Politik

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14.01.15

Satire offenbart tiefe Zerrissenheit der Türkei

Auch in der Türkei drucken Zeitungen den neuen "Charlie Hebdo"-Titel nach. Aber die Regierung übt Druck aus und gibt der Satire Schuld an der Gewalt. Ein Gericht sperrt nun erste Internetseiten.

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In keinem muslimischen Land sind die Auswirkungen des Terroranschlags auf das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" stärker als in der Türkei. Das Land befindet sich in einem regelrechten Satirefieber.

Es begann am Montag mit einer gemeinsamen "Charlie Hebdo"-Gedenkausgabe der drei führenden Satiremagazine "LeMan", "Penguen" und "Uykusuz". Dann kam eine erstaunliche Nachricht von der reformislamischen, der Erdogan-kritischen Zeitung "Zaman". Sie will ein Satiremagazin namens "Püff" auf den Markt bringen. "Zaman" ist die bei weitem auflagenstärkste Zeitung des Landes, und die Ankündigung erschien am Ende einer langen Mitteilung, in der es viel um Gebete und Allah ging und um den Dank der Chefredaktion für spirituelle Unterstützung in dunklen Zeiten. Denn die Gülenisten werden derzeit von der Regierung geradezu gejagt, ihnen wird ein Putschversuch gegen Erdogan vorgeworfen.

Gleichzeitig teilte die säkulare, extrem regierungskritische Zeitung "Cumhuriyet" mit, sie werde mit Erlaubnis von "Charlie Hebdo" einen Großteil von dessen neuer Ausgabe zeitgleich mit dem Erscheinen in mehreren Ländern am Mittwoch auch in der Türkei verbreiten. Die Reaktion war eine Welle von Todes- und Gewaltandrohungen fanatischer Islamisten, und extremer Druck von der Regierung. Der Bürgermeister von Ankara ließ wissen, es gebe eine Verschwörung, um die Türkei als Land gewaltfreudiger Muslime darzustellen, und "Cumhuriyet" plane, sich als Opfer zu inszenieren.

Das Blatt wurde dann auch tatsächlich Opfer, nämlich der Angst und polizeilicher Warnungen. Polizisten kontrollierten die Auslieferung der Mittwochausgabe, um sicherzustellen, dass diese nichts enthielt, was die Gefühle der Rechtgläubigen verletzen könnte. Nicht nötig. "Cumhuriyet" war bereits eingeknickt und hatte auf eine Veröffentlichung "problematischer" Karikaturen verzichtet. Das Blatt enthielt stattdessen vier Seiten mit harmloseren "Charlie Hebdo"-Bildern, um dennoch ein Zeichen zu setzen.

Premier schiebt Europäern Schuld an Anschlägen zu

Das Zweite Friedens- und Strafgericht Diyarbakir hat nun die Sperrung von Internetseiten angeordnet, die das Titelbild der neuen Ausgabe von "Charlie Hebdo" zeigen. "Es wurde entschieden, den Zugang zu relevanten Sektionen von Internetseiten, die heute die Titelseite von 'Charlie Hebdo' zeigen, zu blockieren", erklärte das Gericht am Mittwoch laut der amtlichen Nachrichtenagentur Anadolu.

Bei den gesperrten Internetseiten handelt es sich um die Nachrichtenportale birgun.net, t24.com.tr, internethaber.com und thelira.com. Der vorsitzende Richter Özcan Kusatan begründete das Urteil damit, dass alle Institutionen die Achtung vor dem Glauben und der Religion nicht verlieren dürften. "Auch der Laizismus ist davon nicht ausgeschlossen."

Das verurteilte Quartett gehört geschlossen zu den linken, regierungskritischen und säkularen Nachrichtenseiten der Türkei. Die Redaktionen der betroffenen Internetseiten wurden überdies von der Polizei durchsucht. Einige Redakteure wurden vernommen. Festgenommen wurde jedoch niemand. Das beliebte Portal internethaber.com war für einige Stunden überlastet und schwer zu erreichen. Außerdem wurde die Meldung über das Verbot zur Abbildung von der Hauptseite genommen.

Der stellvertretende Ministerpräsident Yalcin Akdogan von der Regierungspartei AKP äußerte sich in einer ersten Reaktion über den Kurznachrichtendienst Twitter zufrieden über das Urteil: "Es ist für alle Muslime in der Türkei und der ganzen Welt eine erneute Provokation, die Verunstaltung des Gesichts unseres Propheten nachzubilden. Wir als Muslime verurteilen die Anschläge von Paris auf das Schärfste. Es ist dennoch unverantwortlich von diesen Medien, auf die Werte unserer Gesellschaft und unserer Religion zu spucken. Auch die Presse darf nicht das Recht haben, diese Form von widerwärtiger Kunst abzubilden."

Davutoglu in Paris für Pressefreiheit marschiert

Dabei hatte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu in Paris an der großen Trauerkundgebung für die Opfer der Terroranschläge und für die Verteidigung der Pressefreiheit teilgenommen. Kaum zurück in der Heimat, gab er seinem Besuch jedoch umgehend eine ganz andere Bedeutung: Nicht in erster Linie Trauer um die Opfer sei der Grund für seine Teilnahme gewesen. Sondern er sei nach Paris gegangen, um sich mit den Muslimen Frankreichs und Europas zu solidarisieren.

Eine unmoralische Zeitschrift
Ahmet Davutoglu,
türkischer Premierminister, über das Satireblatt „LeMan“

Ansonsten gab er Islamophobie die Schuld für die Anschläge. Wenn nur die Europäer aufhören könnten, Rassisten und Islamhasser zu sein, so die gar nicht so unterschwellige Botschaft des Ministerpräsidenten, dann würden sie auch nicht ermordet. Im Übrigen habe "man" ihn in Paris am liebsten nicht dabei haben wollen, denn "sie" wollten dort einen rein "christlichen" Marsch haben und die Muslime ausschließen. Deswegen sei seine Anwesenheit die wichtigste von allen gewesen, er habe "ihre" Absicht damit durchkreuzt.

Davutoglu sowie der heutige Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sind dafür bekannt, persönlich harten politischen Druck auf türkische Karikaturisten auszuüben, bis hin zu Gerichtsverfahren. Erdogan hat in der Vergangenheit gegen einen Zeichner von "Penguen" prozessiert (und verloren), Davutoglu verurteilte "LeMan" erst vor kurzem als "unmoralische Zeitung".

Drohungen mit dem Beispiel "Charlie Hebdo"

Solche Aussagen von führenden Politikern gegen Satiriker und kritische Journalisten sind in der Türkei immer auch das Startsignal für eine sofortige Angriffswelle gegen die jeweiligen Medien in den sozialen Netzwerken. Gegen "LeMan" gab es nach Davutoglus Attacke Drohungen, dort könne das Gleiche geschehen wie bei "Charlie Hebdo".

Noch extremer war die Reaktion der muslimischen Aczmendi-Bruderschaft auf den Fall "Charlie Hebdo". Die Anhänger hielten Totengebete für die Terroristen ab und ihr Führer, Müslüm Gündüz, verglich sie mit "den zwei osmanischen Soldaten, die Australien den Krieg erklärten". In Wirklichkeit waren es zwei indische Muslime gewesen, die 1915 in Australien als "Dschihadis" unschuldige Zivilisten massakrierten. Nicht wenige türkische Muslime glauben aber heute noch, dass sie Türken und Helden waren und einen Militärzug angegriffen hätten und nicht wehrlose Zivilisten.

Die Initiativen der türkischen Satirezeitschriften von "Cumhuriyet" und "Zaman" zeigen einerseits, dass die Türkei doch sehr viel europäischer ist, als oft angenommen wird. In keinem anderen muslimischen Land erfuhren die Angriffe einen solchen Nachhall.

Aber das Thema offenbart andererseits auch die tiefe Zerrissenheit des Landes: Auf der einen Seite der europäische Geist, der den Angriff auf Satire mit noch mehr Satire abwehren will, auf der anderen Seite islamische Intoleranz gegenüber voller Meinungsfreiheit. Und dazwischen die Regierung, die den Fundamentalismus daheim instrumentalisiert und die Pressefreiheit durch Drohungen und offene Verleumdungen einschränkt, aber andererseits in Paris dazugehören will, wenn die freie Welt für die Freiheit der Presse demonstriert.