Kultur

Scott McCloud

03.06.15

Der Comic-Theoriepapst scheitert mit eigenem Comic

Blau ist alle Theorie: 30 Jahre lang hat der Autor und Zeichner Scott McCloud der Welt erklärt, wie Comics gemacht werden. Jetzt scheitert er mit einer eigenen grafischen Novelle an der Praxis.

Zur Startseite

Hätte Adorno "Doktor Faustus" schreiben können? Oder konnte das nur Thomas Mann, nachdem Adorno ihm erklärt hatte, wie der moderne Musiker sich seines Materials bemächtigt und wie die Geschichte geht? Werden sich Theorie und Praxis in den Künsten immer unversöhnlich gegenüberstehen? Oder ist das nur der Glaube an den Dualismus von Genie und Geist, Inspiration und Intellekt? "Nicht denken", murmelt David Smith, der Held des grafischen Romans "Der Bildhauer" von Scott McCloud, beim Bildhauen. Sein Mantra.

In den Achtzigerjahren hat McCloud für "Superman" gezeichnet und geschrieben. Seine eigenen Serien, "Destroy!!" und "Zot!", waren Satiren auf das Superheldenwesen, in denen er schon mehr mit den Mitteln seines Mediums spielte, als moderne Märchen zu erzählen. 1993 wechselte er mit dem Lehrwerk "Comics richtig lesen", einem Comic über Comics, zu den Theoretikern.

Auch wenn sich praktizierende Autoren gern über die Lesehilfe lustig machten, Scott McCloud analysierte alles: vom semiotischen Gehalt der Rahmen, Blasen und Figuren bis zur mehrdimensionalen Darstellung von Raum und Zeit. Er unterrichtete an Universitäten. "Comics neu erfinden" hieß sein Buch zur digitalen Bildgeschichte und zu seinem Internetexperiment des 24-Stunden-Comics, echtzeitlich und endlos. "Comics machen" nannte er den dritten Band – und machte sich auch wieder selbst ans Werk.

Der Marshall McLuhan des Comics

"Der Bildhauer" läse sich, wenn man ihn nicht richtig lesen müsste, also nach den Comiclehren Scott McClouds, als ganz gewöhnliche, ganz gut gemachte Graphic Novel. David Smith versucht sich in New York als Künstler, woran er, weil jeder David Smith heißt, selbst verstorbene Großkünstler, verzweifelt: "Eine Million von uns. Alle mit demselben Traum: schöpfen, verknüpfen, in Erinnerung bleiben."

Er trifft seinen toten Onkel Harry, der sich ihm als Teufel anbietet und ihn zu einem Pakt einlädt. 200 Tage lang wird Smith die Allmacht über jedes Material gewährt, dann holt der Satan seine Seele. Mit den bloßen Händen knetet er Granit und Stahlbeton zu metaphorischen Skulpturen. Faust als Superheld. Auch ihm kommen das Leben und die Liebe in die Quere, in Gestalt eines vom Himmel schwebenden Engels, eines manisch-depressiven Mädchens namens Meg. Die Kunst wird groß, die Zeit wird knapp, verweile doch, du bist so schön. Dann kommt der Tod, und man ist traurig.

Wenn es doch so einfach wäre und "Der Bildhauer" sich in der Praxis nicht als Theoriebeweis bewähren müsste. Den kann Scott McCloud als "Marshall McLuhan des Comics" ("New York Times") nur schuldig bleiben. Zu gern hätte er einen schulmäßigen Comic vorgelegt, um seine visionäre Formenlehre zu veranschaulichen. Doch dann musste er erkennen, wie die "Schwerkraft der Geschichte" wirkt, mit der er sich im Nachwort dafür rechtfertigt, dass er zu viel gewollt hat und zu wenig daraus wurde.

David Smith könnte ein Superheld der Herzen sein, müsste er nicht das alles schultern, was McCloud ihm aufbürdet und sich 500 Seiten lang den großen Fragen stellen: Was ist Kunst? Was ist das Leben? Und wo hört die Kunst auf, wo fängt das Leben an? Weil Smith hier auch nicht mehr weiß als sein Schöpfer, bleibt ihm nur sein Selbstmitleid, aus dem heraus er schlechte Street-Art in den öffentlichen Raum stellt, schließlich sogar seine schwangere Frau als heilige Mutter. Seine Superheldenkräfte helfen ihm da auch nicht weiter, seine Liebe schon mal gar nicht. Kitsch bleibt Kitsch und Pathos Pathos.

Scott McCloud verlässt sich darauf, dass sein Leitmotiv, die Faustiade, auch allein zurechtkommt und erzählt in seinen Bildern, was ihn bei der Arbeit sonst noch so beschäftigt hat. New York, der Kunstbetrieb, die neuen Volkskrankheiten. Grafisch so geschwätzig und konventionell als hätte es sein Lehrwerk nie gegeben. Belgisch klare Linien und japanische Dynamik, reichlich Blau im Schwarz und Weiß.

In "Comics machen" streut McCloud die Weisheit, Comics sollten nicht nur zu verstehen sein, sie sollten einen auch berühren. Dazu ist das Nachwort da, ein bilderloser Text, in dem geschildert wird, wie nah die Kunst hier dem Leben seines Autors kommt, den Toten und den Lebenden. In Tausenden Bildern konnte er das nicht so schön erzählen wie in wenigen Sätzen.

30 Jahre lang hat Scott McCloud diese Geschichte eines jungen Mannes, der sein Medium neu erfinden will, mit sich herumgetragen. Fünf Jahre davon hat er sie aufgezeichnet. Auch im Comic, in der Graphic Novel, in der Neunten Kunst, wissen die einen, wie es gehen sollte und die anderen, wie man es macht.