Gerichtsposse um Evolutionslehre Moses gegen Darwin
Schimpansen-Paraden und erbarmungslose Kreuzverhöre - im US-Provinzkaff Dayton stand 1925 ein Aushilfslehrer im "Affenprozess" vor Gericht. Sein Verbrechen: Er hatte Darwins Evolutionslehre unterrichtet.
Dressierte Schimpansen paradierten in Anzügen vor dem Gerichtsgebäude, der örtliche Getränkehersteller verkaufte eine Limonade namens Affenbrause. Touristen liefen mit Affenpuppen im Arm zwischen Ständen umher, die neben Wassermelonen und Sandwiches Stapel von Biologiebüchern feilboten. "Wir haben alles, nur kein Affenfleisch", erklärte der Metzger auf einer Tafel.
"Lauter Hinterwäldler"
Im bibeltreuen Tennessee verstieß er damit gegen den Butler Act - ein Gesetz, das an staatlich finanzierten Schulen Lehren verbot, nach denen der Mensch nicht von Gott geschaffen worden sei. Entsetzt wiesen Strenggläubige die Theorie zurück, die Menschheit stamme von Affen ab. Was der Forscher Darwin in dieser Form niemals behauptet hatte. Trotzdem trat seine Evolutionslehre damit vor Gericht gegen das Erste Buch Mose aus dem Alten Testament an - Wissenschaft versus Schöpfungsgeschichte.
Die amerikanischen Top-Juristen strömten in das Provinzkaff mit 1800 Einwohnern, nebst 5000 Prozesstouristen und Reportern aus aller Welt. Erstmals wurde in den USA ein Prozess im Radio übertragen. "Lauter Hinterwäldler", zürnte vorab ein Kolumnist, eine "Mischung aus Zirkus und Heiligem Krieg", urteilte das "Time Magazine".
Der erste Zeuge war der Zoologe Dr. Maynard Metcalf von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, den der konservative Bryan zur Evolutionstheorie befragte. Sachlich erklärte Metcalf die evolutionäre Abstammung des Homo sapiens. Bryan kanzelte den Wissenschaftler ab, die Verteidigung konterte und erhielt donnernden Applaus von den Journalisten, die es mehrheitlich mit der Evolutionstheorie hielten. Bald wurde der Prozess nach draußen verlegt, weil man befürchtete, dass der Boden des Gerichtsgebäudes unter den Zuschauermassen einbrechen könne. Unter Bäumen lieferten sich die Parteien weiterhin Schlagabtausche.
"Nicht immer alles wörtlich nehmen"
Am siebten Prozesstag kam es schließlich zum Showdown, den die "New York Times" später als spannendste Szene der angloamerikanischen Prozessgeschichte bezeichnen sollte. Einer von Scopes Anwälten beugte sich zu seinem Mandanten und raunte ihm zu: "Pass auf, die Hölle wird sich jetzt auftun."
Darrow hatte sich einen ungewöhnlichen Schritt überlegt. Er rief den Ankläger Bryan in den Zeugenstand. Bryan, Geheimratsecken, kräftige Statur und mit selbstgefälliger Aura, fächelte sich Luft mit einem Fächer zu, den er mitgebracht hatte. Einige Zuschauer winkten ihm zu. Noch ahnte er nicht, dass er gleich in eine juristische Falle tappen sollte.

Dr. Maynard Metcalf von der John Hopkins University versuchte, den strenggläubigen Geschworenen die Evolutionstheorie zu erklären
Mit zusammengekniffenen Augenbrauen und Zornesfalten rief er schließlich aufbrausend: "Sie wollen nur die Bibel beschmutzen!" Darrow erwiderte juristisch-nüchtern: "Ich widerspreche Ihrem Argument."
Tod durch Überfressen?
Die Medien kürten einhellig den Verteidiger zum Sieger des Wortduells. Doch die Geschworenen, allesamt bibeltreue Farmer aus Dayton, waren anderer Meinung. Genau wie der Richter John T. Raulston, der während des gesamten Prozesses von zwei Polizisten flankiert wurde. Der erzkonservative Jurist hatte jeden Verhandlungstag mit einem Gebet begonnen. Kurzerhand ließ er Bryans verhängnisvolle Antworten aus dem Protokoll streichen.

Die Satire-Zeitung "The Onion" amüsierte sich noch Jahrzehnte später über den Prozess - mit dieser Meldung über hyperintelligente Schimpansen aus der Zukunft
Bryan, der seit 30 Jahren nicht mehr vor Gericht gekämpft hatte, hatte das Kreuzverhör tief erschüttert. Fünf Tage nach der Urteilsverkündung weilte er immer noch in Dayton. Schließlich genehmigte er sich ein üppiges Mahl und hielt danach Mittagsschlaf. Er sollte nicht mehr aufwachen.
Sein Widersacher Darrow war zu dieser Zeit in den Bergen um Dayton wandern. Journalisten warfen ihm vor, dass sein Gegner wahrscheinlich wegen des brutalen Kreuzverhörs an gebrochenem Herzen gestorben sei. Ach was, entgegnete der zynische Verteidiger: Der habe sich nur überfressen. Offiziell ließ sich Darrow zitieren: "Ein großer Verlust für die Öffentlichkeit."
Schauprozess als Werbemaßnahme
Dem Biologielehrer Scopes wurde an seiner High School trotz seiner Verfehlung ein weiterer Kurs angeboten - vorausgesetzt, er würde nicht wieder die Evolutionstheorie unterrichten. Er lehnte ab. Inzwischen hatten Wissenschaftler ein Stipendium für ihn organisiert. Anstatt an die Schule zurückzugehen, konnte Scopes studieren.
Genutzt hatte der Prozess vor allem den Geschäftsleuten von Dayton, die, so kam später heraus, den jungen Biologielehrer überredet hatten, den Jahrhundertprozess zu verursachen. Schlau hatten sie kalkuliert, dass ihre Gemeinde mit einer derartigen Verhandlung schlagartig berühmt werden würde. Bis heute ist Dayton tatsächlich als Affenstadt bekannt, ein Museum versucht die juristische Evolutionsposse in Geld umzumünzen.
Größter Nutznießer war aber die eigentlich angeklagte Evolutionstheorie. Seit dem Affen-Prozess ist Darwins Lehre selbst in der letzten Hinterwäldlerecke Amerikas bekannt.
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