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Jura

01.02.15

Warum sind so viele Anwälte Psychopathen?

Die Juristin Eva Engelken hat ein Buch mit dem Titel "111 Gründe, Anwälte zu hassen" geschrieben. Sie rechnet mit Kollegen ab, die unverständliche Briefe schicken oder nicht für Gerechtigkeit kämpfen.

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Von Sebastian Dalkowski

Für ein Buch, das nicht dazu bestimmt ist, in der Uni-Bibliothek zu verstauben, hat "111 Gründe, Anwälte zu hassen" ziemlich viele Fußnoten. 406 sind es genau. Nicht die Autorin Eva Engelken wollte sich damit absichern, sondern ihr Verlag. Was ziemlich angebracht scheint, immerhin kritisiert die 43-jährige Mönchengladbacherin einen Berufsstand, zu dessen Arbeitsalltag es gehört, vor Gericht zu ziehen. Am Ende ließ Engelke sogar jenen Anwalt über das Buch gucken, der sonst das Satire-Magazin "Titanic" berät.

Welt am Sonntag: Frau Engelken, habe ich das richtig in Ihrem Buch gelesen, dass viele Anwälte Psychopathen sind?

Eva Engelken: Der britische Psychologe Kevin Dutton hat festgestellt, dass sie Gemeinsamkeiten haben. Psychopathen zeichnen sich dadurch aus, dass sie überdurchschnittlich intelligent sind und eine hohe Empathie besitzen. Sie können sich in ihr Opfer exzellent eindenken, aber ihnen fehlt das Gewissen. Das heißt, sie erkennen den schwachen Punkt ihres Gegners und können das gnadenlos ausnutzen, ohne dass moralische Bedenken sie daran hindern. Nicht anders macht es ein guter Anwalt: die Schwachstelle des Gegners finden und dann draufhalten. In jedem Fall hilft es, wenn man gefühlskalt an bestimmte Dinge herangehen kann. Zum Beispiel in einer Verhandlungssituation.

Welt am Sonntag: Anwälte weinen vermutlich nicht mal auf Beerdigungen.

Engelken: Zumindest können sie das nicht abrechnen.

Welt am Sonntag: Was halten Sie von Ihrem eigenen Anwalt?

Engelken: Man hat heutzutage nicht mehr nur einen Anwalt. So wie man einen Arzt für die Zähne und für die Füße und für die Schönheit hat, hat man verschiedene Anwälte. Die Spezies des Anwalts, der alles kann, stirbt langsam aus. Als die Stadt Mönchengladbach hinter unserem Haus vierstöckige Häuser bauen wollte, die uns die Sonne weggenommen hätten, haben wir unseren Platz an der Sonne mithilfe eines Fachanwalts für Bau- und Architektenrecht durchgefochten. Was noch leichter war, weil neben mir ein pensionierter Amtsrichter wohnt.

Welt am Sonntag: Anwälte haben Ihnen also schon geholfen. Dann werden die sich aber freuen, wenn sie den Titel Ihres Buches lesen.

Engelken: Ich hasse Anwälte ja nicht, aber es braucht eben ein knackiges Wort für den Titel. Auf der Skala zwischen "lieben" und "hassen" gibt es leider kein ähnlich starkes Wort. Hass würde bedeuten, dass ich jemanden aus tiefstem Herzen verabscheue. Und das ist bei Anwälten nicht der Fall. Ich kenne ganz viele Anwältinnen und Anwälte, die ich bewundere für ihre Eloquenz und ihr strukturiertes Denken und die obendrein richtig nett sind. Aber es gibt viele Dinge, für die ich Anwälte kritisiere.

Welt am Sonntag: Das heißt, hinter den 111 Gründen stehen Sie?

Engelken: Dahinter stehe ich. Aber wenn man sich die Gründe genauer anschaut, sieht man, dass ich den Anwälten auch den Spiegel vorhalte, indem ich die ganzen Witze und Klischees über sie aufgeführt habe. Damit wollte ich denen klarmachen: Schaut mal, so sehen Euch die Mitmenschen. Es ist also auch ein Buch, das sich an Anwälte richtet.

Welt am Sonntag: Welche Anwaltsklischees können Sie denn bestätigen?

Engelken: Viele Anwälte machen sich keine Gedanken, wie ihre Fachsprache auf Außenstehende wirkt. Sie schicken Briefe an Mandanten, die formuliert sind wie Gesetzeskommentare.

Welt am Sonntag: Können die nicht anders? Wollen die nicht? Dürfen die nicht?

Engelken: Die dürfen schon, aber es ist die Gewohnheit, sich so auszudrücken, und die mangelnde Gewohnheit, es anders zu sagen. Nehmen wir den Brief. Der Anwalt macht sich nicht klar, dass der Klient einen verständlich formulierten Tipp braucht und keinen Auszug aus der Urteilsbegründung. Hinzu kommt die Bequemlichkeit. Es ist einfacher, eine verschwurbelte Textstelle abzutippen, anstatt das Problem in eigenen Worten auf den Punkt zu bringen.

Welt am Sonntag: Wollen Anwälte vielleicht auch nicht immer verstanden werden?

Engelken: In Schriftsätzen schreiben sie manchmal nicht so ganz verständlich, damit sie auf der sicheren Seite bleiben. Wenn es drauf ankommt, wollen sie sagen können: "Aber wir haben doch darauf hingewiesen." Angenommen, man beschließt: Ich möchte dort bauen, und die Stadt sagt "Nein" – wenn man dann zum Anwalt geht, hat er die Aufgabe, klar zu sagen: "Sorry, ich kann für dich nicht zaubern, deshalb lass es lieber, sonst wird's teuer." Anwälte vergraben diese Warnung gerne irgendwo im Schriftsatz.

Welt am Sonntag: Offensichtlich ist es ein nicht haltbares Klischee, dass alle Anwälte gut verdienen. Sie sprechen in Ihrem Buch vom Anwaltsprekariat. Gibt es das wirklich?

Engelken: Es gibt den Mittelstand und es gibt wirklich arme Anwälte, vor allem am Anfang der Karriere. Da brauchen einige Hartz IV oder lassen sich von der Familie unterstützen. Da sagt der Berufsstand der Anwälte, also die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche Anwaltverein: Die hatten so schlechte Noten, die hätten gar nicht Anwalt werden dürfen. Das mag zwar sein, dass manche Leute lieber vorher aussortiert werden sollten. Aber dann müsste der Berufsstand dafür sorgen, dass sich die Ausbildung ändert und weniger Anwälte zugelassen werden. Dieses Prekariat nimmt alle Fälle an, die man nicht unbedingt vor Gericht zerren müsste. Oder es verschickt massenhaft Abmahnungen.

Welt am Sonntag: Die Abmahnanwälte sind die schlimmsten von allen, oder?

Engelken: Ja, zusammen mit den Inkassoanwälten. Der Berufsstand sollte so etwas unterbinden. Einmal wurde ein Anwalt sogar verurteilt, weil er eine Forderung eingeklagt hatte, die es gar nicht gab. Dabei ging es um ein Gewinnspiel, bei dem die Leute etwas angekreuzt hatten, woraufhin der Anwalt ihnen ein einschüchterndes Schreiben schickte und eine Zahlung einforderte, zu der sich die Leute angeblich verpflichtet hatten. Viele Leute haben lieber gezahlt.

Welt am Sonntag: Machen Anwälte das aus der Not heraus oder sind einige von ihnen einfach so drauf?

Engelken: Nein, das setzt kriminelle Energie voraus. Aber es gibt viele Anwälte, die mit allen Mitteln um Mandanten kämpfen. Strafverteidiger, die Drogen und ähnliches mit ins Gefängnis schmuggeln, weil sie als Anwalt nicht kontrolliert werden. Solche Anwälte raten ihren Mandanten auch nicht ab, zu klagen. Die nehmen das Geld mit, das sie kriegen können. Gute Anwälte müssen auch mal zum Klienten sagen: "Was Sie von uns wollen, können wir nicht leisten." In einem Fall versuchte eine Frau mit ihrem Ex-Auftraggeber eine Einigung zu erzielen. Das Unternehmen empfand diese Versuche als belästigend und fand einen Anwalt, der die Frau erfolgreich wegen Stalking verklagte. Die Frau durfte sich ihrem Auftraggeber fortan nicht mehr nähern und wartet bis heute auf ihr Geld. Wenn ein Anwalt sich dafür hergibt, ist das nicht richtig.

Welt am Sonntag: Anwälte stehen häufig auf der Seite der Mächtigen.

Engelken: Die bezahlen auch besser. Das kritisiere ich in meinem Buch: Die Anwälte sind aufgrund ihrer Ausbildung in der Lage, verantwortungsvolle Positionen in der Gesellschaft einzunehmen, und deshalb sollten sie diese Verantwortung auch wahrnehmen. Andernfalls haben sie die Privilegien nicht verdient. Sie heißen schließlich Rechtsanwalt und nicht Unrechtsanwalt. Aber viele Anwälte kämpfen nicht für Gerechtigkeit, sondern nur für den nächsten Porsche.

Welt am Sonntag: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Jura-Studenten wegen des vielen Lernens auf Medikamente und Drogen zurückgreifen. Was meinen Sie da?

Engelken: Alkohol in rauen Massen. Und Ritalin.

Welt am Sonntag: Kein Koks?

Engelken: Nicht während des Studiums.

Welt am Sonntag: Aber Alkohol hält doch nicht wach.

Engelken: Den trinken sie, um wieder runterzukommen. Vor allem Bier. Und um anzugeben: Whiskey.

Welt am Sonntag: Nennen Sie doch mal fünf Gründe, Anwälte zu lieben.

Engelken: Erstens: Anwälte sind lernfähig. Ich habe eine Stellenanzeige einer Kanzlei gesehen, die explizit Anwältinnen und Anwälte gesucht hat. Dort stand, Mütter dürften auch dann noch dort arbeiten, wenn sie ihr Kind dabei auf den Knien schaukeln. Anwälte sind keine Vorreiter, aber das heißt, sie folgen auch der öffentlichen Meinung, zum Beispiel, wenn es in Mode kommt, Frauen zu fördern.

Welt am Sonntag: Das war ein Grund.

Engelken: Zweitens: Viele Anwälte drücken sich mittlerweile so aus, dass man sie verstehen kann. Das hängt auch damit zusammen, dass viele Anwälte bloggen und sich dort verständlich ausdrücken müssen. Drittens: Gute Anwälte sind in der Lage, irrwitzig komplexe Interessenskonflikte zu durchschauen und zu lösen. Viertens, viertens…

Welt am Sonntag: Ich habe Zeit.

Engelken: Viertens: Wenn ich einen Prozess habe, brauche ich die ganzen Sachen nicht zu lesen, weil sich mein Anwalt oder meine Anwältin die Mühe macht. Fünftens: Wirtschaftskanzleien haben den leckersten Kaffee.

Welt am Sonntag: Wie sähe eine Welt ohne Anwälte aus?

Engelken: Es gäbe auf jeden Fall ein paar Bäume mehr, weil man die nicht wegen ihrer ganzen Aufsätze fällen müsste.