Mockumentarys Wenn Spaghetti auf Bäumen wachsen
Alles echt. Oder doch nicht? Seit die BBC sich 1957 einen Aprilscherz mit ihren Zuschauern erlaubte, geistern immer wieder angeblich reale Dokumentationen mit absurdem Inhalt über die Leinwand. einestages stellt die schönsten "Mockumentarys" vor.
Es war ein gutes Jahr für die Schweizer Spaghetti-Bauern. Die Ernte fiel üppig aus. Das lag zum einen an dem ungewöhnlich milden Winter 1957, zum anderen am Verschwinden des Spaghetti-Rüsselkäfers. Passend zur Meldung strahlte die BBC-Nachrichtensendung "Panorama" einen knapp dreiminütigen Film aus, in dem eine Familie Tessiner Nudelzüchter meterlange Pasta von den Bäumen pflückt.
Dass die BBC den Beitrag 1957 am 1. April ausstrahlte, war für viele Zuschauer als Hinweis offenbar nicht deutlich genug. Hunderte Menschen riefen beim Sender an. Einige bedankten sich für den gelungenen Scherz. Aber es gab auch viele, die ernsthafte Fragen hatten - und solche, die wissen wollten, wo sie einen Nudelbaum bekommen könnten. Zur Ehrenrettung der Anrufer muss gesagt sein, dass Spaghetti im England der Fünfzigerjahre noch kaum verbreitet waren. Die "Panorama"-Redaktion beantwortete die Fragen jedenfalls gelassen: "Legen Sie einen Spaghetti in eine Dose Tomatensoße und hoffen Sie auf das Beste."
Inszenierte Wirklichkeit
Bei der Ausstrahlung war der kurze Clip, heute in jeder Liste der großen Fernsehmomente des zwanzigsten Jahrhunderts zu finden, nicht mehr als ein virtuoser Aprilscherz. Inzwischen ist die Fake-Dokumentation zu einem eigenen Filmgenre geworden. Der gezielte Täuschungsversuch der BBC gilt heute als frühes Beispiel einer "Mockumentary". Der Begriff, aus den englischen Wörtern "Mock" (Schein) und "Documentary" (Dokumentation) zusammengesetzt, beschreibt einen fiktionalen Film, der vorgibt, eine echte Dokumentation zu sein.
Belegen sollen das Interviews, spontan agierende Schauspieler oder wackelige Handkamerabilder, die von den Protagonisten selbst aufgenommen werden. Auch die Fiktion, es handele sich bei dem Film um gefundenes Material, das nun unbearbeitet gezeigt würde, trägt zum Realitätseffekt bei. Viele Mockumentarys sind Satiren. Zu den ersten ihrer Art gehörten Woody Allens 1969 erschienenes Regiedebüt "Woody, der Unglücksrabe" oder Peter Watkins' "Strafpark" von 1971.
Stonehenge und Luftgitarren
Einen Höhepunkt erlebte die Mockumentary jedoch erst 1984 mit "This Is Spinal Tap". Der Film von Drehbuchautor und Schauspieler Christopher Guest und Regisseur Rob Reiner dokumentiert das weitgehend hoffnungslose Treiben der - natürlich fiktiven - Heavy-Metal-Band Spinal Tap. Das Material schien eine Sammlung von zufällig aufgenommenen Szenen aus dem Tour-Alltag der Band zu sein, die zum ersten Mal seit 17 Jahren wieder durch die USA reist.
Die Katastrophen kommen geballt: Das sexistische Bild auf der aktuellen Platte "Smell The Glove" wird zensiert und durch ein ausschließlich schwarzes Cover ersetzt, die monumentale Bühnendeko entpuppt sich als Miniaturmodell von Stonehenge, und die Freundin des Lead-Gitarristen vergrault den Rhythmus-Gitarristen aus der Band. Erzählt wird diese Aneinanderreihung von Peinlichkeiten in Form von improvisierten Dialogen und Interviews mit den angeblichen Bandmitgliedern und ihren Wegbegleitern.
Zwischen Lachen und Grausen
Wie "This Is Spinal Tap" sind die meisten Mockumentarys Komödien - von "Zelig" über "Bob Roberts" bis zu "Borat", und Christopher Guest ist noch immer der ungekrönte König der Gattung. Aber es sind in den letzten Jahren auch einige Horror-Mockumentarys erschienen. Allen voran "The Blair Witch Project", der 1999 eine Welle von Fake-Dokumentationen im Genre lostrat.
Egal wie irrwitzig oder plausibel die Geschichte ist, die uns die Filme als "echt" verkaufen wollen: Die Mockumentary lässt offenbar werden, dass das Verhältnis von Film und Wirklichkeit immer ein kompliziertes ist. Eine pädagogisch wertvolle Gattung also. Umso schöner, dass sich unter den Mockumentarys einige der komischsten, aber auch verstörendsten Filme der letzten Jahre finden. einestages hat die Wichtigsten ausgegraben.
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