Holocaust-Pulp von Martin Amis: Auschwitz? Da lach ich doch

Von Hans-Jost Weyandt

Autor Martin Amis: Der Skandal findet nicht statt Zur Großansicht
Tom Craig

Autor Martin Amis: Der Skandal findet nicht statt

Ein boshafter Nazibonzenklamauk, den sein deutscher Verlag nicht drucken wollte: In "Interessengebiet" erzählt Martin Amis satirisch vom Lieben der SS-Männer. Zum Skandal taugt das Buch trotzdem nicht.

Ob der Postmann auch in Auschwitz zweimal klingelt, gehört zu jener Sorte Fragen, deren Antwort so überflüssig erscheint wie die Lektüre des Romans, der sie provoziert. Einen solchen Roman hat Martin Amis geschrieben, einen parodistisch überdrehten Unterhaltungsroman, der vom Holocaust erzählt mit einer an James M. Cains "Postmann" erinnernden Dreieckskonstellation um Begierde, Verrat, Verbrechen. Der dabei Kitsch und Klamauk nicht scheut, die derbe Pointe sucht und die grobe Karikatur.

Die Frage, die er provozieren sollte, müsste eigentlich lauten, ob dieser Holocaust-Pulp geeignet wäre, das seltsame Raunen, das sich in Teilen der Literatur über Auschwitz etabliert hat, ein wenig zu irritieren.

Doch der Roman taugt nicht zur Provokation eines Streits über Literatur oder zur Justierung der Sprachregeln über Auschwitz, wie sie in der vehementen Abgrenzung zu Jonathan Littells "Die Wohlgesinnten" vor annähernd zehn Jahren stattfand. Und er taugt auch nicht für einen ordentlichen Skandal, der sich anzubahnen schien, als Amis' renommierte Verlage in Frankreich und Deutschland das Werk ablehnten.

Kokettes Spiel mit dem Anstößigen

Die Provokationen fallen vielmehr auf den Roman zurück, und wenn Amis einige Verse aus der "Todesfuge" paraphrasiert, um die sexuellen Zwänge des Lagerkommandanten von Auschwitz anzudeuten ("Er spielt mit seiner Viper, er spielt und spielt"), dann mag das vielleicht einigen Celan-Bewunderern schändlich erscheinen.

Aber ein literarisches Sakrileg ist das nicht, viel eher ein Beispiel, das die Grenzen von Amis' Darstellungskunst aufzeigt. Jenes koketten Spiels mit dem Anstößigen, von Amis im englischen Sprachraum erfolgreich betrieben, seit er mit den "Rachel-Tagebüchern" vor mehr als 40 Jahren debütierte und gleich in der Eingangsbemerkung, der Name seines Erzählers sei "langpimmelig", das Maß aller Dinge seines nachfolgenden Werks benannt hat. Dessen überschaubarer Radius begrenzt nun auch das Interessengebiet seiner beiden Erzähler, wenn der fesche SS-Obersturmführer Golo Thomsen heftig für die üppige Hannah entflammt, die Gattin des versoffenen Lagerkommandanten Paul Doll.

Wenn Amis diese "ganz normalen Männer" (Christopher Browning) mit grimmigem Spott den Kapriolen ihrer Triebsteuerung ausliefert, die sie entsprechend ihres herrenmenschlichen Rangs mit bürgerlicher Bigotterie zu zähmen versuchen, dann kann er sein erzählerisches Talent für die Satire entfalten. Es verlangt freilich einen gesellschaftlichen Rahmen, den Amis rund um das Familienleben der Dolls absteckt, und in der bürgerlich befriedeten Randzone des Lagers funktioniert der Roman als boshafter Nazibonzenklamauk passabel, der umso schwungvoller wird, je weiter die Handlung sich von jenem Ort entfernt, den Amis als Schauplatz behauptet.

Völkisch enthemmtes Swingermilieu

Wenn Amis nazi-esoterischen Quatsch wie die "Welteislehre" mit Tante Gerdas Gebährwahn und Onkel Martins Lust auf junge Sekretärinnen kurzschließt zu einer absurden Sitcom aus einem völkisch enthemmten Swingermilieu, dann ist der Zeitpunkt gekommen, dass Neffe Golo Thomsen die Bormanns in ihrem bayrischen Eigenheim mit neun Kindern und Garten besucht.

Doch wenn der schillernde Titel, sekundiert von der Coverillustration der deutschen Ausgabe, die Topografie der Vernichtung mit der Unterkoppelregion uniformierter Mörder überblendet, so ist das ein Bluff, der die kühne Behauptung von Amis zu stützen versucht, einen Roman über Auschwitz geschrieben zu haben.

"Interessengebiet", hier wird es seltsam, erhebt den ernsthaften Anspruch auf historische Genauigkeit, was sich romantechnisch nur erklären lässt mit der literarischen Not, den Schauplatz Auschwitz kaum anders im Erzählgefüge stabilisieren zu können, und was den Roman weiter schwächt.

"Brustwarte" hier, "Endlosung" dort

Denn die pathetische Selbstverpflichtung auf respektvollen Umgang mit der Geschichte reibt sich an Amis' Hang zur Überzeichnung und wird konterkariert durch die Fehler und Ungenauigkeiten, die den Text ebenso auffällig durchziehen wie das englische Original die großzügige - auch in der Rechtschreibung - "Garnierung" (Amis) mit deutschen Wörtern.

So vertraut den englischsprachigen Lesern diese befremdlich bellenden Deutschen, die Frithuric Burckl heißen oder Helmut Adolzfurt, aus unzähligen WWII-Filmen sein mögen, so befremdlich wirkt selbst scheinbar Vertrautes in der deutschen Übersetzung, und das ist ein Verdienst des Übersetzers. Indem Werner Schmitz der Versuchung widerstanden hat, dem Text zu größerer Richtigkeit zu verhelfen, lässt er die zahllosen Ungenauigkeiten zu jenen Verfremdungseffekten werden, die eine "Brustwarte" hier und eine "Endlosung" dort im Original sind.

Wobei die Souveränität des Übersetzers im Umgang mit seinem Material deutlich größer ist als jene des für seine stilistische Brillanz doch gerühmten Martin Amis mit dem seinen.

"Interessengebiet" ist das Werk eines verunsicherten, ängstlichen Autors, der die auseinanderstrebenden Erzählbewegungen mühsam zusammenhält in jener beinahe frankensteinesken Manier, die das Äußere des blonden Hünen Golo Thomsen auszeichnet: mit einer "rechtwinkeligen Kieferpartie, wie angenietet unter den zierlichen Schnörkeln" der Ohren. Was solche Monstren nicht empfinden und gerade darum beim Betrachter auslösen, das findet, seltsam, auch in "Interessengebiet" keinen Raum: Es ist ein Roman auf der Flucht vor der Angst.

Das Verblüffende an diesem Roman, dessen komplettes Provokationspotenzial und all seine potenzielle Bedeutung seinem Schauplatz zuzuschreiben ist, ist der Umstand, dass völlig unklar bleibt, was Amis überhaupt von Auschwitz erzählen will. Er muss das selbst sehr deutlich gespürt haben, denn er hat dem Roman zugefügt, was ein Autor seinem Werk eigentlich niemals antun möchte, und in einem Nachwort "Das, was geschah", wie er es mit einem Wort Paul Celans nennt, zu erklären versucht.

Es ist der Text eines Autors, der in der Beschäftigung mit Auschwitz reichlich Wissen und Spekulationen anhäufte ("Nach Geist und Gemüt scheinen Volk und Führer vom selben unruhigen donauländischen Schlag gewesen zu sein"), aber keine erzählerische Haltung fand.

Es gibt einen dritten Erzähler, den jüdischen Häftling Szmul Zachariasz, der seine Überlebenschancen erhöht, indem er als Sonderkommandoführer die Deportierten von der Selektionsrampe zur Gaskammer leitet. Es ist die Stimme eines Mannes jenseits jeder Illusion, nahe am Verstummen, die deutlich von Dolls bizarrem Schwadronieren und der sarkastischen Eloquenz Thomsens übertönt wird, doch so skrupulös Amis sie zeichnet, so nassforsch instrumentalisiert er die Figur für die Rachepläne des gehörnten Doll. Das ist bezeichnend für den Roman: die Flucht aus dem Verstummen in den Kolportage-Radau.

LITERATUR SPIEGEL auf Facebook

Anzeige

© SPIEGEL ONLINE 2015
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH



  • Drucken
  • Nutzungsrechte Feedback