Online-Ausstellung: Wer ist Charlie?

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"Charlie Hebdo"-Ausstellung: Mehr als Mohammed Fotos
Wolinski/ Charlie Hebdo

Eine Werkschau im Netz zeigt Karikaturen und Hintergründe zu "Charlie Hebdo". Das Projekt von vier Museen hilft, das Bild des Satiremagazins zu normalisieren - jenseits des tödlichen Anschlags.

Der 7. Januar 2015 hat "Charlie Hebdo" traurigen Ruhm verschafft. Ein halbes Jahr ist seit den Anschlägen in Paris vergangen, bei denen zwölf Menschen ums Leben kamen und die "Charlie Hebdo" abrupt weltberühmt machten.

Plötzlich war das französische Satiremagazin Gegenstand feuilletonistischer Diskussionen und politischer Debatten. Jeder hatte etwas zum Thema zu sagen, die ironische Distanz, die den karikaturistischen Rundumschlag-Stil des Magazins ausgemacht hatte, war wie ausradiert. "Je suis Charlie" wurde zum geflügelten Wort, mit oder ohne Zustimmung der verbliebenen Redaktionsmitglieder.

So überwältigend war die Anteilnahme, aber eben auch die Vereinnahmung, dass sich die Redaktion nach einer schnellen Trauerausgabe mit Millionenauflage zunächst zurückzog, um das weitere Vorgehen zu beraten. Bis heute diskutieren die Redakteure den zukünftigen Kurs des Magazins.

Nachdem die Debatte um die Freiheit von Kunst und Meinung weitergezogen ist, gibt eine neue Online-Ausstellung nun Gelegenheit, das gesamte Werk der "Charlie Hebdo"-Macher über die Mohammed-Karikaturen hinaus mit etwas Abstand zu betrachten.

Dafür haben sich vier Institutionen zusammengetan, die im deutschsprachigen Raum das Feld Karikatur und Cartoon beackern. Das Caricatura Museum Frankfurt - Museum für Komische Kunst, die Caricatura - Galerie für Komische Kunst in Kassel, das Cartoonmuseum Basel und das Museum Wilhelm Busch - Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst in Hannover präsentieren unter dem Titel "Museen für Satire" eine umfangreiche Auswahl von "Charlie Hebdo" Karikaturen.

Religion ist nur ein Thema unter vielen

Aus 250 Ausgaben zwischen 2010 und 2015 haben die Kuratoren die Beiträge ausgewählt, die ihnen repräsentativ für eine bestimmte politische Situation erschienen, herausgekommen ist eine facettenreiche Werkschau.

Um die Zeichnungen nicht erneut aufgeheizten Meinungsdebatten zu überlassen, gibt es eine kurze Einführung in die Geschichte des Magazins und seine Einbettung in die politische Kultur Frankreichs, in der Satire und Karikatur historisch deutlich mehr Raum einnehmen als in Deutschland. So ist dort seit 1881 Blasphemie straffrei.

Doch die Online-Ausstellung zeigt auch, dass Religion, das Thema, von dem sich die Attentäter bis aufs Blut provoziert fühlten, nur einen Bruchteil von Satire ausmachte. Politik, Gesellschaft, Sport und Wirtschaft nehmen allesamt mehr Raum in der Themenauswahl der "Charlie"-Redaktion ein.

Dazu haben sich die Macher der Ausstellung im Nachhall der Anschläge um eine Einordnung der medialen Rezeption bemüht. Nachrufe sind da gesammelt, aber auch Reaktionen anderer Zeichner und Satiriker, Links zu Fernsehberichten und Hintergrundartikeln.

Jeder Zeichner wird in einer kleinen Biografie vorgestellt, in der auf weitere Werke verlinkt ist. Wer sich also intensiver mit dem Magazin beschäftigen will, findet in der Ausstellung eine ausgezeichnete und unaufgeregte Möglichkeit.

Sie ist auch ein Plädoyer dafür, das Werk der ermordeten Zeichner Charb, Cabu, Wolinski, Honoré und Tignous über die Provokation hinaus zu betrachten, als das, was es auch war: Scharfzüngiger Gesellschafts- und Politikkommentar und - vor allem - urkomisch.


Ausstellung "Museen für Satire" online unter http://museen-fuer-satire.com/

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insgesamt 2 Beiträge
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1.
bonngoldbaer 03.07.2015
Zwölf Menschen sind gestorben und Charlie Hebdo lebt immer noch. Umgekehrt wäre besser.
2. Sie sagen:
ralpa 03.07.2015
"Zwölf Menschen sind gestorben und Charlie Hebdo lebt immer noch. Umgekehrt wäre besser." und ich kann Ihr Ansinnen verstehen. Für die betroffenen Familien auch wahre Worte. In Anbetracht dessen, welche Werte sich jedoch entgegenstehen, die sich das Magazin auf der einen und die Täter auf der anderen Seite auf die Fahnen geschrieben haben, muss ich sagen: Nein, das sehe ich anders. Man kann sicherlich schlechter sein Leben verlieren, als aus Überzeugung seiner Werte für diese einzustehen
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