Fattah al-Sissi verurteilt den Angriff auf das französische Magazin Charlie Hebdo", meldete das ägyptische Blatt Al Ahram, "und fordert koordinierte internationale Anstrengungen zum Kampf gegen den Terrorismus." Für all die ägyptischen Journalisten, die seit Al-Sissis Machtantritt als "Terroristen" denunziert, verprügelt, niedergeschossen oder im Gefängnis gelandet sind, klingt das wie blanker Hohn.

Bemerkenswert ist hingegen ein Kommentar aus Al-Sharq Al-Awsat, einer saudisch finanzierten panarabischen Tageszeitung. Deren Autor verurteilt nicht nur den Terroranschlag von Paris, sondern wirft auch all jenen ein Verbrechen vor, die solche Taten rechtfertigten und unterstützten. Das kann man durchaus als Hieb gegen Golfstaaten lesen, die wortreich vor Terrorismus warnen und gleichzeitig genau jenen religiösen Fanatismus praktizieren, auf den sich offenbar auch die Attentäter von Paris berufen. Wie fast alle arabischen Regierungen verurteilte am Donnerstag auch Saudi-Arabien den Anschlag auf Charlie Hebdo. Am Freitagmorgen wurde dann der saudische Blogger Raif Badawi vor eine Moschee in Jeddah geschleppt und vor Schaulustigen mit 50 Peitschenhieben malträtiert. Sein Vergehen: Badawi ist Mitbegründer einer Website, auf der er religiöse Hardliner im Land kritisiert hat. Seine Strafe: zehn Jahre Haft und 1.000 Peitschenhiebe – verteilt auf je 50 pro Woche.

In diesen Kämpfen gegen staatliche Repression sehen viele arabische Journalisten eine Voltairsche Radikalität à la Charlie Hebdo nicht als Hilfe, sondern als Bedrohung von der anderen Seite.

Einen streitbaren Kommentar, der auch auf dem englischsprachigen Portal von "Open Democracy" verbreitet wurde, lieferte Al Akhbar. Kolumnist Yazan al-Saadi verwahrt sich ausdrücklich gegen das Etikett "Helden" für die ermordeten Kollegen von Charlie Hebdo. "Viele ihrer Veröffentlichungen halte ich für verletzend, islamophobisch (und antisemitisch, rassistisch, sexistisch und homophob) ... Ich finde es überhaupt nicht heroisch, wenn ein paar elitäre weiße Autoren und Zeichner sich über die Identität und den Glauben von Minderheiten lustig machen. Satire soll sich eigentlich gegen die Mächtigen richten und nicht nach den Schwachen treten."Al-Saadi sieht Muslime dabei auch als Verlierer in einer westlichen Kultur der Political Correctness. Bei Satire, die sich gegen Juden, Schwarze oder Frauen richte, so glaubt er, gingen viel schneller die Warnschilder hoch als bei Satire gegen Muslime. Ein Vorwurf, den man Charlie Hebdo und seinem Prinzip der flächendeckenden Satire gegen alles und jeden wohl nicht machen kann.

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Kommentare

395 Kommentare Seite 1 von 27 Kommentieren

Ja? Ich habe vorgestern und gestern genau hingesehen -

bei allen Bildern aus Paris, Lyon, Marseille ... kann ich Ihre Beobachtung aber nicht bestätigen
Ich hatte beschrieben, ich sah eine augenscheinlich vietnamesisch/chinesischstämmige Teilnehmerin, auf einem anderen Bild eine dunkelhäutige trauernde Teilnehmerin - und das war's -

niemand hat mir widersprochen. Mich zwar angemacht, wie ich so etwas auf einem Bild ausmachen könnte (der ich jahrelang in Paris mit einer Vietnamesin liiert war und in Paris AUCH Nähe Barbès lebte (neben auch Bir Hakeim) und somit in Barbès sehr bewandert war ....) -
aber wie ich sehe, können Sie auch diese Feststellungen anhand von Bildern teilen.
Auf den heutigen Bildern: Ja, da sieht man es, wie Sie beschreiben: Es sind jetzt auch Gottseidank nicht nur (scheiße:) weiße Franzosen zu sehen.

Kurz und knapp,

[...]

Ihren letzten Satz müssen Sie sich mal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen.
Vielleicht bemerken Sie dann, dass es selbstverständlich keine Meinungsfreiheit ist, wenn ich jemandem den Mund verbiete, nur weil ich seine Meinung nicht teile.
Das ist dann keine "freie Presse" mehr sondern eher eine Form der Presse, welche am Montag seit Wochen in Dresden heraus gebrüllt wird.

Gekürzt. Bitte richten Sie Kritik an der Moderation an community@zeit.de. Danke, die Redaktion/sg

Es gibt kein Erstarken des fundamentalistischen Islam

Da schaukelt sich momentan was hoch - das Erstarken des fundamentalistischen politischen Islam hat stattgefunden mit der Gründung Pakistans und mit der Gründung eines Gottesstaates im Nahen Osten 1979 - von dem komischerweise momentan niemand spricht.

Was derzeit stattfindet ist ein brutaler Machtkampf der beiden Schismen im Nahen Osten weil Schiiten unbedingt Regionalmacht werden wollen. -

Diese Ihre Unterstellung sagt mehr über Sie

als als über die anderen.
Glaubenskrieger ALLER Religionen, die meinen, ihre Ansichten mit der Waffe durchsetzen zu müssen, sind gefährlich - auch Breivik hatte seine Ansichten (eine wirre Mischung aus christlichen, aus dem alten Testament stammenden Ansichten, und vorchristlichen Ansichten, die Wikinger betreffend, und rassistischen Ansichten, die angebliche 'Überfremdung' betreffend) mit der Waffe durchzusetzen versucht.
Glaubenskriege in Europa sind noch nicht so lange her - man denke an die Bartholomäusnacht - und vor allem an Jugoslawien.
Glauben macht sich dabei durchaus nicht nur an den Religionen fest - man kann auch an Ideologien glauben und schon sieht man den ehemaligen Nachbarn als Feind an, obwohl man jahrzehntelang gute Nachbarschaft gepflegt hat.

Wer immer seine Ansichten mit Gewalt meint, durchsetzen zu müssen, ist gefährlich - und zwar für friedliches Miteinander und Toleranz.
In Europa leben wir, mit verschiedenen Religionen, Ideologien, Ansichten friedlich miteinander, jedenfalls fast. Die große Errungenschaft Europas ist die Einsicht, nicht jede andere Meinung bekämpfen zu müssen - es ist die Toleranz anderer Meinungen und dabei das Wissen, trotzdem friedlich miteinander leben zu können.

"Das ist wie, wenn ich einem Mann sage,

dass ich seine Frau hübsch finde und er mir dann vorwirft, ich wolle mit ihr Sex haben."
An meinem gelöschten Kommentar war absolut gar nichts unsachlich! Selbstverständlich dient die Verschleierung auch dazu, sexuelle Begehrlichkeiten zu unterbinden!
Sollten sie irgendetwas daran auszusetzen haben erwarte ich eine wohl begründete Erklärung!

Entstammt Ihrer Unkenntnis

"Mal eine Frage an Sie, wie glauben Sie würde dieser Verband oder sonstwer das Verbot der Provokation denn durchsetzen wollen?
Mit "Du, Du, Du, das tust du aber kein zweites Mal"?..."

Das, was Sie behaupten, ist doch vom Verband gar nicht gesagt worden. Das entstammt einfach nur Ihrer Phantasie. Informieren Sie sich doch mal über die Rechtslage in Deutschland, die übrigens auch der Vatikan durchaus nutzt, z.B. §166 StGB (http://www.gesetze-im-int...)