Sonntag, 17. Januar 2016

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Matthias Müller will hart durchgreifen Warum die interne Kontrolle bei VW erneut versagt hat

Schluss mit Lügen: Nicht nur Greenpeace wundert sich über die Tatsache, dass der millionenfache Abgasskandal so lange bei Volkswagen unentdeckt blieb. Die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International nennt mehrere Gründe

Volkswagens Compliance-Regeln haben versagt. Dafür sieht Transparency International gleich mehrere Gründe. Der neue VW-Chef Matthias Müller verspricht "schonungslose Aufklärung" - und kündigt die härtesten Compliance-Standards der gesamten Branche an.

Der Diesel-Skandal bei Volkswagen hält die gesamte Automobilbranche in Atem. Wer genau wann und wie viel von den massiven Abgastest-Manipulationen bei VW wusste, von denen weltweit rund elf Millionen Fahrzeuge betroffen sind, ist zwar noch weitgehend unklar. Doch dass es sich dabei um das Werk Einzelner handelte, bezweifeln Viele.

Warum blieben die Machenschaften so lange verborgen? Gab es keine Hinweise auf die Tricksereien? Und wo waren die Kontrolleure? Diese Fragen stellen sich umso dringlicher, als offenbar schon 2011 ein VW- Techniker auf die illegale Praxis aufmerksam gemacht haben soll.

Der neue Volkswagen-Chef Matthias Müller sicherte den weltweit 600.000 Beschäftigten des Konzern eine umfassende Aufklärung des Abgasskandals zu. "Wir klären jetzt schonungslos auf", schreibt er in einem Brief an die Mitarbeiter. Zusammen mit Gesamtbetriebsratschef Bernd Osterloh weist Müller auch auf den Ernst der Lage hin. "Unser Unternehmen steht vor nie dagewesenen Herausforderungen." Man werde alles tun, um das Vertrauen der Kunden, Partner, Investoren und der gesamten Öffentlichkeit Stück für Stück zurückzugewinnen.

Neben der Aufklärung werde es eine der wichtigsten Aufgaben sein, dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder vorkommen könne. "Dazu werden wir die strengsten Compliance- und Governance-Standards der gesamten Branche entwickeln und umsetzen. Auch hier müssen wir in Zukunft Maßstäbe setzen."

Compliance-Regeln sollen die Einhaltung von Gesetzen im Unternehmen gewähren. Für dessen Ausbau hat Europas größter Autobauer in den vergangenen Jahren eigentlich viel getan - schließlich wird der Konzern ja nicht zum ersten Mal von einem Skandal erschüttert.

Vor allem seit der Aufdeckung der Affäre um Schmiergeldzahlungen und Lust-Reisen im Jahr 2005 trieb die Unternehmensführung das Compliance-Thema voran. Unter anderem fungieren externe Ombudsleute als Ansprechpartner für Mitarbeiter, die anonym Hinweise auf Verstöße geben. Ähnliche Ombudsstellen gibt es nicht zuletzt seit dem Auffliegen des milliardenschweren Schmiergeld-Skandals bei Siemens in vielen großen deutschen Unternehmen.

Die VW-Mitarbeiter machen davon offenbar auch durchaus rege Gebrauch: Alleine 2014 verloren nach VW-Angaben 72 Mitarbeiter nach Unregelmäßigkeiten ihre Jobs. Jährlich geht die Konzernrevision Hunderten Hinweisen auf mögliches Fehlverhalten nach, zusätzlich wurden 2014 rund 185.000 Beschäftigte weltweit geschult.

Noch vor wenigen Monaten stellte der FDP-Politiker und Rechtsanwalt Wolfgang Kubicki, der den Personalmanager Klaus-Joachim Gebauer in der damaligen Affäre vertreten hatte, dem Konzern für all diese Anstrengungen ein gutes Zeugnis aus: "Compliance, also das vorschriftsmäßige und auch ethisch korrekte Verhalten, ist bei VW tatsächlich eingezogen."

Für viele Themen fehlen offenbar Compliance-Regeln

Doch der aktuelle Skandal spricht eine andere Sprache, wie auch der neue Konzernchef Müller weiß. Unmittelbar nach seiner Berufung kündigt er deshalb am Freitagabend die Einführung noch strengerer Regeln an. Auch erste konkrete Konsequenzen hat der Autobauer bereits gezogen und einige Mitarbeiter beurlaubt.

Für die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International (TI) zeigen die Ereignisse aber auch generelle Schwächen in den bestehenden Compliance-Systemen vieler Unternehmen auf: Oft gingen die Regelwerke nicht weit genug und seien zu einseitig auf Korruption ausgerichtet, sagt TI-Deutschland-Chefin Edda Müller.

Im bürokratischen Klein-Klein wird dort beispielsweise festgelegt, welchen Wert Geschenke an Geschäftspartner haben dürfen oder wie Reise- und Spesenabrechnungen zu handhaben sind - aber das große Ganze komme häufig zu kurz. Für Themen rund um gesellschaftliche Verantwortung - vom Umweltschutz bis zu den Produktionsbedingungen - fehlten Regeln vielfach, und die eigens beauftragten Compliance-Wächter seien meist sehr weit weg vom Tagesgeschäft.

Dass Verstöße intern gemeldet werden, dazu gehört aber stets auch eine gute Portion Zivilcourage, ist TI-Deutschland-Chefin Müller überzeugt. Jedenfalls dann, wenn ein Klima der Angst und Einschüchterung herrscht.

Die beiden Volkswagen-Manager Ferdinand Piëch und Martin Winterkorn VW hatten zwar über Jahre erfolgreich aber auch nach Gutsherrenart regiert, sagen Kritiker. Sie hätten ein "Klima von Leistungsdruck und Einschüchterung" in der Unternehmenskultur erzeugt, in dem dann eher geschummelt werde, analysierte unlängst die "FAZ".

Nibelungen-Treue nicht schuldlos an der Entwicklung

Für sie offenbart der Skandal zudem ein noch viel übergreifenderes Problem: Generell herrsche in der Automobilwirtschaft eine "unglaubliche Nibelungen-Treue" vor. Immer wieder sei die Branche von der Politik "massiv geschont" worden, kritisiert die Expertin. Sobald Umweltthemen auf den Tisch kämen, würden "Drohpotenziale" zu negativen Folgen für Wirtschaft oder Arbeitsplätze aufgebaut. "Man kann nur hoffen, dass es sich um ein Erdbeben handelt, das in der Geschäftspolitik der Unternehmen zu einem Umdenken führt", sagt die TI-Deutschland-Chefin.

rei/dpa

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