Er saß zwischen allen Stühlen: getaufter Jude, frankophiler Deutscher, sentimentaler Satiriker, vertriebener Heimatdichter. Vor 125 Jahren wurde Kurt Tucholsky geboren. "Was darf die Satire?", fragte er 1919. Und antwortete: "Alles." Das war damals und ist heute nicht selbstverständlich. Die Kräfte, die Tucholsky verfolgten, verjagten und in den Tod trieben, wollen auch "Charlie Hebdo" zum Schweigen bringen: Fanatismus, Intoleranz und Hass.
Man kann sich heute kaum vorstellen, welchen Mut es damals kostete, zur Verteidigung der Satire sich ausgerechnet auf den Erzfeind zu berufen: "Nicht einmal dem Landesfeind gegenüber hat sich die deutsche Satire herausgetraut. Wir sollten gewiss nicht den scheußlichen unter den französischen Kriegskarikaturen nacheifern, aber welche Kraft lag in denen, welch elementare Wut, welcher Wurf und welche Wirkung! Freilich: sie scheuten vor gar nichts zurück."
Auch Tucholsky scheute vor nichts zurück – auch nicht davor, in Gestalt seines "Herrn Wendriner" die Anfälligkeit auch der jüdischen Bourgeoisie für die Hitler-Begeisterung zu karikieren: "Der H. – wenn er auch aus der Tschechoslowakei ist – der Mann hat sich doch hier glänzend in die deutsche Psyche eingelebt. Na, jedenfalls herrscht Ordnung. Also, Ordnung herrscht mal. Sowie Sie Staatsbürger sind und den gelben Schein haben, also Schutzbürger, passiert Ihnen nichts … darin sind sie konsequent. Das muss man ja sagen: aufgezogen ist das ja glänzend. Phantastisch! Was? Neulich auf dem Wittenbergplatz? Wie sie da mit ihren Fahnen und mit der ganzen Musik angekommen sind. Unterm Kaiser war das auch nicht bess…"
Was die Nazis wussten
Wegen der "Wendriner"-Satiren befand Gershom Scholem, Tucholsky sei einer "der begabtesten und widerwärtigsten deutschen Antisemiten". Dabei litt Tucholsky gerade an der Unempfindlichkeit mancher Juden gegenüber dem Antisemitismus: "Es ist nicht wahr, dass die Deutschen verjudet sind", schrieb er an Arnold Zweig: "Die Juden sind verbocht." Der Beifall des "verbochten" Kleinbürgers Wendriner machte nicht nur ihn, sondern vor allem die Hitlerei lächerlich. Was die Nazis wussten. Als Studenten 1933 Tucholskys Bücher verbrannten, riefen sie: "Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist!"
Freilich wusste auch Tucholsky, dass die Satire ihre Grenzen hat. Als rechtsradikale Fememörder linke und liberale Politiker und Publizisten – Liebknecht, Luxemburg, Eisner, Rathenau, Harden und andere – niedermachten, forderte er die demokratische Republik auf:
"Steh einmal auf! Schlag mit der Faust darein! / Schlaf nicht nach vierzehn Tagen wieder ein! / … / Vier Jahre Mord – das sind, weiß Gott, genug / Du stehst jetzt vor dem letzten Atemzug. / Zeig, was du bist. Halt mit dir selbst Gericht. / Stirb oder kämpfe. Drittes gibt es nicht."
So ist es. Nach wie vor.