Kultur

"Tagebuch einer Kammerzofe"

08.02.15

Und alle graben an Léa Seydoux

In Benoît Jacquots "Tagebuch einer Kammerzofe" zieht Léa Seydoux in die französische Provinz des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Warum sie das tut, bleibt am Ende des Films leider völlig unklar.

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Von Felix Zwinzscher

Jean Renoir hat es getan. Luis Buñuel hat es getan. Und jetzt hat es auch noch der französische Regisseur Benoît Jacquot getan. Sie alle, und sogar noch ein paar weniger bekannte Filmemacher, haben sich Octave Mirabeaus Gesellschaftssatire "Tagebuch einer Kammerzofe" angenommen.

Jacquots Abrechnung mit dem französischen Großbürgertum des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die im Wettbewerb der Berlinale läuft, kommt in allerlei wunderschön komponierten Bildern daher. Allein das Licht zeichnet eine Provinz-Idylle vom Feinsten, die sich gerade noch vor dem Kitsch retten kann. Nur leider ist das auch das Positivste, was sich über den Film sagen lässt.

Léa Seydoux spielt darin die zwischen Aufmüpfigkeit und Standesbewusstsein oszillierende Kammerzofe Céléstine, die für eine neue Anstellung von Paris in die französische Provinz übersiedeln muss. Im Gutshaus der Familie Lanlaire angekommen, wird sie von der Hausherrin mit den Worten: "Schönes Kleid, zieh Dich um", begrüßt. Der Umgangston ist damit etabliert. Gerufen wird Céléstine von da an nur noch über eine schrille Glocke, die Madame Lanlaire (Clotilde Mollet) an einer Kette am Kleid trägt.

Mehr Interesse für den antisemitischen Gärtner

Hervé Pierre gibt den Monsieur Lanlaire als lüsterne Karikatur eines degenerierten Geldadligen, der sich an alles ran macht, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Das schließt Céléstine offensichtlich mit ein. Die hat aber viel mehr Interesse am wortkargen Gärtner Joseph (Vincent Lindon), der sich nach und nach als flammender Antisemit herausstellt. Tja, wo die Liebe hinfällt.

Zuvor wägt sie allerdings ihre Optionen mit dem äußerst exzentrischen Nachbarn der Lanlaires, Hauptmann Mauger, der ganz unverhohlen sein gesamtes Erbe gegen sexuelle Dienstleistungen anbietet.

Eigentlich sollte es allein schon ein Vergnügen sein, 96 Minuten lang Léa Seydoux zuschauen zu dürfen. Doch spätestens nach einer halben Stunde hält man diesen Gesichtsausdruck eines verzogenen Kindes kaum noch aus. Egal, ob sie vom lüsternen Hausherrn angegraben oder von seiner gestrengen Frau zurechtgewiesen wird, ihr Gesicht bleibt im Schmoll-Modus.

Hin und wieder huscht ihr ein Lächeln über den Mund, dann weiß der Zuschauer, dass sie sich ihrer Überlegenheit gegenüber den nicht besonders subtil agierenden Verehrern bewusst ist. Doch dann erschöpft sich die Emotionspalette leider auch schon.

Weder Satire noch Sozialrealismus

Während Seydoux immerhin noch nervt, schweben die anderen Protagonisten unentschieden zwischen Satire und Sozialrealismus, sind im Endeffekt aber weder das eine noch das andere. Der Satire fehlt der Biss und dem Realismus die Tiefe.

Madame Lanlaire führt Céléstine am Anfang durch das Haus und bleibt alle zwei Meter stehen, um halb warnend, halb stolz darauf hinzuweisen, wie teuer dieser oder jener Gegenstand sei. Damit wäre das Fundament für eine wunderbar überzeichnete Person gelegt. Nur traut sich Jacquot nicht, diese Überspitzung weiterzudenken. So ergeht es ihm mit dem Frettchen-liebenden Hauptmann und dem schmierigen Hausherrn.

Am Ende bleibt die Frage zurück: Warum dieser Film genau jetzt? Das Thema ist aktuell. Sklavenähnliche Ausbeutung von Angestellten gibt es noch immer zuhauf, sexuelle Belästigung auch. Hätte sich Jacquot nicht für einen Kostümfilm – auch wenn er wirklich sehr epochen- und detailgetreu ausgestattet ist – entschieden, sondern die Handlung in die Gegenwart verlegt, dann wäre er vielleicht der Belanglosigkeit entgangen, die am Ende diesen Film auszeichnet. Aber entweder hat ihn der Mut oder die Kreativität verlassen.