Panorama

"Günther Jauch"

12.01.15

"Franzosen empfinden sich mit einem Mal als Volk"

Der Terror von Paris ist Thema bei Günther Jauch. Mit gebotenem Ernst sprechen die Teilnehmer von einer neuen französischen Identität und schönen Symbolen. Auch schwere Fragen lassen sie nicht aus.

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Von Autor "Welt"-Gruppe

Ein neuer Ernst geht um in Europa. So sehr tut er das, dass sogar eine oft eher unernste Form des öffentlichen Gesprächs wie die Talkshow von diesem neuen Ernst erfasst wird. Denn das vor allem fiel auf an Günther Jauchs Runde am Sonntagabend: Es gab eigentlich keinen Moment, in dem die üblichen Eitelkeiten der Gäste oder einfach nur das übliche Aneinandervorbeigequatsche das Gespräch dominiert hätten.

Es saßen Leute beisammen, die eine gemeinsame Sorge teilten, das blieb immer spürbar: Thomas de Maizière, der deutsche Innenminister, Ulrich Wickert, Doyen des deutschen Journalismus und Frankreichkenner, Souad Mekhennt, Reporterin mit Kenntnissen der islamistischen Szene und Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE.

Thomas de Maizière, eben aus Paris zurück, wo an diesem Sonntag 1,5 Millionen gegen den islamistischen Terror und für Liberté, Égalité, Fraternité, für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit auf die Straße gegangen waren, darunter viele europäische Regierungschefs, berichtete von "einer warmen, schönen, traurig-schönen Atmosphäre", in der protokollarische Statusfragen keine große Rolle mehr gespielt hätten.

Wickert: Die Franzosen empfinden sich als ein Volk

Ulrich Wickert sekundierte: "Was mich fasziniert bei den Franzosen, ist, dass sie sich mit einem Mal als Volk empfinden. Dass sie sagen, unsere Identität ist jetzt angegriffen – das hat es seit dem Krieg in Frankreich nicht mehr gegeben. Immer wieder wurde die Marseillaise angestimmt, aus dem Volk heraus."

Sind die Pariser Terrortage, an denen drei islamistische Mörder 17 Menschen umbrachten, unser europäischer 11. September? Ein "Symbolereignis" nannte Mathias Döpfner den 7. Januar, "in seiner Wirkung noch gravierender als der 11. September." Kurzfristig habe er Hoffnung.

"Wenn man sich die Millionen heute auf den Straßen anschaut, dann sind das sehr schöne Symbole. Aber ich habe die Sorge, dass in einigen Monaten doch wieder eine falsche Vorsicht um sich greift. Ich möchte alle Journalisten, alle Verleger auffordern zu sagen, wir wollen unser Verhalten nicht verändern." Beifall im Publikum.

Döpfner: "Bild" veröffentlicht keine religiösen Karikaturen

Ab und zu blitzte es kontrovers auf, wenn Souad Mekhennet versuchte, die Sicht der muslimischen Welt auf den Westen ins Spiel zu bringen, ein schwieriges, zwischen Verstehen und Verständnis operierendes Unterfangen. Noch schwieriger so wenige Tage nach dem Massaker von Paris.

Wenn die muslimische Journalistin von ihrer jüdischen Jugendfreundin erzählte, die sich durch gewisse Mohammed-Karikaturen an antisemitische Propagandabilder der Nazis erinnert gefühlt habe, wurde klar, dass das an diesem Abend auf andere Teilnehmer der Runde und auch auf das Publikum wie eine Frivolität wirken musste.

Gibt es eine Grenze dessen, was Satire darf? Mathias Döpfner zitierte Kurt Tucholskys Satz, Satire dürfe alles. Er bekannte sich aber auch zum Chefredakteursprinzip im Hause Springer. "Jeder Chefredakteur entscheidet, wie das gehandhabt wird."

Die "Bild"-Zeitung etwa veröffentliche keine Karikaturen, die eine Religion beleidigen könnten. Andere Zeitungen des Hauses hielten das anders. "Andere haben Karikaturen des Papstes gedruckt, die ihn mit Kondom zeigten – was macht man dann? Man klagt dagegen. Und manchmal bekommt man Recht, manchmal nicht. So macht man das, anders nicht."

Islam und islamistischen Terror genau trennen

Souad Mekhennet konterte, dass gerade die großen US-Zeitungen solche die Religion beleidigenden Karikaturen nicht druckten. Döpfner: "Stimmt, die traditionellen amerikanischen Zeitungen tun das nicht, aber die neuen Medien dort haben alle diese Karikaturen gezeigt. Am schönsten wäre es doch, wenn es jeder so macht, wie er es richtig findet."

Zum Ernst der Debatte passte es, dass auch die Frage nicht ausgespart wurde, ob man denn wirklich so scharf trennen könne zwischen Islam und islamistischem Terror, wie es in diesen Tagen oft beschworen wird.

Thomas de Maizière dazu: "Es gibt in Teilen der Bevölkerung Fragen: Ist der Islam demokratiefähig? Warum gibt es so wenige islamische Länder, die demokratisch sind? Ich weiß, dass die ganz große Mehrheit der Muslime bei uns rechtstreu sind, ihre Steuern zahlen und Fußball spielen – aber es gibt eben auch 7500 Salafisten, es gibt auch Gettos und Gangs."

Nicht für alles Verständnis zeigen

Als das Argument fiel, die muslimischen Brüder hätten ihre Pariser Morde letztlich nicht aus religiösen Gründen begangen, sie seien vielmehr als sozial ausgegrenzte junge Leute für den Terror anfällig geworden, wurde de Maizière grundsätzlich: "Wir dürfen es niemals akzeptieren, dass einer ein armer Hund war und das dann Terror und Mord rechtfertigt."

Verstehen und Verständnis – die Grenze dazwischen scharf zu ziehen, das war nicht das geringste Verdienst dieser ernsten Runde. Die Welt verstehen, denn ohne diesen Anspruch regieren Dumpfheit und Ignoranz. Aber für alles, was in dieser Welt geschieht, Verständnis aufzubringen, das hieße, sich selbst aufzugeben. Hinter diese Erkenntnis gibt es nach dem 7. Januar kein Zurück.