Hitler-Groteske "Er ist wieder da": Vorsicht, Witz mit Bart
Borat in Braun: Im Stil einer Fake-Doku irrt der böse Schnauzer in "Er ist wieder da" durchs Berlin von heute, wird fotografiert, umarmt und wird schließlich Fernsehstar. Will man die totale Satire? Lieber nicht.
Wo das Bärtchen auftaucht, ist immer was los. Die einen wenden sich mit Abscheu ab, die anderen holen ihr Handy für ein Selfie mit dem Schnäuzerchen heraus. Ziemlich oft wird der Arm zum Gruß gereckt, überwiegend eindeutig ironisch, gelegentlich aber auch unangenehm zweideutig. Was schwingt da alles mit in der Begegnung der Menschen mit dem Mann, der aussieht wie Hitler an einem sehr schlechten Tag?
Der Film beginnt nun wie das Buch damit, dass der Diktator 70 Jahre nach seinem Tod dort aufwacht, wo einst der Führerbunker stand, um dann derangiert durch Berlin-Mitte zu irren. Gleichzeitig spielt der Film die Handlung quasi zurück zu jenen Massen, die den Erfolg des Buchs möglich gemacht haben, indem er einen Teil dieser Massen in quasi-dokumentarischen Aufnahmen zu Statisten in der Hitler-Groteske macht.
Im Fake-Reportagen-Stil von Sacha Baron Cohens "Borat" - einige Szenen sind gestellt, andere improvisiert, wieder andere irgendwas dazwischen - mischen sich die Filmemacher mit ihrem von Oliver Masucci zurückgenommen grollenden Film-Hitler unter Passanten am Brandenburger Tor und anderswo.
Lachen über Hitler, was heißt das eigentlich?
Der "Führer" herzt deutsche Mütter und hört sich die Sorgen deutscher Imbissbesitzerinnen an. In der direkten Konfrontation mit dem Wiedergänger jenes Mannes, der wie keine andere Person des vergangenen Jahrhunderts medial gespiegelt wurde und doch offensichtlich nie bewältigt, stellt sich die Frage: Lachen über den großen Diktator, was heißt das eigentlich? Weshalb wiehern wir unwillkürlich, wenn irgendwo - Punkt, Punkt, Schnauzer, Strich, fertig ist der Bösewicht - ein Hitler-Lookalike auftaucht? Ist das Scham oder eine Verniedlichung des ja tatsächlich putzig aussehenden Völkermörders? Ist das eine Übersprungshandlung oder das befreite Lachen des aufgeklärten Demokraten, der über die Verführbarkeit durch eine solche Fratze eben nur noch lachen kann?
Borat mit Balkenschnauzer und Betonscheitel: Das klingt wie ein sehr kluger Dreh. Ist in Wirklichkeit aber ein recht dummer. Denn was wäre etwa eine angemessene Reaktion von den Passanten auf die Hitlermaskerade? Entlarvend ist daran in Wirklichkeit gar nichts, weder die Gleichgültigkeit der Passanten noch ihre möglichen versteckten Sympathien. Die Filmemacher aber geben vor, durch diese Konfrontation von echten Bürgern und "echtem" "Führer" das immer noch unaufgelöste Verhältnis der Deutschen zu Hitler durchdringen zu können. These: Hitler wurde so oft medial verwurstet, dass er sich nur noch als Parodie wahrnehmen lässt.
Und der "echte" Hitler in "Er ist wieder da" ist nun eben so smart, die geforderte Parodie seiner selbst zu geben, um seine ganz und gar unparodistischen Ziele, Weltherrschaft et cetera zu verwirklichen. Motto: Wollt ihr die totale Satire? Er lässt sich von einem Journalisten zum Medienstar aufbauen, trägt seine menschenverachtenden Ideen vor den Fernsehkameras vor, und das Publikum feiert das dann als krasse Comedy. Ironie als Schlupfloch des Faschismus.
Die Idee ist nicht ganz neu: Der Filmemacher Dietrich Brüggemann hatte vor ein paar Monaten mit seiner Indieproduktion "Heil" das Bedeutungsdurcheinander um die mediale Hitlerei und das neue deutsche Nazitum als überschraubte Satire ohne moralischen Notausgang in Szene gesetzt. Die Bestsellerverfilmung "Er ist wieder da" wagt sich da bei allem ausgestellten Experimentierwillen nicht so weit raus. Regisseur David Wnendt (der mit seinem Debüt "Die Kriegerin" das stärkste Neonazidrama des vergangenen Jahrzehnts lieferte) legt der Buchvorlage mit seinem Film da eher eine didaktische Gebrauchsanweisung bei.
Ebenso einfältig: die Medienkritik in dem Film. In einer Szene imitiert Christoph Maria Herbst als zynischer Fernsehmacher vor seinen Untergegebenen den Wutausbruch, den Bruno Ganz als Adolf Hitler in der Nazi-Seifenoper "Der Untergang" hingelegt hat. Eine, zugegeben, sehr komische Szene - die allerdings eine fragwürdige Analogie liefert: Sind die Medien tatsächlich der Totalitarismus der Gegenwart? Bauen sie dem Zuschauer eine Scheinwelt aus Scheinargumenten, Scheindiskussionen, ja sogar Scheinironie?
Da ist dieser pädagogische Unterhaltungsfilm näher bei den Pegida-Demonstranten und ihren Lügenpressewahrheiten, als den Filmemachern lieb sein kann.
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