Filmfest München: Das "Heil"-Versprechen
Es gibt zu wenige gute deutsche Filme - und die, die es gibt, guckt keiner. Das Filmfest München zeigt jetzt 18 Weltpremieren, vom erotischem Arthouse-Film über die Neonazi-Satire "Heil" bis zum Hochglanz-Thriller: Bringen sie die Wende?
"Da muss doch ein Star dabei sein." Am Freitagabend hat sich vor dem Arri-Kino in der Türkenstraße eine freudig-aufgeregte Menschenmasse gebildet. Von den Stufen der Akademie der Künste aus beobachten ein paar junge Leute mit Feierabendbier in der Hand, was sich vor dem 30 Meter entfernten Kino abspielt. "Aber wer könnte das sein?" "Ich tipp mal auf den M'Barek!"
Allein 18 Weltpremieren stehen in diesem Jahr an, von Kleinstproduktionen wie Uisenma Borchus erotischem Arthouse-Film "Schau mich nicht so an", aber auch von Özgür Yildirims Hochglanz-Thriller "Boy 7". Die meisten Vorstellungen sind ausverkauft, die Branche guckt neugierig auf den neuen Festivaljahrgang. In so einem Umfeld fühlen sich die deutschen Filmemacher (mehr noch als die Filmemacherinnen) sehr willkommen.
Die Prominenz des deutschen Kinos ist wie so vieles auf dem Münchner Filmfest sowohl dem unermüdlichen Einsatz des Sektionsleiters geschuldet als auch den äußeren Umständen. "Sagen wir es so: Wenn Cannes demnächst zehn deutsche Filme einlädt, hätte ich ein Problem", sagt Christoph Gröner, Sektionsleiter von "Neues deutsches Kino", und nimmt Platz auf den Stufen vor der Akademie. Gerade hat er das Flüchtlingsdrama "Babai" von Visar Morina anmoderiert, vor der Premiere von Dietrich Brüggemanns Neonazi-Satire "Heil" ist genug Zeit, um über den Zustand des deutschen Kinos zu sprechen.
"Der hippe deutschsprachige Film war in den vergangenen Jahren der österreichische Film", sagt der studierte Filmwissenschaftler und Journalist, der die Sektion seit 2012 leitet. "Die Österreicher haben es geschafft, über mehre Filme hinweg eine unverkennbare Filmsprache zu entwickeln, die international sehr geschätzt wird." Er spielt damit auf Regisseure wie Ulrich Seidl, Michael Haneke oder Jessica Hausner an, die seit Jahren von den A-Festivals hofiert werden.
Während Gröners Kolleginnen und Kollegen von den internationalen Sektionen des Filmfests bangen müssen, welche Hochkaräter aus Venedig und insbesondere Cannes sie als deutsche Premieren zeigen dürfen, kann er gewissermaßen aus dem Vollen schöpfen: Auf den prestigeträchtigsten Festivals spielt der deutsche Film seit ein paar Jahren keine Rolle mehr, Weltpremieren in München steht in der Regel kein Wettbewerb im Weg.
"Das deutsche Kino ist international zuletzt als 'mixed bag' erschienen, es gab nicht die eine herausragende Ästhetik oder Tonalität wie bei den Österreichern, und die Qualität schwankte stark - allerdings auch kein Wunder bei 250 Filmen jährlich", sagt Gröner. Schließt man von seiner eigenen Reihe auf den Zustand des deutschen Kinos, wird es mit der internationalen Relevanz auch in Zukunft erst einmal nichts, denn die ist selbst ein 'mixed bag'.
Solides Komödienhandwerk wie Markus Sehrs "Die Kleinen und die Bösen" findet sich neben dem grellen B-Movie-Experiment "Der Nachtmahr" von Akiz. Die hochtourige Groteske "Heil" (Kinostart 16. Juli) dürfte der deutsche Kinohit des Sommers werden, Axel Ranischs bezaubernde Tragikomödie "Alki Alki" hat dagegen erst gar keine Verleihförderung bekommen. Dass sie trotzdem ins Kino kommt (voraussichtlich am 12. November), ist allein dem Einsatz vom Verleih missingFILMS geschuldet.
Das Problem, ein Highlight wie "Alki Alki" überhaupt noch in die Kinos zu bekommen, ist Ausdruck einer anderen Entwicklung, die gegen den deutschen Film arbeitet: Jenseits von Kinderfilmen und Blockbuster-Komödien ist auch das deutsche Publikum nicht am hiesigen Kino interessiert. "Als wir träumten" von Andreas Dresen kam im Frühjahr auf ernüchternde 70.000 Zuschauer, selbst beim Filmpreis-Abräumer "Victoria" ist noch nicht klar, ob er die 200.000er Marke reißen wird. Die über zwei Millionen Zuschauer von "Lola rennt" aus dem Jahr 1997 nehmen sich dagegen wie ein historischer Ausreißer aus. Schon die 900.000 Zuschauer, auf die Andreas Dresens Film "Sommer vorm Balkon" 2005 kam, erscheinen wie ein Gruß aus einer fernen Zeit.
Bestimmte Zuschauerzahlen oder die Einladung ins offizielle Programm von Cannes will Gröner nicht als Erfolgsmesser dafür nehmen, ob das deutsche Kino auf dem richtigen Weg ist. "Mich würde es freuen, wenn der Satz 'Für einen deutschen Film ziemlich gut' hinfällig wird. Einfach ein guter Film - das sollte man wieder häufiger vom deutschen Kino sagen können."
Ein bescheidener Anspruch, möchte man meinen. Und doch einer, dem der deutsche Film erst einmal gerecht werden muss. Sieht man sich auf dem Filmfest München um, mag man nicht so recht daran glauben, dass dies bald der Fall sein wird.
Das Filmfest München läuft noch bis 4. Juli. Das Programm der Reihe "Neues deutsches Kino" finden Siehier.
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