10.01.2015

SPIEGEL-Gespräch Ich bin kein Clown

Von Brauck, Markus und Kühn, Alexander

Martin Sonneborn ist als Abgeordneter des Europäischen Parlaments der einzige staatlich bezahlte Satiriker - und findet das nicht verwerflich. Seinen neuen Kollegen kann er wenig abgewinnen. Nun will er von Nordkorea lernen.

Sonneborn,49, war Chefredakteur der "Titanic" und Reporter der ZDF-"heute-show". Seit Juli 2014 vertritt er die von ihm gegründete Satirepartei "Die Partei" in Straßburg und Brüssel(*) (*).

SPIEGEL: Herr Sonneborn, sind Sie für Ihre neuen Kollegen im Europäischen Parlament nur der Irre aus Deutschland - oder können die über Sie lachen?

Sonneborn: Die meisten nicht. Vor allem einige Sozialdemokraten sind erstaunlich humorlos und überlegen genau, ob sie mit mir reden. Aber ich bin kein Aussätziger. Zu manchen Grünen gibt es freundliche Kontakte.

SPIEGEL: Wer ist besonders spaßfrei?

Sonneborn: Ein CSU-Mann sprach neulich in einer Rede von den Verrückten, die ins EU-Parlament eingezogen seien. Und Jo Leinen von der SPD sagte, ich sei ein Rohrkrepierer, als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet - ein originelles Sprachbild. Ich habe ihn gegoogelt und festgestellt, dass das ein älterer Herr ist, der zum letzten Mal verhaltensauffällig wurde, als ihm eine Torte ins Gesicht flog. Es sind diese konservativen, feist gewordenen Altparteipolitiker, die mit Humor nicht umgehen können.

SPIEGEL: Wundert Sie das? Sie stellen Abgeordnete als faule Säcke dar, die nur darauf aus sind, Sitzungsgeld zu kassieren.

Sonneborn: Die ärgert, dass ich sage: EU-Parlamentarier ist ein toller Job - wenig Arbeit, viel Geld. Da waren selbst die Linkspolitiker verstört, die mir sonst auf die Schulter klopfen, wenn es gegen rechts geht. Aber die Leute sind extrem gut bezahlt, die sollen sich nicht so anstellen.

SPIEGEL: Missgönnen Sie den Parlamentariern ihre Bezüge?

Sonneborn: Die können gern ordentlich verdienen. Sie sollten nur den Blick auf den unteren Rand der Gesellschaft nicht verlieren.

SPIEGEL: Für einen Humoristen sind Sie gerade ungewöhnlich ernst.

Sonneborn: Man begreift uns vielleicht als Satirepartei, aber wir haben durchaus ernste Ansichten. Für eine reiche Gesellschaft gehen wir in Deutschland mit den Armen

ziemlich brutal um. Viele Politiker haben sich kein Gefühl dafür bewahrt, wie manche Menschen leben müssen. EU-Parlamentarier haben wirklich unfassbare Privilegien. Ich hätte nach fünf Jahren in Brüssel einen Pensionsanspruch von monatlich 1400 Euro, zahlbar ab dem 63. Lebensjahr. Parlamentspräsident Martin Schulz hat 38 Mitarbeiter, darunter einen persönlichen Diener - das ist doch Wahnsinn.

SPIEGEL: Und Sie geben nun den Störenfried.

Sonneborn: Ich stelle Transparenz her. Es ist das erste Mal, dass jemand aus dem Parlament eins zu eins weitergibt, was er sieht.

SPIEGEL: Sie sind aber nicht mehr unbeteiligter Beobachter wie früher als Reporter der "heute-show", sondern Teil des Systems, über das Sie sich lustig machen.

Sonneborn: Das macht es nicht immer leichter. Für die "heute-show" gingen wir irgendwo rein, machten ein Interview und waren wieder weg. Heute laufen mir die Menschen, über die ich mich lustig mache, ständig über den Weg. Das kann durchaus unerfreulich sein, etwa wenn man von so einem bulligen FPÖ-Burschenschafter angeraunzt wird.

SPIEGEL: Erzählen Sie!

Sonneborn: Als Fraktionsloser sitze ich in einem Umfeld, in dem ich zum ersten Mal nicht der Verhaltensauffälligste bin. Direkt um mich herum habe ich Marine Le Pen vom französischen Front national, Udo Voigt von der NPD und so einen unrasierten Immobilienmakler von der AfD. Links neben mir sitzt Österreichs FPÖ in ihrer auch körperlich unangenehmsten Ausprägung. Ich war in der Plenumspause, als keiner mehr im Saal war, zum Platz von Udo Voigt geschlendert, um zu sehen, ob er NS-Devotionalien in der Schublade hat.

SPIEGEL: Und? Hatte er?

Sonneborn: Es lag nur die "taz" drin, aufgeschlagen war aber ein Bericht über Hakenkreuze in Griechenland. Daneben ein Zettel: "Menschenrechtsausschuss vorbereiten!" Das fand ich lustig, weil Voigt in Sachen Menschenrechte bestimmt noch eine Menge nachzuarbeiten hat. Ich habe das fotografiert und auf Facebook gestellt. Später hat mich dieser bullige Österreicher angeherrscht, das ginge nicht, unter Kollegen und Kameraden. Ich wollte das erst unter Männern auf der Straße klären, vorm Parlament. Leider ist der Österreicher ein Schrank, also ließ ich das.

SPIEGEL: Auf solche Typen wären Sie im Bundestag vermutlich nicht gestoßen.

Sonneborn: Das Gute am EU-Parlament ist, dass die meisten dort nicht wissen, was für ein Vorleben ich in Deutschland habe. Im Bundestag wäre ich bloß ein Gysi, der ab und zu mal eine lustige Rede halten darf, ein paar Witze macht und pointierte Beleidigungen von sich gibt. Wenngleich es schön wäre, das Niveau an dieser Stelle zu heben, weil die Zwischenrufe extrem banal und plump geworden sind.

SPIEGEL: Hat sich Ihr Bild vom EU-Parlament geändert, seit Sie Teil davon sind?

Sonneborn: Nein. Ich habe schon als Reporter im Bundestag wenige Politiker getroffen, die zugleich intelligent und idealistisch sind. Im EU-Parlament, das ist mein vorsichtiger erster Eindruck, sind es noch weniger.

SPIEGEL: Hartes Urteil. Womöglich suchen Sie auch nur nach diesen Klischeefiguren.

Sonneborn: Ich bin da relativ offen reingegangen. Mein Problem ist, dass mir skurrile Sachen immer als Erstes auffallen.

SPIEGEL: Können Sie uns den typischen Abgeordneten beschreiben?

Sonneborn: Ich gebe zu, ich habe noch kein exaktes Bild. Einer der Angestellten, der schon lange im Parlament arbeitet, sagte mir aber, es gebe eine typische Abgeordnetenkurve. Die Leute kommen in Brüssel an und sind unglaublich dankbar für jeden Rat. Sie wissen nicht, wo sie sind, alles ist fremd, die Sprachen, die Bürokratie, entsprechend klein fühlen sie sich. Dann merken sie, dass ihnen jede Tür aufgehalten wird. Sie fangen an, arrogant zu werden. Ein Jahr vor den Wahlen spüren sie, dass sie etwas tun müssen, um wiedergewählt zu werden. Dann werden sie aggressiv und versuchen, alles Mögliche durchzuprügeln.

SPIEGEL: Hat sich Ihr Einzug ins Parlament satirisch gelohnt?

Sonneborn: Es ist interessant zu erleben, dass man relativ leicht der meistgehasste Mann im Saal sein kann, etwa bei der Befragung der neuen Kommissare. Da wollte ich vom Ungarn Tibor Navracsics wissen, ob er als Kulturkommissar Hitlers "Mein Kampf" zur Pflichtlektüre der Jugend in Europa machen wolle. Und Günther Oettinger, unserem Mann fürs Digitale, hielt ich unerfreuliche Punkte aus seinem Leben vor, zum Beispiel den alkoholbedingten Entzug seines Führerscheins vor 25 Jahren. Er setzt sich ja für das Recht auf Vergessenwerden im Internet ein, und ich wollte wissen, was das für ihn persönlich bedeutet.

SPIEGEL: Aber Oettinger ließ sich von Ihnen nicht provozieren.

Sonneborn: Er ist ein erfahrener Politiker und hat einfach etwas dahergeschwafelt. In der Presse kam er relativ schlecht weg. Was bezeichnend ist: Über meine Anfrage wurde groß berichtet. Dagegen ging Wichtigeres, was von anderen Abgeordneten gefragt wurde, in den Medien unter.

SPIEGEL: Ist eine Aktion für Sie dann erfolgreich, wenn die Medien sich darauf stürzen und die eigentliche Parlamentsarbeit im Hintergrund verschwindet?

Sonneborn: Nein, der satirische Erfolg ist dann da, wenn man mit komischen Mitteln ein aufklärerisches Moment herstellen kann.

SPIEGEL: Wo lag das bei Oettinger?

Sonneborn: Ich habe ein Schlaglicht auf diese Befragungen geworfen, die natürlich niemals wirkliche politische Auseinandersetzungen sind, das Ganze hat ja nur Schauspielcharakter. Und ich habe die Frage aufgeworfen, ob da womöglich ein Schwachkopf sitzt, der sich von seinem Enkel das Internet erklären lassen muss.

SPIEGEL: Aber es ging Ihnen mehr um die Pointe als um Inhalte.

Sonneborn: Wir nennen es Politainment, was wir da machen. Das ist das Modernste, was es am Markt gibt: Politik, die gleich mitgefilmt wird. Altpolitiker ohne eigenes Kamerateam haben doch heutzutage keine Chance mehr.

SPIEGEL: Sie sind ein Politclown.

Sonneborn: Ich bin kein Clown.

SPIEGEL: Was sind Sie denn?

Sonneborn: Mitglied des Europäischen Parlaments, und ab sofort möchte ich von Ihnen mit "Eure Exzellenz" angeredet werden. Darüber hinaus bin ich ein "Titanic"-Redakteur, der zehn Jahre nach der Parteigründung in eine interessante Phase eingetreten ist.

SPIEGEL: Sie sind der einzige staatlich bezahlte Satiriker Europas. Sie bekommen Geld von denen, über die Sie Satire machen. Haben Sie damit kein Problem?

Sonneborn: Es ist eine Diskussion, die ich gerade mit meinem Regisseur Andreas Coerper führe, mit dem ich fast alle meine Filme drehe. Er ist der Ansicht, dass wir uns nicht lustig machen können über eine Institution, die uns bezahlt. Er ist ein Mann von großer Moral.

SPIEGEL: Sie nicht?

Sonneborn: Nein. Mich beschäftigt eher die Frage, was ich den 184 709 Menschen zurückgeben kann, die mich gewählt haben. Es gibt viele Bürger, die in den Monaten, seit ich da sitze, mehr vom EU-Parlament mitbekommen haben als in den 20 Jahren

zuvor. Offensichtlich politisieren wir insbesondere junge Leute, sie haben ein gesteigertes Interesse an der EU.

SPIEGEL: Gibt es bei Ihren satirischen Aktionen ein strategisches Ziel?

Sonneborn: Das ergibt sich im Laufe der Arbeit. Internationale Verwicklungen lassen sich ja nicht planen wie damals nach unserem Beitrag für die "heute-show" zur Frankfurter Buchmesse, wo wir chinesischen Besuchern Aussagen über Menschenrechtsverletzungen in den Mund gelegt hatten. Lustig war, dass die diplomatischen Verstimmungen zwischen Deutschland und China danach so hochkochten, dass Außenminister Westerwelle bei seiner China-Reise nur eingeschränktes Rederecht erhielt, was ich sehr gern in Kauf genommen habe. Über so einen Erfolg freut man sich natürlich.

SPIEGEL: Fragen Sie sich nie: Verletze ich jemanden? Richte ich Schaden an?

Sonneborn: Ist das eine ernsthafte Frage?

SPIEGEL: Ja.

Sonneborn: Wenn man Sachen zu sehr darauf abklopft, ob sie möglicherweise jemandem Kummer bereiten, kommt man nicht mehr zum Arbeiten.

SPIEGEL: Ändert der Anschlag auf die Redaktion des Pariser Satiremagazins " Charlie Hebdo" etwas an dieser Sichtweise?

Sonneborn: Im Gegenteil, das motiviert eher.

SPIEGEL: Sie wissen, was Sie da sagen?

Sonneborn: Auf " Charlie Hebdo" wurde bereits 2011 ein Brandanschlag verübt, die Redaktion hat trotzdem weitergemacht. Ich fürchte, das ist eine Charaktersache.

SPIEGEL: Ist es das wert?

Sonneborn: Ich muss das aus dem Geist der " Titanic" heraus beantworten. Ich habe unser Magazin immer als letzte moralische Bastion der Gesellschaft gesehen. Wir agieren aus der Position des Underdogs heraus. Wir wollen keine Ausgewogenheit. Man muss auf die eigene moralische Position vertrauen, sonst ist Satire nicht möglich.

SPIEGEL: Ihre Moral ist: Wir sind die Guten?

Sonneborn: Ich glaube, eine andere wäre kaum denkbar.

SPIEGEL: Ihre Partei hat mittlerweile 15 000 Mitglieder. Ist denen allen klar, dass sie bloß Teil einer großen Satire sind?

Sonneborn: Die Frage ist, inwieweit die Partei nur Satire ist. Ich pflege es aufgrund meiner Auseinandersetzung mit Verfassungswächtern und dem Bundeswahlleiter so darzustellen, dass wir eine Partei sind, die mit satirischen Mitteln arbeitet. Wie in jeder Partei gibt es Spinner. Die meisten suchen aber Spaß darin, sich mit dem Politikbetrieb auseinanderzusetzen, der, wie er sich heute darbietet, von niemandem mehr ernst zu nehmen ist.

SPIEGEL: Wenn Politik selbst so lächerlich ist, wo ist dann noch der Witz?

Sonneborn: Da liegt ein Schwachpunkt in unserer Argumentation, fällt mir gerade auf. Aber wir können nicht zurück. Wir müssen das jetzt weitertreiben, bis zur Macht. Unser Zulauf zeigt auch, dass die ehemaligen Volksparteien keinen Zugang mehr zu den Menschen haben, vor allem zu den jungen. Das sollte den Parteien zu denken geben.

SPIEGEL: Was wollen Sie noch erreichen?

Sonneborn: Ich lerne gerade von Nordkorea.

SPIEGEL: Wie bitte?

Sonneborn: Ich war vor zwei Wochen mit einer Delegation beim nordkoreanischen Botschafter in Berlin. Ich habe ihm die Hand gegeben, meiner großen Verbundenheit mit seinem Volk Ausdruck verliehen und gesagt, dass wir gern zur Verfügung stünden, wenn es den Wunsch nach Kontakt mit der Europäischen Union gebe.

SPIEGEL: Sie hoffen auf diplomatische Verwicklungen, die Sie ausschlachten können.

Sonneborn: Keineswegs. Der nordkoreanische Personenkult gefällt mir einfach gut. Ich habe deshalb Rudi Hurzlmeier, einen der besten komischen Maler Deutschlands, gebeten, ein Gemälde von mir anzufertigen. Ich sehe mich darauf als heiligen Georg, der einen mehrköpfigen Drachen tötet. Parlamentspräsident Schulz hat natürlich den vorderen Kopf, dahinter kommen die EU-Kommissare. Ich freue mich schon, EU-Fördergelder dafür zu beantragen. Außerdem plane ich mit Hurzlmeier eine Ausstellung: die 50 hässlichsten EU-Parlamentarier.

SPIEGEL: Das "Titanic"-Motto ist das klare Ja zum Nein. Wäre es denkbar, einmal für etwas zu sein?

Sonneborn: Nein. Ich bewundere Leute, die aus Idealismus konstruktiv sind. Aber mir hat immer nur das Destruktive Spaß gemacht.

SPIEGEL: Herr Sonneborn, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

"Ein toller Job - wenig Arbeit, viel Geld"
* Mit Moderator Oliver Welke (l.) in der "heute-show"; bei einer Kundgebung in Berlin 2005; mit einer "Titanic"-Ausgabe 2007; mit Mitstreitern seiner Partei in Wiesbaden 2004; vor dem Brandenburger Tor 2013. ** Sonneborn berichtet über seinen Alltag als Abgeordneter auch in einer Videokolumne für SPIEGEL TV. * Mit den Redakteuren Markus Brauck und Alexander Kühn in einem Café in Berlin.

DER SPIEGEL 3/2015
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