Kultur

"German Übermacht"

21.03.15

Kritik an "Spiegel"-Cover mit Merkel und Nazis

Auf seinem aktuellen Cover montiert der "Spiegel" Bundeskanzlerin Merkel ins Dritte Reich - um das Deutschland-Bild in Europa aufs Korn nehmen. Dafür meint sich der Chefredakteur erklären zu müssen.

Zur Startseite

Ja, werden sie sich beim "Spiegel" gedacht haben, dieses Titelbild wird für Aufsehen sorgen. Zu sehen ist ein Foto von 1941: Generalfeldmarschall Walther von Brauchitsch mit einer Gruppe von Wehrmachtsoffizieren vor der Akropolis in Athen. Ins schwarz-weiße Gruppenbild hineinmontiert die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Gelbe Hose, grünes Jackett, freudiger Blick in die Luft, Hände zur Raute geformt. Überschrift: "The German Übermacht".

Bevor nun das große Geheul angestimmt wird: Natürlich ist der "Spiegel" nicht der Meinung, dass Angela Merkel eine nationalsozialistische Eroberungspolitik betreibt und dass Deutschland eine "Übermacht" ist. Das verrät die Dachzeile "Wie Europäer auf die Deutschen blicken". Merkels Foto ist mit drei Klebestreifen ins historische Foto hineingepappt worden, die Montage ist absichtlich dilettantisch.

Worauf der Titel anspielt, sind Karikaturen und Graffiti im Ausland, die Angela Merkel und Politiker wie Finanzminister Wolfgang Schäuble als Nazis darstellen – und das auch genauso meinen. Die "Spiegel"-Story im Heft heißt, in Anführungszeichen: "Das Vierte Reich".

"Missverstehen kann nur, wer ihn missverstehen will"

Im Text kommen die acht Autoren mithilfe von Europaexperten zu dem Ergebnis, dass Deutschland eine wirtschaftliche Macht sein wolle, keine militärische. Der Wille zur geopolitischen Macht gehe den Deutschen eher ab. "Schon deshalb", heißt es im Text, "sind die Bezüge zur Nazi-Zeit so daneben."

Worüber nun vor allem auf Twitter diskutiert wird, ist aber nicht der Text oder dessen Fazit, sondern einzig der Titel. Soll das Satire sein? Oder ist das einfach doof?

Auf Kritik und Spott in sozialen Netzwerken, wie auch auf einen Artikel der "Süddeutschen Zeitung", hat "Spiegel"-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer am Samstag geantwortet: "Der neue Spiegel-Titel fällt auf, spitzt zu, und scharf ist er auch. Aber missverständlich? Nein, missverstehen kann ihn nur, wer ihn missverstehen will."

Und weiter: "Wir zitieren, ironisieren und verfremden einen Blick von außen und die Vermischung von deutscher Geschichte mit deutscher und europäischer Gegenwart." Nachteil für Brinkbäumer: Wer sich erklären muss, ist immer in der Defensive.

Nun ist unübersehbar, wie groß das Gefälle zwischen der Eigenwahrnehmung und der Fremdwahrnehmung der Deutschen ist. Während in Deutschland über Mietpreisbremse und Mindestlohn diskutiert wird, die Deutschen sich nach der Fußballweltmeisterschaft 2006 noch über den neuen Status als netter Nachbar freuten, hat sich das Blatt seit der Finanzkrise gedreht.

Vor allem in Ländern wie Griechenland und Spanien, aber auch in einigen anderen Euro-Ländern, ist Kritik an deutscher Dominanz zumindest in einigen politischen und gesellschaftlichen Lagern en vogue. Und da ist der Nazi-Vergleich nie weit.

Der Versuch in Selbstironie scheitert

So gesehen hat der "Spiegel" ein Deutschland-Bild unter vielen anderen, die es in Europa gibt, karikiert. Zur Vorsicht schreibt das Nachrichtenmagazin in seiner "Hausmitteilung": "Natürlich ist der Vergleich mit Hitlers 'Drittem Reich' unsinnig, aber ist es berechtigt, Deutschland als egoistischen europäischen Hegemonen zu bezeichnen?"

Man kann es wohl so sehen: Der "Spiegel" wollte mit stilistischen Mitteln, denen sich sonst Satirezeitschriften oder auch der britische "Economist" bedienen, einen sehr dicken, auffälligen Punkt machen. Doch während die oft sehr ironischen Titelbilder des "Economist" – über Merkel schrieb das Blatt einst: "One woman to rule them all" – in der Regel auf großen Applaus stoßen, scheint der "Spiegel" mit seinem Versuch in Selbstironie eher zu verwirren oder gar abzustoßen. Auch, weil die Kritiker die Prämisse des Titels, ganz Europa sehe Deutschland als "German Übermacht", schlichtweg nicht teilen.

Beim "Spiegel" wusste man vermutlich, dass von Nazi-Vergleichen dringend abzuraten ist, weil sie fast nie funktionieren. Nun weiß man, dass auch ein Nazi-Vergleich nicht funktioniert, der Nazi-Vergleiche von anderen aufs Korn nehmen will.