Politik

Kramp-Karrenbauer

18.01.15

"Satire darf sich über Religion lustig machen"

Karikaturen können keine Entschuldigung für Angriffe auf Menschen sein, sagt die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie rät dazu, den Pegida-Aufmärschen fernzubleiben.

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Von Hannelore Crolly, Jochen Gaugele

Annegret Kramp-Karrenbauer liebt die Provence, die Normandie, die Bretagne – Hauptsache: Meer und französische Lebensart. Morgens liest sie "Le Monde", abends Krimis im Original. Sie nimmt dafür sogar Französischstunden. Die Nachricht vom Pariser Anschlag erreichte sie in ihrem Büro beim Unterricht. Als ihre französische Lehrerin vollkommen die Fassung verlor, wurde der CDU-Politikerin die Dimension erst so richtig bewusst.

Welt am Sonntag: Frau Ministerpräsidentin, schätzen Sie den Autor Michel Houellebecq?

Annegret Kramp-Karrenbauer: Ich habe durchaus ein gespaltenes Verhältnis zu seinen Werken. "Elementarteilchen" habe ich nicht zu Ende gelesen.

Welt am Sonntag: In seinem neuen Roman "Unterwerfung" erzählt Houellebecq von einem islamischen Frankreich im Jahr 2022. Zeigen die Anschläge von Paris, dass wir näher an dieser Vorstellung sind, als wir es wahrhaben wollen?

Kramp-Karrenbauer: Nein. Die Anschläge zeigen, dass es fanatische Menschen gibt, die glauben, im Namen eines Gottes – wie immer der heißt und aussieht – morden zu können. Diese Menschen gibt es überall auf der Welt. Auch in Deutschland stehen wir vor der Herausforderung, die Sicherheit unserer Bürger zu gewährleisten. Diese Bedrohung ist real.

Welt am Sonntag: Die Terroristen militarisieren sich. Genügt es, mit polizeilichen und geheimdienstlichen Mitteln zu antworten?

Kramp-Karrenbauer: Das ist ein Thema, das wir auch nach dem 11. September 2001 intensiv besprochen haben, als ich Innenministerin hier im Saarland war: Ist es ratsam, die Bundeswehr auch im Inland zur Terrorabwehr einzusetzen? Gerade in einer angespannten Sicherheitslage muss man sehr sorgsam diskutieren und sich vor Reflexen hüten. Nach den Terroranschlägen von Paris geht es jetzt um eine besonnene Analyse: Ist es ausreichend, was wir an Gesetzen und Regelungen haben? Oder müssen wir nachsteuern?

Welt am Sonntag: Ist die Forderung, die Vorratsdatenspeicherung zu beleben, auch so ein Reflex?

Kramp-Karrenbauer: Die Vorratsdatenspeicherung ist ein wichtiges Instrument zur Wahrung der inneren Sicherheit. Deswegen ist es notwendig, sie wiedereinzuführen. Union und SPD sollten jetzt darüber diskutieren, unter welchen Voraussetzungen das möglich ist. Nach meiner persönlichen Auffassung sollten wir dabei nicht warten, bis die EU eine neue Richtlinie beschließt.

Welt am Sonntag: Können Sie Justizminister Maas, mit dem Sie einmal das Saarland regiert haben, davon überzeugen?

Kramp-Karrenbauer: Die Haltung von Heiko Maas hat im Justizministerium ja eine gewisse Tradition. Schon seine Vorgängerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat die Vorratsdatenspeicherung abgelehnt. Das Grundgesetz garantiert die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Diese lässt sich aber nur schützen, wenn wir die innere Sicherheit gewährleisten. Und dazu müssen wir die Sicherheitsbehörden mit den Mitteln ausstatten, die sie dazu benötigen. Dafür trägt die gesamte Bundesregierung die Verantwortung – auch das Bundesjustizministerium.

Mohammed-Karikatur
Muslime wüten gegen Beleidigung des Propheten

Welt am Sonntag: Würde es zur inneren Sicherheit beitragen, Gotteslästerung härter zu bestrafen?

Kramp-Karrenbauer: Ich sehe keine Notwendigkeit, den Blasphemie-Paragrafen des Strafgesetzbuches zu verschärfen. Ich halte ihn aber auch nicht für verzichtbar. Er drückt aus, dass Religion und die damit verbundenen Gefühle der Menschen ein schützenswertes Rechtsgut sind. Es wäre daher ein falsches Zeichen, den Blasphemie-Paragrafen zu streichen. Allerdings muss es jeder in unserer Demokratie aushalten können, wenn Satire sich über Religion lustig macht. Das ist Ausdruck der Meinungsfreiheit. Karikaturen können niemals eine Entschuldigung dafür sein, dass Menschen angegriffen oder gar getötet werden. Das erinnert mich an die Diskussion in Indien, ob Frauen, die sich auf bestimmte Weise kleiden, für ihre Vergewaltigung selber verantwortlich sind. Diese Denkweise dürfen wir nicht zulassen.

Welt am Sonntag: Was sagen Sie jenen, die – auch im Saarland – gegen die Islamisierung des Abendlandes demonstrieren?

Kramp-Karrenbauer: Ich werbe dafür, dass wir uns die Pegida-Bewegung sehr differenziert anschauen. Auf der einen Seite gibt es den harten Kern um die Organisatoren, die radikal am rechten Rand, fremdenfeindlich und ausgrenzend sind. Auf der anderen Seite haben wir die vielen Mitläufer: Menschen, die ganz unterschiedliche Ängste umtreiben. Da geht es sogar gegen die GEZ-Gebühren, gegen die Maut, gegen den IHK-Zwangsbeitrag und vieles mehr. Wir können den Menschen nicht verbieten, auch davor Angst zu haben. Wir haben aber die Aufgabe, Antworten zu geben durch eine überzeugende, gute Politik. Beschimpfungen oder populistische Forderungen verstärken nur die Weltsicht, die Pegida eint: die da oben, wir da unten. Schwarz und Weiß. Gut und Böse.

Welt am Sonntag: Justizminister Maas nennt die Protestmärsche eine "Schande für Deutschland".

Kramp-Karrenbauer: Er wählt Worte, die ich nicht wählen würde.

Welt am Sonntag: Sondern?

Kramp-Karrenbauer: Jeder muss sich klarmachen, hinter welcher Fahne er herläuft. Wer für die abendländischen Werte steht und sich nicht von extremistischen Kräften missbrauchen lassen will, muss den Pegida-Demonstrationen fernbleiben.

Welt am Sonntag: Über die Partei Alternative für Deutschland haben Sie vor der Europawahl gesagt, sie bewege sich an der Grenze zur Verfassungsfeindlichkeit – und sind dafür in der Union kritisiert worden. Fühlen Sie sich nun bestätigt?

Kramp-Karrenbauer: Darum geht es nicht. In der AfD tobt ein Macht- und Richtungskampf. Wir werden sehen, ob sich jene Richtungen durchsetzen, die sich Pegida annähern wollen. Ich habe den Eindruck, dass dies in der AfD gerade der Fall ist.

Welt am Sonntag: Schrecken die Pegida-Aufmärsche jene Zuwanderer ab, die Deutschland braucht?

Kramp-Karrenbauer: Mein Vorgänger Peter Müller hat in der CDU durchgekämpft, dass Deutschland als Einwanderungsland betrachtet wird. Dazu gehört eine Willkommenskultur, die wir uns von Pegida nicht kaputt machen lassen dürfen. Wir brauchen Zuwanderung, um unseren Wohlstand auf Dauer zu erhalten.

Welt am Sonntag: Benötigen wir dafür auch ein Zuwanderungsgesetz?

Kramp-Karrenbauer: Wir haben heute ein ausgeklügeltes Gesetzeswerk zur Zuwanderung. Ich plädiere dafür, dass wir uns diese Regelungen genau anschauen. Wo es Brüche gibt, sollten wir sie kitten. Ob das alles in ein anderes gesetzliches Regelwerk gegossen wird, muss man dann entscheiden.

Welt am Sonntag: Stärkt die Feststellung der Kanzlerin, der Islam gehöre zu Deutschland, die Willkommenskultur?

Kramp-Karrenbauer: Wenn Muslime mit ihrem Glauben bei uns leben, ist das auch Teil unserer gesellschaftlichen Realität – ob wir das wollen oder nicht. Eine andere Frage ist, was daraus folgt. Ich sage das auch als Vertreterin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken: Ich habe kein Verständnis dafür, dass wir als Christen in einer vorauseilenden Selbstaufgabe unsere eigenen Traditionen, die aus unserer Religion heraus erwachsen sind, verleugnen. Ich kann nicht nachvollziehen, warum ein Martinsumzug in ein Laternenfest umbenannt wird – aus lauter Angst, man könne die Gefühle von wem auch immer verletzen. Das bringt uns bei anderen nicht Respekt für unsere Toleranz ein, sondern Verachtung für fehlende Haltung.

Welt am Sonntag: In der Führung der Union sind einige mit der Deutung unterwegs, Sie seien die stärkste Persönlichkeit der CDU nach Angela Merkel und hätten Chancen, ihr eines Tages nachzufolgen. Kanzlerin Kramp-Karrenbauer – eine abwegige Vorstellung?

Kramp-Karrenbauer: Man kann nicht beeinflussen, von wem man gelobt wird, und man kann sich auch nicht gegen Spekulationen wehren. Aber man muss sich nicht daran beteiligen.

Welt am Sonntag: Noch nie in Ihren Träumen am Zaun des Kanzleramts gerüttelt?

Kramp-Karrenbauer: Ich bin ja oft genug im Kanzleramt. Da muss ich nicht am Zaun rütteln. (lacht)