Kultur

Daniel Cohn-Bendit

08.01.15

"Wir müssen den Geist von 1968 verteidigen"

Alle reden gerade von freiheitlichen Werten, aber um welche geht es genau? Ein Gespräch mit Daniel Cohn-Bendit über das Recht auf Ironie – und das Lächeln seines ermordeten Freundes Cabu.

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Von Ressortleiter Feuilleton

Daniel Cohn-Bendit gehört zu den französischen Intellektuellen, die in der Auseinandersetzung mit dem gewaltbereiten Islam immer zur Besonnenheit aufgerufen haben. Mit den ermordeten Machern der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" war er gut bekannt und teils sogar befreundet. Ein Gespräch am Tag nach dem Schock.

Die Welt: Herr Cohn-Bendit, wie haben Sie von dem Anschlag erfahren?

Daniel Cohn-Bendit: Ich war im Musee d'Orsay und habe mir eine faszinierende Ausstellung über den Marquis de Sade im angeschaut. Dort habe ich einen Anruf von einem Freund erhalten, der mir von der Tat erzählte. Ich war völlig fassungslos, besonders von der Barbarei der Tat, dieser Kaltblütigkeit.

Die Welt: Wie haben Sie die unmittelbare Reaktion in Frankreich empfunden?

Daniel Cohn-Bendit: Die politische Klasse hat Einheit demonstriert. Sie haben gesagt, dass man den Terrorismus der Fundamentalisten und den Islam im Allgemeinen nicht vermischen darf. Es gab die Bemühung, angesichts der Tat rational zu argumentieren. Am Abend war ich auf der großen Kundgebung mit 35.000 Menschen in Paris. Alle waren betroffen. Sie haben gesagt, dass sie die Gesellschaft der Freiheit verteidigen wollen. Und hier wird es interessant.

Die Welt: Weil es in Paradoxien führt?

Daniel Cohn-Bendit: Nun ja, erstens gibt es einen Faschismus, der sich an den Islam anlehnt. Das ist nicht der Islam. Genauso wie es einen Faschismus gab, der sich an das Abendland angelehnt hat. Und das war nicht das Abendland. Aber beides sind Formen des Faschismus. Doch viele meiner muslimischen Freunde erleben täglich Ausgrenzung wegen ihrer Religion und manchmal schon wegen ihres Namens. Das muss man sich bewusst machen, wenn man die freie Gesellschaft verteidigen will.

Die Welt: Und zweitens?

Daniel Cohn-Bendit: Wenn man "Charlie Hebdo" verteidigt, dann verteidigt man die radikalste Form des Antiklerikalismus. Für "Charlie Hebdo" ist die Religion das, was es mit der Feder auf die Schippe zu nehmen gilt. Das Magazin ist radikal atheistisch, antimilitaristisch und libertär. Es verkörpert den Geist der 68er-Generation. Diese beißende Ironie ist das, was wir verteidigen. Das radikale Recht, alles ironisch herauszufordern. Und das ist spannend in einer Zeit, in der ein Teil der Bevölkerung in Frankreich und Deutschland fordert, endlich die Flausen der 68er zu beerdigen. Jetzt fühlen sich plötzlich alle herausgefordert, diese libertäre Zeit mit all ihren Widersprüchen zu verteidigen.

Die Welt: Es geht um die Werte von 1968?

Daniel Cohn-Bendit: Ja, denn das war "Charlie Hebdo". Die freie und offene Sichtweise dieser Zeit muss verteidigt werden. Es geht um eine multikulturelle Gesellschaft, in der Gläubige und Nichtgläubige zusammen leben. Und dort muss es auch Satire geben, die alles kritisieren darf.

Die Welt: Michel Houellebecq, dessen neuer Roman auf dem letzten Cover von "Charlie Hebdo" thematisiert wurde, gilt nicht als 1968er.

Daniel Cohn-Bendit: Mit dem Motiv der Unterwerfung trifft Houellebecqs den Kern eines zutiefst masochistischen Landes. In seinem Buch übernehmen ja nicht die Migranten das Land, sondern die Franzosen treten zum Islam über und unterwerfen sich dem Islam. Die Frauen unterwerfen sich den Männern. Und dann geht alles den Bach herunter. Aber letztlich sind das auch nur die Wahnvorstellungen eines Autors.

Die Welt: Was kommt dann auf Frankreich zu?

Daniel Cohn-Bendit: Das weiß ich nicht. Ich hoffe, dass es ein Nachdenken über die Verteufelung des Anderen geben wird. Der Anschlag ist eine Falle, in die wir nicht gehen dürfen, indem wie Islam und Terrorismus gleichsetzten. Die NSU, das sind ja auch nicht die Deutschen.

Die Welt: Der Marquis de Sade bräuchte heute Polizeischutz. Das ist doch absurd.

Daniel Cohn-Bendit: Wir leben ja auch in einer absurden Welt. Das Lächeln meines Freundes, des "Charlie Hebdo"-Zeichners Cabu, das war entwaffnend. Und doch ist er bewaffnet getötet worden. Er war ein so lieber und friedvoller Mensch. Seine Zeichnungen wollten niemanden vernichten.