Kultur

Siri Hustvedt

17.05.15

Guerillakrieg im Kunstbetrieb

Kein Zweifel, Starautorin Siri Hustvedt kennt sich im Kunstbetrieb aus. Nur zu mögen scheint sie ihn nicht sonderlich. Ihr neuer Roman "Die gleißende Welt" liest sich eher wie eine Anklageschrift.

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Von Claus-Ulrich Bielefeld

Wie werde ich ein großer (bildender) Künstler? Wie komme ich mit meinem Werk in die wichtigen Galerien? Wie kann ich die einflussreichen Kritiker beeindrucken? Kurzum: Wie kann ich meine Kunst erfolgreich auf dem heiß laufenden Kunstmarkt platzieren und meine eigenen Größenfantasien Wirklichkeit werden lassen?

Ohne eine ausgefuchste Strategie, ein klar definiertes Alleinstellungsmerkmal geht da gar nichts, Jeff Koons oder Damien Hirst und mit ihnen viele andere haben es vorgemacht. Und Harriet Burden, die Protagonistin von Siri Hustvedts neuem Roman "Die gleißende Welt", mag sich einiges von ihnen abgeschaut haben für ihren Aufstieg von der No-Name-Künstlerin zum gefeierten Star der New Yorker Kunstszene.

Die frustrierte Mittfünfzigerin, die jahrzehntelang an der Seite ihres verstorbenen Kunsthändler-Gatten Felix im inneren Kreis des Kunstbetriebs gelebt und darunter gelitten hat, dass ihre Kunst weder vom eigenen Mann noch von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, beginnt ein großes hintersinniges Spiel. Man könnte auch sagen: einen Guerillakrieg voller Winkelzüge, Täuschungen und Wandlungen.

Geschlecht und Rasse als Wertmaßstab

Harriet Burden geht dabei von der These aus, dass Geschlecht, Rasse, sexuelle Orientierung oder andere biografische Details aus dem Leben eines Künstlers für die Einschätzung des (materiellen wie ideellen) Werts seiner Werke absolut entscheidend sind. Ihre Schlussfolgerung: Sie ist gescheitert, weil sie eine Frau ist. Ihr Lösungsansatz: Sie wird ihre Werke mit gekauften männlichen Strohmännern auf den Markt bringen.

Die Gesetze des Kunstbetriebs ad absurdum zu führen, ist keine neue Idee. Nicht selten wird dabei mit den Mitteln der Ironie, der Parodie, der Satire gearbeitet. Nichts davon bei Siri Hustvedt, die die verbissene und mit hohem gedanklichem Einsatz geführte Aktion Harriet Burdens ganz ernsthaft schildert.

Als Erzähler installiert sie einen Professor für Ästhetik, Autor eines Buchs über "Plurale Stimmen und multiple Visionen", der als Herausgeber in einer Anthologie Auszüge aus den 24 Tagebüchern der verstorbenen Harriet versammelt und ihnen die Aussagen ihrer Kinder, Freunde, Galeristen, Mitarbeiter und Kritiker gegenüberstellt.

Spinoza zum Abendbrot

Nicht wenige der Romanfiguren, allen voran Harriet selbst, sind hochgebildet: In ihren Tagebüchern wie in Gesprächen mit ihren Mitmenschen zitiert Harriet in flotter Folge Husserl, Kierkegaard, Nietzsche, Merleau-Ponty, Hannah Arendt, Samuel Pepys, Leibniz und Simone Weil. Wenn sie mal in der Subway sitzt, liest sie Schelling, am Abendbrottisch wird über Spinoza gesprochen.

Und all diese großen Geister befeuern ihren Kampf um die Anerkennung ihrer Kunst. Sie sollen die erfolgreiche Demonstration ihrer These belegen, dass wir alle in einer Welt der "Maskierungen" leben, dass die Maske der wesentliche Bestandteil unserer Kultur ist. Einer der zentralen Sätze Harriets in diesem Buch lautet: "Der Weg zur Wahrheit ist verdoppelt, maskiert; das ist mein Weg, nicht direkt, sondern gewunden!"

Und das ist auch die Erzählhaltung von Hustvedts Buch, die sich exemplarisch in Harriets drei Kunstaktionen zeigt: "Ich wollte sehen, wie sich die Rezeption meines Werks je nach der Persona der Maske verändert." In ihrer ersten Inszenierung benutzt sie einen unbedarften Jungen namens Anton Tish für ihre Installation "Die Geschichte der Kunst des Westens".

Das Ganze wird ein Erfolg, vor dem der Junge bald entsetzt die Flucht ergreift. Es folgt die Aktion "Erstickungsräume", für die sie den schwulen Schwarzen Phines Q. Eldridge als Strohmann einsetzt. Ihr Meisterstück soll schließlich die Ausstellung "Darunter" sein, ein Spiel mit Masken, das sie mit dem ausgebufften Künstler Rune veranstaltet, der sich täglich selber filmt.

Doch Rune dreht das Spiel um. Es gelingt ihm, Harriets Werk zu seinem eigenen zu erklären. Woran er sich allerdings nicht lange freuen kann, denn bei seiner nächsten Performance befördert er sich selbst ins Jenseits.

Kein Zweifel, dass sich Siri Hustvedt im aktuellen Kunstbetrieb New Yorks bestens auskennt. Sie zeichnet scharfe Porträts der Akteure, sie schildert die Performances und Installationen genau, beschreibt anschaulich die verdrehten und gestauchten Puppen, die "Metamorphen", die Harriet herstellt und die sogar beheizt werden können.

Es gelingen ihr wunderbare Nebenfiguren wie "das Barometer", ein Mann, der schizoid ist und von Wetterumschwüngen in den Wahnsinn getrieben wird. Oder sie erzählt von der arglosen Sweet Autumn Pinkney, die sich liebevoll um Karma und Chakren der sterbenden Harriet kümmert. Beide Figuren stehen mit ihrer Existenz gegen Anmaßung und narzisstische Kälte moderner Kunst, wie sie einem in diesem Buch vielfach gespiegelt entgegentreten.

"Ihr Spiel war verkopft"

Doch Siri Hustvedt will nicht nur erzählen, ihr Ehrgeiz geht weiter. Ihrem Buch ist auch ein komplexer philosophischer Essay eingeschrieben über Rezeptionsästhetik, über die Ambiguität menschlicher Existenz und die damit einhergehenden Rollenspiele, über Geschlechterdifferenz, über Sadismus und Masochismus.

In ausführlichen Fußnoten geht es von Freud zur Neurobiologie, über Computertheorien des Geistes zur "Natural Philosophy of Margaret Cavendish" (eine Autorin des 17. Jahrhunderts, die einen utopischen Roman mit dem Titel "Die gleißende Welt" geschrieben hat).

Unter diesem geballten Bildungs- und Bedeutungsanspruch ächzt das Buch gelegentlich ziemlich heftig, und es gilt, was Freund Bruno über Harriets Arbeit sagt: "Ihr Spiel war verkopft, ein philosophisches Märchen." Aber genau das macht auch den Reiz von Siri Hustvedts Roman aus, der trotz all seiner Anspannungen und Anstrengungen ein seltsames, reizvolles Leseabenteuer ist.