Kultur

Kim-Jong-un-Satire

02.02.15

Worüber Nordkoreaner bei "The Interview" lachen

Alle reden über die Nordkorea-Satire "The Interview", die am 4. Februar in die deutschen Kinos kommt. Aber wie gefällt sie eigentlich den Nordkoreanern? Überraschende Ergebnisse einer Testvorführung.

Zur Startseite
Von Sören Kittel

Der Kopf von Kim Jong-un platzt, und die beiden jungen Nordkoreanerinnen sitzen einfach nur da. "Ja, und", sagt Soyun Jeong, eine der beiden Frauen, "was willst du jetzt hören?" Kyeonghua Lee sagt: "Das ist so unlogisch, der würde doch niemals allein an der Tür eines Hubschraubers stehen, oder?" Sie meint, dass er von vielen Sicherheitsbeamten beschützt sein würde. Ein bisschen wütend wird sie dann doch: "Und überhaupt, was soll die Aussage, dass alle Nordkoreaner denken, Kim Jong-un sei Gott, das denkt doch niemand wirklich!"

Soyun Jeong fällt ihr auf Koreanisch ins Wort und die beiden diskutieren eine Weile. "Ja, bei seinem Großvater, Kim Il-Sung, da war das noch etwas anderes", sagt Kyeonghua Lee. Sie könne sich noch genau erinnern, ihre Mutter hatte damals geweint. "Sie dachte wirklich, er wird nie sterben."

Schon zu Beginn unserer Videositzung zum Film "The Interview" wird es widersprüchlich. Nein, alle Nordkoreaner sind nicht gleich, und ja, manche glaubten an den großen Führer. Soyun Jeong und Kyeonghua Lee sind Freundinnen, sie haben sich über das Netzwerk von geflüchteten Nordkoreanern in Südkorea kennengelernt. Sie leben in Seoul, studieren beide – Literatur und Nordkorea-Studien. Und sie wollen Deutsch lernen. Deutsche, sagen beide, die verstehen uns, die kennen das mit der Teilung. Wir haben deshalb einen Deal, ein- bis zweimal in der Woche bringe ich ihnen Deutsch bei, sie mir Koreanisch. Jeweils eine Stunde.

"Sind nicht alle so blöd wie im Film"

Doch dieses Mal sitzen wir vor der Deutschstunde zusammen und schauen den Film "The Interview". Beide haben die 118 Minuten schon zu Hause gesehen. "Ich habe angefangen und dann nur noch vorgespult", sagt Kyeonghua. "Warum soll ich mir den Mist komplett anschauen?" Soyun hat den ganzen Film gesehen, sie habe oft gelacht, klar, sagt sie, aber mit ihrer ehemaligen Heimat habe das alles wenig zu tun. "Wir sind nicht alle so blöd wie die Nordkoreaner im Film."

Dan Sterling, der Autor des Films, und sein Kollege Seth Rogan aber haben viel recherchiert für diesen Film, mehrere Bücher gelesen. Laut Rogan hat sogar jemand aus dem US-Außenministerium der letzten Fassung des Skripts seinen Segen gegeben. Nachdem die Filmfirma Sony Pictures einen Hackerangriff überstehen musste, es Bombendrohungen für Programmkinos gab und die nordkoreanische Führung US-Präsident Obama als "Affen im Urwald" bezeichnete, wurde "The Interview" kurzzeitig ein Symbol für Pressefreiheit.

Nach fast sechs Millionen Downloads aus dem Netz ist die Aufregung bei einigen dem Gefühl gewichen, einer sehr guten Kampagne aufgesessen zu sein. Doch egal, welche Vorgeschichte der Film hat, er wird die Meinung vieler Menschen über Nordkorea auf Jahre hin prägen. Nicht nur der Tod des Staatsführers sorgt dafür. In Südkorea wird er jedoch nicht in die Kinos kommen, zu sensibel ist das Thema hier.

Wenigstens im Lied haben Nordkoreaner alles

Der Film beginnt mit einem typischen Nordkorea-Bild: Ein kleines Mädchen singt in landesüblicher Tracht in Großaufnahme ein kommunistisches Kampflied: "Stirb, Amerika, stirb, das würde mein Herz mit Freude erfüllen." Es soll lustig sein, aber Soyun fühlt sich wirklich an ihre Kindheit erinnert. Das Lied sei übertrieben, sagt sie, aber solche ähnlichen Lieder haben sie wirklich gesungen. Die Nordkorea-Forscherin Barbara Demick hat sogar ihr Buch nach einem solchen Lied benannt: "Nothing to envy". Das Lied handelt davon, dass Nordkoreaner alles haben, was sie brauchen, und deswegen andere um "Nichts beneiden" müssen. Kyeonghua kann das Lied noch auswendig und singt sofort los, Soyun stößt sie an. Der Film geht weiter.

Die Kamera fährt zurück, und eine Atomrakete fliegt hinter einem Monument in Pjöngjangs Zentrum in den Himmel. Immer mehr Häuser und Menschen in Pjöngjang tauchen auf. "Die Schauspielerinnen sehen irgendwie nicht aus wie Nordkoreaner", sagt Soyun und Kyeonghua fügt leise, fast bewundernd, an: "Ich finde, Pjöngjang sieht toll aus." Sie waren beide noch nie da, kennen ihre Hauptstadt nur von Bildern. Nordkoreaner dürfen in ihrem Land nicht einfach so reisen. "Ich würde da gern einmal hin", sagt Soyun.

Soyun und Kyeonghua sind beide sehr unterschiedlich. Soyun Jeong ist die jüngere von beiden, 27 Jahre alt, fröhlicher, lacht, wenn sie die deutschen Artikel "der, die, das" durcheinanderbringt. Sie sagt immer "Ichi" statt "ich". Sie ist mit 10 Jahren mit ihrer Mutter zusammen aus Nordkorea nach China geflohen, das war 1998. Ihren Vater haben sie damals zurückgelassen, die Ehe der beiden war schon vorher kaputt, sagt sie.

Im Jahr 2002 kamen sie nach Seoul, inzwischen war Soyun 15 Jahre alt. "Ich wollte damals mehr über meinen Vater herausfinden", sagt sie. Die Mutter rief über Kontakte in der Heimatstadt Sonju an. Der Vater sei tot. "Wir haben lange darüber nachgedacht", sagt Sojun, "ob er vielleicht wegen uns sterben musste." In Nordkorea gilt Sippenhaft bis in die dritte Generation. Sie überlegt, sagt dann: "Wahrscheinlich nicht."

Ihr Vater starb, als sie 14 war

Kyeonghua Lee ist als 20-Jährige im Jahr 2005 aus Nordkorea geflohen, allein. Über ihre Flucht erzählt sie nicht viel, sie sagt nur, dass es nicht leicht war. Ihre Mutter war schon zwei Jahre zuvor geflohen, Ihr Vater starb an einer Lungenkrankheit, als sie 14 Jahre alt war. "Wir hatten kein Geld für teure West-Medikamente."

Sie habe sich durchgeschlagen, ist bald nach ihrer Ausreise nach Seoul gekommen und hat sich mit kleineren Jobs über Wasser gehalten. 2010 hat sie eine Internetanzeige im Netzwerk für Nordkoreaner gesehen: "Kennt jemand Kyeonghua Lee, ihre Mutter sucht sie." Kyeonghua sagt, sie habe damals viel geweint. "Am schlimmsten war es, die Stimme am Telefon zu hören, ich hätte sie nicht mehr wiedererkannt."

Den beiden fällt auf, dass es nicht viele Szenen im Film gibt, die auf das Regime zu sprechen kommen, trotz der vielen Recherchen. Am Anfang und am Ende werden die Arbeitslager oder die Hungersnot der Neunzigerjahre erwähnt, aber für einen Witz werden die Details lieber weggelassen. "Es wirkt ein bisschen so, als sind alle in Nordkorea dumm", sagt Kyeonghua und: "Dabei gibt es bei uns ein Sprichwort: Es gibt keine Idioten mehr in Nordkorea, die erste Hälfte ist in den Fünfzigerjahren, die zweite Hälfte in den Neunzigerjahren gestorben."

Sie meint den Koreakrieg und die große Hungersnot. Sie sagt 'Idioten' meint in dem Sprichwort die, die dem Regime blind gefolgt sind. "Man musste Illegales tun, schlau sein, um zu überleben." Sie weiß noch, vor ihrer Abreise ist die Großmutter ihres besten Freundes an Hunger gestorben. "Das war die Zeit, in der wir Grassuppe gegessen haben." Von Grassuppe ist im Film keine Rede.

Die Nordkoreanerin klingt nach Süden

Der Film läuft derweil fast im Hintergrund weiter, kreischende Amerika-Slapstick, der es ohne den Bezug auf ein echtes Land niemals in die deutschen Kinos geschafft hätte. Als Diana Bang auftaucht, die eine gut aussehende Agentin aus Nordkorea spielt, entlarvt Soyun ihren Akzent sofort und ruft: "Das Wort 'Inmin' würden Nordkoreaner niemals für 'Bürger' sagen." Auch darüber hinaus sei ihr Akzent stark Südkoreanisch. Nordkoreanisch gilt als härterer Dialekt, der in Seoul schnell wie ein Streit klingt.

Als diese Agentin aber erzählt, dass sie aus der Schule ausgesucht wurde, um für das Regime zu arbeiten, nicken beide nur. Sie kennen das wohl. Am Ende bereiten sich die Zuschauer weltweit auf "das Interview" vor, auch die Nordkoreaner scharen sich um den Fernseher, um Kim Jong-un live zu sehen. Kyeonghua kann sich kaum an eine Live-Übertragung erinnern, schon gar nicht von einem Interview. Selbst die Fußballspiele der Nationalmannschaft werden nicht übertragen.

Großen Eindruck hinterlässt die Szene am Ende des Films, als James Franco alias Reporter Dave Skylark in einem Geschäft Früchte aus Plastik findet. Alles war nur ein Potemkinsches Dorf, Pjöngjang enttarnt. Das bunte Angebot – nur eine Tapete. "Aber in Pjöngjang haben sie wirklich alles", sagt Kyeonghua. "Deswegen wollen doch dort alle hin." Das anschließende Interview schauen sie sich stumm an. Nur gegen Ende, wenn Kim Jong-un weint, muss auch Kyeonghua lachen. "Wie ein Baby", sagt sie, "ich glaube, das hat ihn sehr geärgert."

Der Film soll per Luftballon in den Norden gelangen

Gerade wird in Seoul darüber debattiert, ob die Regierung einer Menschenrechtsgruppe verbieten soll, den Film mit Luftballons nach Nordkorea zu verschicken. "Einige haben den wahrscheinlich schon längst", sagt sie. "Das geht heute doch alles viel schneller, auch in Nordkorea." Soyun studiert Nordkorea-Studien. Dort hat sie gelernt, dass Wissenschaftler sich sicher sind, dass über 90 Prozent der Nordkoreaner ihre eigene Lage gut einschätzen können, wissen, wie der Süden aussieht.

Aber das Problem mit dem Film ist, dass er auch dem Regime in die Hände spielen könnte, sagt Soyun. "Es ist eine Komödie, und die Amerikaner sind so dumm in dem Film, dass es fast Propaganda aus Nordkorea sein könnte." All diese Sex-Witze, all die Übertreibungen, dass in Asien alle Hunde essen – "Ich glaube nicht", sagt Soyun, "dass Nordkoreaner die Amerikaner nach dem Film sympathischer finden."