10.01.2015

Kommentar Die Humorlosen

Von Brauck, Markus

Es ist eine grauenhafte Pointe, dass sich die Terroristen von Paris ausgerechnet ein Satire-Magazin als Ziel ausgesucht haben. Es gibt bedeutendere Symbole der Demokratie, die die Täter hätten treffen können. Doch sicherlich keines, das so perfekt zum Ausdruck bringt, was die innere Haltung eines Demokraten ausmachen kann - der Humor.

Satire muss man nicht nur aushalten können als Demokrat, man sollte über sie lachen können. Nicht über jeden Witz, jede Karikatur. Aber auch nicht nur über die des politischen Gegners. Eine demokratische Kultur ohne Spott, ohne Selbstironie ist nicht vorstellbar. Sie wäre nicht auszuhalten.

Der Status quo ist selten lustig. Wahrheiten sind es niemals. Komisch ist, wenn wir etwas erwarten und etwas anderes eintritt. Oder kürzer: "Wenn ein Prophet pupst", wie der Soziologe Peter Berger einmal gesagt hat. Dabei spielt es keine Rolle, welcher Religion der Prophet angehört.

Satiriker versuchen mit den Mitteln der Komik das Gleiche, was andere Journalisten auch tun. Sie hinterfragen angebliche Wahrheiten. Sie arbeiten sich daran ab, dass eine Sache ganz anders sein könnte, als sie bisher dargestellt wurde. Demokratie, schrieb der Jurist und SPD-Politiker Adolf Arndt, ist "die politische Lebensform der Alternative". Satire ist das Experimentieren mit allen möglichen Alternativen. Journalismus allgemein, ob komisch oder ernst, besteht darauf, dass es keine Vollständigkeit und keine eindeutige Abbildung von Realität geben kann, dass jede Perspektive unzulänglich ist. Journalismus ist deshalb auf eine Haltung angewiesen, die davon geprägt ist, dass in einer Demokratie prinzipiell alles zur Kritik und zum Lachen freigegeben ist.

Die Tat von Paris ist mit nichts zu vergleichen. Doch Wut auf Satiriker, Hass auf Journalisten gibt es nicht nur unter Islamisten. Diese Art Humorlosigkeit zeichnet die Feinde einer offenen Gesellschaft in allen Lagern aus. Ihnen allen ist unmöglich, was Humor als Haltung ausmacht: Dinge aus der Distanz zu betrachten und zu relativieren. Sich selbst aus der Distanz zu betrachten und zu relativieren. Sie wollen weder, dass über sie gelacht wird, noch dass sie kritisiert werden.

Sie streuen im Internet ihren Hass aus und scheinen nicht zu verstehen, worum es eigentlich geht. "Wir dürfen jetzt unser Lachen nicht verlieren", mahnte der frühere Chefredakteur von "Charlie Hebdo", Philippe Val, am Tag des Anschlags im französischen Fernsehen mit tränenerstickter Stimme. "Das Lachen ist unsere Waffe, wir müssen es weiterhin zulassen." Es klingt unpassend, Humor einzufordern, wenn zwölf Menschen ermordet wurden. Aber er ist nun einmal die beste Haltung, wenn es darum geht, sich selbst nicht von den eigenen Vorurteilen und Ängsten, der eigenen Wut fortschwemmen zu lassen.


DER SPIEGEL 3/2015
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGEL-Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co. KG.

Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen diesen Artikel jedoch gerne verlinken.
Unter http://www.spiegelgruppe-nachdrucke.de können Sie einzelne Artikel für Nachdruck bzw. digitale Publikation lizenzieren.

DER SPIEGEL 3/2015
Titelbild
Der digitale SPIEGEL
Diese Ausgabe jetzt digital lesen

Die digitale Welt der Nachrichten. Mit interaktiven Grafiken, spannenden Videos und beeindruckenden 3-D-Modellen.
Sie lesen die neue Ausgabe noch vor Erscheinen der Print-Ausgabe, schon freitags ab 18 Uhr.
Einmal anmelden, auf jedem Gerät lesen - auch offline. Optimiert für Windows 8, Android, iPad, iPhone, Kindle Fire, BlackBerry Z10 sowie für PC/Mac.

Abo-Angebote

Den SPIEGEL lesen oder verschenken und Vorteile sichern!

Jetzt Abo sichern
Ältere SPIEGEL-Ausgaben

Kostenloses Archiv:
Stöbern Sie im kompletten SPIEGEL-Archiv seit
1947 – bis auf die vergangenen zwölf Monate kostenlos für Sie.

Wollen Sie ältere SPIEGEL-Ausgaben bestellen?
Hier erhalten Sie Ausgaben, die älter als drei Jahre sind.

Artikel als PDF
Artikel als PDF ansehen

Kommentar:
Die Humorlosen