Geschichte

Karikatur und Satire

08.04.15

Was Friedrich Ebert und Varoufakis gemeinsam haben

Der erste Reichspräsident war ein beliebtes Ziel des Spotts. Eine Berliner Ausstellung zeigt, wie Karikaturisten mit ihm umgingen und welche politischen Auswirkungen das hatte.

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Von Oliver Beckhoff

Karikaturen stehen für Meinungsfreiheit: Das hat der Anschlag auf Charlie Hebdo einer breiten Öffentlichkeit auf tragische Weise ins Gedächtnis gerufen. Doch neben treffender Kritik und pointierter Meinungsäußerung konnten solche Darstellungen stets auch Stimmungsmache und Propaganda sein.

Heute jedoch haben Karikaturen einen Großteil ihres Streitpotenzials eingebüßt – mit Ausnahme von Mohammed-Zeichnungen. In Berlin zeigt jetzt die Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte aus Heidelberg unter dem Titel "Darüber lacht die Republik" 70 Karikaturen aus der Zeit der Weimarer Republik. Die Ausstellung macht deutlich, welche Rolle gezeichnete Persiflagen in politischen Diskursen zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielten.

Karikaturen begleiteten und kommentierten das politische Tagesgeschehen. Schon in der Antike war so. Was auf Stein und Papyrus begann, entwickelte sich im Zuge der Aufklärung zum Spiegel zeitgenössischer Haltungen. In der Weimarer Republik hieß das vor allem: weltanschaulicher Stellungskrieg. Die ideologischen Grabenkämpfe politischer Strömungen fanden auch in Satirezeitschriften und auf den Karikaturenseiten der Tagespresse statt.

Heute regen überspitzte Zeichnungen deutscher Politiker kaum mehr auf. Die Gesellschaft hat sich an eine Bilderflut gewöhnt. Jeder kann Bilder produzieren, jeder kann sie in Echtzeit veröffentlichen. Der Neuigkeitswert verfällt, sobald ein aktuelleres erscheint. In diesem Meer von Bildern nimmt die Bedeutung des einzelnen Bildes ab. Damit steigt auch die Skepsis einzelnen Darstellungen gegenüber.

Als am 9. November 1918 die Republik ausgerufen wurde, war es noch teuer, Fotos zu machen. Auch die Drucktechnik war noch nicht ausgereift. Deshalb konnten sich nur wenige Zeitungen den Luxus leisten, regelmäßig Fotografien abzudrucken. Visualisierungen des Tagesgeschehens waren Mangelware. Das Gros der Bilder, die in der Öffentlichkeit zu sehen waren, hatten Karikaturisten gezeichnet.

Zeitungen und andere gedruckte Medien hatten ein Monopol auf Informationsvermittlung: Der Rundfunk war noch Jahre von der ersten Sendung entfernt, an Fernsehen dachte noch niemand – und das Internet war unvorstellbar. Presseimperien blühten auf und bedienten die Öffentlichkeit. Die Beziehung zwischen Medium und Nutzer war einseitig: Eine Seite sendete, die andere empfing. In diesem System entfalteten die wenigen überhaupt verfügbaren Bilder starke Wirkung.

Zu den Lieblingsmotiven vieler Karikaturisten gehörte in den frühen 1920er-Jahren Reichspräsident Friedrich Ebert. Als Galionsfigur der neuen, demokratischen Ordnung sahen zeichnerisch begabte Republikfeinde ihn als Sinnbild der "Verkommenheit". So gewann das kleine und beleibte Staatsoberhaupt stets ein Vielfaches an Leibesfülle hinzu.

Eine Karikatur zeigt Ebert im Stile mittelalterlicher Darstellungen absolutistischer Herrscher. Statt des goldenen Reichsapfels hält er einen kürbisgroßen Apfel in der Hand, statt des Zepters einen viel zu kleinen Regenschirm. Die Karikatur erschien 1919 im "Kladderadatsch", einer wöchentlichen Satirezeitung, und zeigt, wohin sich ein beachtlicher Teil der Bevölkerung zurücksehnte.

Nicht nur Zeichnungen, auch Fotos konnten karikierend wirken. Eine Aufnahme von 1919 zeigt Friedrich Ebert an der Seite des damaligen Reichswehrministers Gustav Noske (SPD) stehend in der Ostsee, in Badehosen, oberkörperfrei. Vor ihnen taucht ein Mann aus dem Wasser auf. In der Hand hält er eine Mistgabel, umwickelt mit Algen – eine scherzhafte Darstellung Neptuns, des griechischen Meeresgottes.

Die "Berliner Ilustrirte", eines der wenigen "Bilderblätter" der Zeit, druckte es pünktlich zur Vereidigung des Reichspräsidenten auf der Titelseite ab. Dass das Bild anlässlich der Eröffnung eines Kinderheims entstanden war, verbarg die Bildunterschrift: "In der Sommerfrische". So entstand der Eindruck, Ebert genieße das Leben, während das Volk unter den Kriegsfolgen litt. Eine jahrelange Schmähkampagne war die Folge.

Die "Deutsche Tageszeitung" montierte das Ebert-Foto neben Bilder des deutschen Kaisers und Paul von Hindenburgs, die beide hochdekoriert mit militärischen Orden zeigten – vor allem aber: bekleidet. "Einst und jetzt", schrieb die Zeitung über die Montage.

Auch wenn heute Zeichnungen an Bedeutung verloren haben: Kontroversen auslösen können satirische Darstellungen immer noch. Das hat auch mit der Verunsicherung zu tun, ob ein Bild, ein Foto oder sogar eine Video-Aufnahme tatsächlich echt sind.

Zuletzt wurde das beim "#fingergate" deutlich: Günther Jauch hatte in seiner Talkshow einen Videoausschnitt gezeigt, in dem der griechische Finanzminister Janis Varoufakis den Mittelfinger ausstreckt, während er 2013 auf einer Konferenz in Serbien über einen griechischen Staatsbankrott sowie griechische Schulden gegenüber Deutschland sprach.

Varoufakis bestritt einerseits, diese Geste überhaupt gemacht zu haben – sie sei manipuliert. Andererseits betonten seine Verteidiger, die Geste bezöge sich auf das Jahr 2010, als noch keine Finanzhilfen nach Athen geflossen waren. Diesen Kontext ließ Jauch unerwähnt. "Hat er oder hat er nicht?", lautete die Frage, die von da an tagelang die griechische und die deutsche Öffentlichkeit bewegte.

Zumal der Satiriker Jan Böhmermann einen Tag nach Jauchs Sendung ein Video veröffentlichte und vorgab, Urheber der von Varoufakis monierten angeblichen Fälschung zu sein. Darin erklärte ein Grafiker, wie leicht es gewesen sei, den Mittelfinger ins Bild zu retuschieren. Der kurze Film funktionierte wie seine gezeichneten Vorgänger: Er überspitzte die Realität bis zur Lächerlichkeit.

Der Unterschied zur Debatte über Friedrich Ebert in der seinerzeit jungen Demokratie in Deutschland: Die Darstellung wurde vom Publikum nicht hingenommen und akzeptiert, sondern löste zahlreiche Kommentare und Variationen aus. Das ist eine Folge der gewachsenen Erfahrung mit Medien, der neuen Möglichkeiten des Internet und der Skepsis gegenüber stark zugespitzten Darstellungen.

Die Ausstellung in der Landesvertretung Baden-Württembergs in Berlin zeigt, dass die Demokratie von Mehrdeutigkeit lebt, von Alternativen zu einer vorgegebenen Darstellung. Das war in der Zeit Eberts als Reichspräsident noch schwach entwickelt. Auch daher bezogen Karikaturen ihre Sprengkraft.

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